Olympia: Simon Ammann:Magie mit Brille

Nach seinem Rekord-Olympiasieg denkt Skispringer Simon Ammann über Rücktritt nach. Warum auch nicht? Der Schweizer hat alles erlebt: Große Siege - und tiefe Depression.

Michael König

Er trug wieder Brille. Ein weißes, großflächiges Pilotenmodell mit getönten Gläsern. Simon Ammann sah aus wie der Star eines Roadmovies der siebziger Jahre, als er in Vancouver das Podium erklomm, um sich für seine zweite Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 2010 feiern zu lassen.

Olympia 2010, Skispringen, Simon Ammann; dpa
(Foto: Foto: dpa)

Vor einer Woche hatte der 28 Jahre alte Schweizer auf der Normalschanze gewonnen, am Samstag ließ er den Sieg auf der Großschanze folgen. Es war seine ingesamt vierte Olympia-Goldmedaille. Damit ist er der erfolgreichste Schweizer bei olympischen Winterspielen und löst den Finnen Matti Nykänen als besten Einzel-Skispringer bei Olympia ab: Nykänen sammelte ebenfalls vier Goldmedaillen, eine davon jedoch im Team-Wettbewerb.

"Ich hatte wieder diese magische Kraft", sagte Ammann nach seinem Rekordflug. Eine gewollte Anspielung? "Harry Potter" hatten sie ihn gerufen, 2002, als der damals 21 Jahre alte Spross einer Bergbauernfamilie aus dem Toggenburg in der Ostschweiz in Salt Lake City triumphierte. Gold auf der Normal-, Gold auf der Großschanze. Es war eine Sensation. Auch damals trug Ammann Brille, ein rundes, schwarzes, dünnes Gestell. Es war nicht viel Kreativität nötig, um den fliegenden Schweizer mit dem Zauberlehrling aus Joanne K. Rowlings Bestseller zu vergleichen. Zumal sich Ammann sehr bescheiden gab. Es sei eine Ehre, "zwischen diesen Champions" zu sein, sagte der Schweizer im Hinblick auf die damaligen Zweit- und Drittplatzierten Sven Hannawald und Adam Malysz. "Vielleicht bin ich auch einer", fügte er schüchtern hinzu.

2003 ganz unten

Medien und Fans auf der ganzen Welt gefiel diese Attitüde. Die amerikanischen Star-Talkmaster Jay Leno und David Lettermann luden Ammann nach dem Olympiatriumph in ihre Sendung ein. Bei "Wetten, dass ..?" saß der Schweizer neben Thomas Gottschalk auf der Couch. Der Zauberlehrling wurde eine internationale Berühmtheit. Doch der Hype hielt nur etwas länger als ein Jahr.

Im Dezember 2003 hieß es, er sei abgestürzt, vom Besen gefallen wie ein unvorsichtiger Quidditch-Spieler in den Potter-Büchern. Im Weltcup rangierte Ammann weit hinten, der Nationaltrainer verpasste dem vermeintlichen Wunderkind Sonderschichten im Training. "Wenn ich nicht mehr springen kann, muss ich es halt lernen", sagte der Olympiasieger und erntete Mitleid.

Lesen Sie weiter auf Seite 2

"Unterschied zwischen den Ohren"

Hinzu kam der Spott. Bei der Sportlerwahl 2005 in der Schweiz zog sich Ammann ein T-Shirt über den Kopf, um zu Ehren der Fußball-Nationalmannschaft deren Torjubel zu imitieren. Blindlings lief der Skispringer in Richtung Bühne und prallte mit dem Kopf gegen den Arm einer Fernsehkamera. In der öffentlichen Wahrnehmung war Ammann am Tiefpunkt seiner Karriere angekommen. Es grenzte an ein Wunder, dass er sich bei der unfreiwilligen Slapstick-Einlage nicht ernsthaft verletzte.

3D-Filme der Wettkampfstätten:Orte für goldene Träume Bitte klicken Sie auf das Bild, um die Filme aufzurufen: Olympia 2010

Die Olympischen Winterspiele 2006 in Turin beendete Ammann als Springer der Mittelklasse. Als ein Jahr später die Durststrecke überwunden schien und der Schweizer bei der WM in Sapporo gewann, reagierte die Öffentlichkeit misstrauisch. Eine Olympia-Goldmedaille sei eben mehr wert als WM-Gold, schlussfolgerte Ammann und beklagte die geringe Aufmerksamkeit für seinen Triumph.

Umso surrealer muss ihm das jetzige Comeback vorgekommen sein. Schon nach dem Triumph auf der Normalschanze in Vancouver war Ammann kaum zu halten, er sprang im Schnee auf und ab, ballte die Fäuste und reckte das Victory-Zeichen in den Himmel.

"Unterschied zwischen den Ohren"

Bei der Verleihung der zweiten Goldmedaille posierte Ammann wie ein wild gewordener Muggle, riss den Mund weit auf und ließ seine Zähne neben dem Edelmetall blitzen. "Ich habe einfach das Selbstvertrauen", sagte er, und man glaubte es ihm aufs Wort.

Daheim in der Schweiz feierten die Boulevardmedien den "Gold-Simi" in großen Lettern. "Er ist der Beste, weil er den Unterschied zwischen den Ohren hat", schrieb das Revolverblatt Blick und die seriöse Neue Zürcher Zeitung sah Ammann nach Jahren der Schmach in der "Top-Liga angekommen".

Nach Ansicht der Schweizer Medien hat die Geschichte des Zauberlehrlings die finale Wendung zum Guten genommen, und wie schön passte es da ins Bild, dass Ammann dabei auch noch dunklen Mächten eine empfindliche Niederlage verpasste. Diese Rolle hatten aus Sicht der Schweizer die Nachbarn aus Österreich inne, die mit einem offiziellen Protest gegen die Ausrüstung Ammanns gedroht hatten.

Schlierenzauer zollt Respekt

Die Schweizer kamen ihnen zuvor und ließen das neuartige System ihrerseits vom Internationalen Skiverband (FIS) prüfen. Dabei handelt es sich um eine Bindungstechnik, die dem Skispringer angeblich Vorteile beim Flug verschafft. Die Experten des Verbands sahen darin kein Problem, die Österreicher machten einen Rückzieher.

Ammann sagte rückblickend, die Diskussion um die Wunderbindung hätte ihn mental stärker gemacht. Es klang wie ein Dankeschön. Österreichs Bester, Bronzemedaillengewinner Gregor Schlierenzauer, zollte dem Kontrahenten ungeahnt aller Technik-Streiterei Respekt - ungefähr so, wie man das bei einem Zauberer machen würde: "Er ist beeindruckend."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: