Olympia: Slalom der Männer:Harte Arbeit an der Lockerheit

Slalom-Mitfavorit Felix Neureuther hat lange unter Erfolgsdruck gelitten, nun kann er Olympia genießen - dank des Sieges von Kitzbühel und der Hilfe seiner sportlichen Familie.

Wolfgang Gärner

Die olympische Familiengeschichte begann 1960 mit Tante Heidi in Squaw Valley, von da an war fast immer jemand von der Sippe der Mittermaiers und Neureuthers dabei, und 1976 beide, Mutter Rosi und Vater Christian. Sie holte zweimal Gold und einmal Silber, er wurde Fünfter im Slalom, und vier Jahre später heirateten sie. Das vorerst letzte Kapitel dieser olympischen Familiengeschichte hatte einen Vorlauf: Voriges Jahr, aus Anlass des 60. Geburtstages des Vaters, waren alle zusammen in British Columbia. Die Eltern, beide Kinder, ein paar Freunde.

Eine Woche lang ließen sie sich vom Hubschrauber zum Zweck des Tiefschneefahrens auf einsame Gipfel fliegen (der Sohn gesteht, das von den Eltern begeistert betriebene sogenannte Zöpferlflechten sei nicht seine Sache, sondern er bevorzuge im Deep Powder die radikalen Linien), anschließend ließen sie es sich eine Woche im jetzigen Olympiaort Whistler gutgehen, und der junge Neureuther durfte den Olympiaberg frei befahren. Jetzt sind sie wieder da: Vater und Mutter betreuen vom DOSB ausgesuchte Nachwuchssportler, die Tochter jobbt im Deutschen Haus, und der Sohn ist hier, weil er eine Medaille abholen will, diesen Samstag im Spezialslalom.

Mutters Rat?

"Welchen Rat", fragt ein kanadischer Journalist Felix Neureuther, "hat Ihnen Ihre Mutter für diese Winterspiele mitgegeben?" "Meine Mutter", antwortet der 25-Jährige, "ist eine ganz besondere Person. Was sie bei Olympia 1976 in Innsbruck getan hatte, war ein erstaunlicher Moment nicht nur für sie, sondern für ein ganzes Land." Tatsächlich hatte sie eine Euphorie ausgelöst, die heutzutage kaum nachvollziehbar ist. Vor ihrem dritten Rennen grenzte der Auftrieb in der Axamer Lizum derart nah an eine Massenhysterie, dass die Jodlerin Maria Hellwig, wie Rosi Mittermaier aus Reit im Winkl stammend, zur Entspannung der Situation ein Gratiskonzert vom Balkon runter gab.

Solche Details hat Felix Neureuther nicht wissen können, als er seine Mutter fragte: "Wie hast du's damals mit dem Druck gemacht?" Sie habe ihm geantwortet: "Du musst einfach nur den olympischen Moment genießen und darfst nicht zu viel wollen und dich nicht zu sehr unter Druck setzen. Freu dich über das Land, freu dich über Olympia."

"So hat sie es gemacht und war erfolgreich damit, und ich versuche das Gleiche", sagt der Sohn. Er musste sich die neue Lockerheit, die er bei seiner erstaunlichen Fahrt auf Platz acht im olympischen Riesenslalom empfand, hart erarbeiten. In den Monaten vor Olympia hat er Phasen durchgestanden, die extrem das Gegenteil von Freiheit und Lockerheit waren. Er bewegte sich in dieser Saison zwischen zwei extremen Polen: Auf dem einen, dem tiefsten Punkt, war er angelangt, als auch die Rennen in Alta Badia schiefgegangen waren für ihn: "Man investiert so viel, und es kommt einfach nix zurück", und er erschrak vor sich selbst, davor, "dass der Sport den Menschen Felix negativ beeinflusste, und ich mich so runterziehen ließ."

So sehr, dass er am ersten Weihnachtsfeiertag den traditionellen Familien-Skiausflug bald abbrach: "Ich hatte keine Freude mehr auf Ski." Am anderen, dem höchsten Punkt war er drei Wochen später als Sieger von Kitzbühel angelangt. "Auf solche Augenblicke arbeitet man sein ganzes Leben lang hin. Man kämpft und probiert alles und wird mit einem Sieg beschenkt. Und alle waren da": Ausgerechnet das war eine Familiensache, ausnahmsweise. Denn die Eltern scheuen normal die Anwesenheit bei Rennen ihres Sohnes, vor allem der Vater. Für Kitz hatte ihn der Sohn überredet, so konnten sie diesen Moment teilen an dem Ort, wo Neureuther senior 31 Jahre zuvor erfolgreich war.

Gemischte Gefühlslage

"Diese Gefühle versucht man, zu Olympia mitzunehmen", sagt Felix Neureuther: "Das Positive, dass man weiß, man kann es, und dass die anderen einen vielleicht ein bisschen fürchten und schauen: Was macht der Neureuther? Das ist eine gute Ausgangssituation. Damit gehe ich jetzt in den Olympiaslalom: In der Gewissheit seit Kitzbühel, dass ich ganz vorne landen kann. Das ist ein sehr schönes Gefühl." Die schlechten Gefühle hat er sich abtrainiert seit der Krise Ende Dezember, nachdem ihm die Menschen seines engsten Umfeldes die Wahrheit sagten, das sei nicht mehr er selber. "Da habe ich erkannt - ich muss was ändern. Das habe ich mit mir ausgemacht und mit meiner Familie."

Und er kam zu dem Schluss, dass Skirennen zu fahren nicht alles sein könne im Leben. Wenn schon Skirennen, dann will er sie seitdem "mit weniger Druck angehen, stattdessen mit Freude. Sport sollte Emotion sein, und ich will es genießen auch mit nicht so guten Platzierungen." Genau das haben ihm die Eltern mitgegeben: "Es gibt nix Schöneres als Winterolympia", daran solle er sich halten, sagt der Vater. "Wir erwarten, dass er selber zufrieden ist", sagt die Mutter.

Erkenntnisse von Kitzbühel

Was er aus Kitz mitgenommen hat neben der Gewissheit, alle besiegen zu können, sei die Erkenntnis, wie schnell man aus einem Tief wieder auftauchen könne, "und dass man sich niemals hängen lassen sollte". Der Norweger Svindal sei ein Beispiel dafür, der lebensgefährlich verletzt war und monatelang weg von der Szene und jetzt wieder ganz oben steht, "oder Bode Miller, der noch nie Olympiasieger war und hier nach drei Rennen schon einen kompletten Medaillensatz hatte ...Der sagte im Sommer auch, er will nicht mehr", so wie Neureuther es gesagt hatte nach dem Desaster von Alta Badia. "Turin war für Bode auch eine Katastrophe, ähnlich wie bei mir. Ich würde es hier auch gern so machen wie Bode."

Ein schöner Vergleich, aber die Pointe ist nicht wirklich frech gemeint. Denn er habe noch was gelernt, sagt Felix Neureuther: "Besser nicht so große Töne spucken. Die Topfavoriten sind andere: Herbst, Kostelic, Lizeroux, Raich. Es sind extrem viele, die um eine Medaille fahren. Ich kann mich glücklich schätzen, zu diesem Kreis zu gehören." Zu verlieren hat er ohnehin nichts mehr, seit Kitzbühel.

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