Parallel-Riesenslalom:Tag der Tränen

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Der Beginn eines turbulenten Tages: Ramona Hofmeister (links) kommt nach einem Sturz ihrer Konkurrentin Tomoka Takeuchi zu Fall. (Foto: Francisco Seco/AP)

Die favorisierten Parallel-Snowboarder um Ramona Hofmeister und Stefan Baumeister verpassen die Medaillen deutlich - damit endet eine eindrückliche Serie.

Von Johannes Knuth

Das Geheimnis des Schnellseins? Kann man schwer erfassen, findet der Alpin-Snowboarder Stefan Baumeister. Und selbst wenn er es könnte: "Dann würde ich es nicht sagen", sagte er zuletzt - und lachte. Später ging er dann doch auf ein paar vorletzte Betriebsgeheimnisse ein, das Puzzeln mit dem Material unterscheidet sich bei den Snowboardern ja auch nicht mehr wirklich von der Tüftelei der Ski-Kollegen. Alpinboard, Schnalle, Schuh so stimmig aufeinander abzustimmen, dass man flott auf der Kante durch den Schnee schneidet - dabei habe er in letzter Zeit allein "drei, vier Zehntelsekunden pro Fahrt" eingespart, sagte Baumeister. Und das trenne dann "zwischen dem Podium und dem 20. Platz".

Man konnte das auch so übersetzen: Wer vorne ist, den kann es sehr schnell wieder nach hinten wehen.

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Die deutschen Alpinboarder lernten das am Dienstag auf dem olympischen Rennhügel von Zhangjiakou auf eine Art kennen, die Sportdirektor Andreas Scheid später unter der Überschrift "Schwere Niederlage" bündelte. Zwei Medaillen hatte Scheid sich in den Parallel-Rennen gewünscht, je eine bei Männern und Frauen - das klang selbstbewusst, aber nicht vermessen: Baumeister hatte in diesem Winter bereits zwei Weltcupsiege beschafft, er war als schnellster Athlet des Feldes zu den Spielen gezogen, so sah das jedenfalls sein Trainer Paul Marks. Und Ramona Hofmeister hatte in den vergangenen Jahren so ziemlich überall Medaillen und Erfolge erstanden, wo sie aufschlug, zwei Mal den Gesamtweltcup auf ihre Seite geschafft. Und auch wenn sie im Weltcup zuletzt aus einem kleinen Formtief herausrobben musste: Es sah wieder vielversprechend aus.

Ester Ledecka ist wieder einmal unbezwingbar

Nur: Wenn ein Wimpernschlag zwischen ganz vorne und ganz hinten trennt, ist das mit dem Medaillenschmieden so eine Sache. Diesmal landeten Tagesform und Fortune, die in den Jahren zuvor oft auf die deutsche Seite geplumpst waren, verlässlich im Lager der Kontrahenten. Bei den Männern gewann der Österreicher Benjamin Karl das Finale, bei den Frauen Ester Ledecka, wieder einmal.

Die Tschechin, die 2018 als erster Mensch überhaupt im Skifahren (Super-G) und bei den Alpin-Snowboardern Olympiasiegerin geworden war, hatte sich zuletzt vor allem in die Details des Abfahrtssports gekniet - und war jetzt bei den Snowboarderinnen trotzdem unbezwingbar. Baumeister leistete sich indes schon in der Qualifikation einen schwachen Lauf, das reichte, um die K.-o.-Runde zu versäumen. Und Hofmeister, die erlebte einen "turbulenten Tag", der am Ende nur Tränen bereithielt.

Vier Jahre Warten bis zur nächsten Chance: Ramona Hofmeister nach ihrem Aus im Viertelfinale. (Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Im Achtelfinale stürzte erst ihre Konkurrentin Tomoka Takeuchi und schlitterte bedrohlich nahe an Hofmeister heran, dann kam auch diese zu Fall. Die Japanerin krabbelte als Erste zurück aufs Board und ins Ziel - da sei das erste Mal "eine Welt zusammengebrochen", sagte die Deutsche später. Doch das Urteil der Jury kittete fürs Erste die Scherben: Die Japanerin habe Hofmeister durch ihren Sturz behindert, so das Urteil, Hofmeister rückte ins Viertelfinale nach. Dort hatte sie den Schreck aber noch nicht abgeschüttelt, die starke Österreicherin Daniela Ulbing war zu stark, um 13 Hundertstelsekunden. "Es hat einfach nicht gepasst. Es ist irgendwie alles sehr verrückt heute", sagte Hofmeister. Auch ihre Teamkollegin Carolin Langenhorst blieb kurz darauf im Viertelfinale hängen, als letzte Deutsche. Yannik Angenend, der einzige deutsche Repräsentant in der Endrunde, hatte zuvor sein Achtelfinale verloren.

Ein kleiner Verband wie Snowboard Germany hat es nicht gerade leicht in der deutschen Leistungssportgesellschaft. Das Licht der Öffentlichkeit fällt nur alle paar Jahre auf seine Athleten, und die Alpinsparte hat es mittlerweile noch ein bisschen schwerer. Ihr ist als einzige der drei olympischen Snowboard-Ressorts - Freestyle, Snowboardcross, Alpin - nur noch eine Disziplin bei den Spielen geblieben: der Parallel-Riesenslalom. Auf ihre Parallel-Fahrerinnen hatten sie sich aber immer verlassen können; Amelie Kober gewann 2006 in Turin Silber, Isabella Laböck wurde 2013 Weltmeisterin. Anke Wöhrer und Kober beschafften 2014 in Sotschi Silber und Bronze, 2018 in Pyeongchang waren es Selina Jörg und Ramona Hofmeister. Und jetzt: nichts als Tränen?

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Es war ein schwacher Trost, aber im fahlen Licht dieses Tages erschien ihre Serie bei den vergangenen Spielen umso beachtlicher: Die Älteren hatten sich für ihre Ausdauer oft mit Medaillen belohnt, die Jungen im Schatten gleich für die kommenden Aufgaben eingelernt; manche schlugen sich dabei prompt aufs Podest vor.

2018 war es Selina Jörg, die nach vielen Versuchen ihre (silberne) Medaille gewann, Hofmeister, damals 21 Jahre alt, gewann in ihrem Sog Bronze. Sie habe "sehr davon profitiert", sagte sie zuletzt, dass die Arrivierten sie früh im Training forderten, keine Betriebsgeheimnisse hüteten, auch deshalb hatten sie bei den Frauen diesmal gleich drei Kandidatinnen: Hofmeister, Langenhorst und Melanie Hochreiter. Alle vom WSV Bischofswiesen, "drei Sandkastenfreundinnen", sagte Hofmeister zuletzt, die sich vom Kindergarten bis an die Weltspitze gearbeitet hatten.

Noch ein Trost: Dieser Mehrgenerationenvertrag ist ja nicht stillgelegt. Die Nachschubrouten in den Nachwuchs sind gut ausgebaut, und Hofmeister, inzwischen 25 Jahre alt, blickte am Dienstag schon tapfer Richtung Olympia 2026. Für die laufenden Spiele wird es allerdings eng mit den zwei bis drei Medaillen, die sie sich insgesamt erhoffen: In der Halfpipe und im Big-Air sind die Freestyler Außenseiter. Und beim Snowboardcross zählt Martin Nörl zu den Favoriten, aber auch dort gilt: Vier Frauen oder Männer auf einem Kurs, über mehrere K.-o.-Runden hinweg - wer da mal vorne war oder ist, den kann es schnell nach hinten wehen.

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