Olympia: Simon Ammann:"Unterschied zwischen den Ohren"

Hinzu kam der Spott. Bei der Sportlerwahl 2005 in der Schweiz zog sich Ammann ein T-Shirt über den Kopf, um zu Ehren der Fußball-Nationalmannschaft deren Torjubel zu imitieren. Blindlings lief der Skispringer in Richtung Bühne und prallte mit dem Kopf gegen den Arm einer Fernsehkamera. In der öffentlichen Wahrnehmung war Ammann am Tiefpunkt seiner Karriere angekommen. Es grenzte an ein Wunder, dass er sich bei der unfreiwilligen Slapstick-Einlage nicht ernsthaft verletzte.

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Die Olympischen Winterspiele 2006 in Turin beendete Ammann als Springer der Mittelklasse. Als ein Jahr später die Durststrecke überwunden schien und der Schweizer bei der WM in Sapporo gewann, reagierte die Öffentlichkeit misstrauisch. Eine Olympia-Goldmedaille sei eben mehr wert als WM-Gold, schlussfolgerte Ammann und beklagte die geringe Aufmerksamkeit für seinen Triumph.

Umso surrealer muss ihm das jetzige Comeback vorgekommen sein. Schon nach dem Triumph auf der Normalschanze in Vancouver war Ammann kaum zu halten, er sprang im Schnee auf und ab, ballte die Fäuste und reckte das Victory-Zeichen in den Himmel.

"Unterschied zwischen den Ohren"

Bei der Verleihung der zweiten Goldmedaille posierte Ammann wie ein wild gewordener Muggle, riss den Mund weit auf und ließ seine Zähne neben dem Edelmetall blitzen. "Ich habe einfach das Selbstvertrauen", sagte er, und man glaubte es ihm aufs Wort.

Daheim in der Schweiz feierten die Boulevardmedien den "Gold-Simi" in großen Lettern. "Er ist der Beste, weil er den Unterschied zwischen den Ohren hat", schrieb das Revolverblatt Blick und die seriöse Neue Zürcher Zeitung sah Ammann nach Jahren der Schmach in der "Top-Liga angekommen".

Nach Ansicht der Schweizer Medien hat die Geschichte des Zauberlehrlings die finale Wendung zum Guten genommen, und wie schön passte es da ins Bild, dass Ammann dabei auch noch dunklen Mächten eine empfindliche Niederlage verpasste. Diese Rolle hatten aus Sicht der Schweizer die Nachbarn aus Österreich inne, die mit einem offiziellen Protest gegen die Ausrüstung Ammanns gedroht hatten.

Schlierenzauer zollt Respekt

Die Schweizer kamen ihnen zuvor und ließen das neuartige System ihrerseits vom Internationalen Skiverband (FIS) prüfen. Dabei handelt es sich um eine Bindungstechnik, die dem Skispringer angeblich Vorteile beim Flug verschafft. Die Experten des Verbands sahen darin kein Problem, die Österreicher machten einen Rückzieher.

Ammann sagte rückblickend, die Diskussion um die Wunderbindung hätte ihn mental stärker gemacht. Es klang wie ein Dankeschön. Österreichs Bester, Bronzemedaillengewinner Gregor Schlierenzauer, zollte dem Kontrahenten ungeahnt aller Technik-Streiterei Respekt - ungefähr so, wie man das bei einem Zauberer machen würde: "Er ist beeindruckend."

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