Olympia:"Sie liest ein Rennen während des Wettkampfs"

Biathlon - Winter Olympics Day 6

Mal sehen, was die Konkurrenz so macht: Laura Dahlmeier schaut sich gern etwas von anderen ab, das ist Teil ihres Erfolgsrezepts.

(Foto: Adam Pretty/Getty Images)

Laura Dahlmeiers Trainer Bernhard Kröll verrät, bei wem sich die Biathletin Tricks abschaut, welche Fähigkeiten sie auszeichnen und was sie von Magdalena Neuner unterscheidet.

Interview von Saskia Aleythe, Pyeongchang

Laura Dahlmeier tut es schon wieder: Nach der WM 2017 in Hochfilzen hat sie auch bei den Olympischen Spielen einen Lauf. Nach Gold in Sprint und Verfolgung gewann die 24-Jährige Bronze im Einzel. Im vergangenen Sommer hat sich Dahlmeier mit eigenen Trainingsplänen auf die Saison vorbereitet, ihren Heimcoach Bernhard Kröll hat sie hauptsächlich am Schießstand getroffen. Er kennt sie seit neun Jahren und erklärt das Phänomen Dahlmeier.

SZ: Wo andere zitterten, hat Laura Dahlmeier mit ihrer Nervenstärke am Schießstand in Pyeongchang bisher am meisten beeindruckt - es scheint sie sogar zu beflügeln, wenn sie im Duell Frau gegen Frau beim Schießen steht. Woran liegt das?

Bernhard Kröll: Das direkte Duell war schon immer das, was ihr getaugt hat. Diese Nervenstärke hat die Laura einfach, das ist ihr mitgegeben worden. Es ist aber auch eine Trainingssache, dass sie auch dort die Herausforderung sucht, den letzten Schuss zu treffen.

Im Einzelrennen hat sie sich gleich beim ersten Schießen einen Fehler geleistet, später erklärte sie: Sie hat danach an das Einzel bei der WM in Hochfilzen gedacht, wo sie trotz Schießfehler noch Gold gewonnen hat. Kann man solche mentalen Kniffe lernen?

Man kann sich Unterstützung holen, aber sie ist da gut veranlagt, dass sie so positive Erlebnisse in diesem Moment wieder ins Gedächtnis ruft und auf keinen Fall jemand ist, der sich denkt: "Hoffentlich klappt das noch." Im Gegenteil, sie ist dann noch konzentrierter und weiß genau, jetzt muss sie noch gewissenhafter arbeiten. Wo andere Sportlerinnen nervös werden, kann sie es gnadenlos umsetzen, fokussiert zu bleiben.

Fokussiert bleiben, akribisch arbeiten - das hört man im Zusammenhang mit Laura Dahlmeier immer wieder. Wie sieht das konkret aus?

Sie hat schon früh angefangen, sich viel bei anderen abzugucken. Das ist ihr Markenzeichen: Wenn sie heute die Stärkste ist im Wettkampf, versucht sie trotzdem noch, besser zu werden. Sie guckt dann bei der weiblichen und männlichen Konkurrenz, was sie sich abschauen kann.

Ausgerechnet die Konkurrenz hilft ihr also. Bei wem schaut sie sich was ab?

Die Lauftechnik von Martin Fourcade hat sie für sich analysiert, und sie guckt jetzt sicherlich auch, was Johannes Thingnes Bö besser macht als er. Beim Schießen sind es Bewegungsabläufe: Wie schnell ich von der Ankunft an der Matte zum ersten Schuss komme und nach dem letzten Schuss wieder von der Matte weg. Im Juniorenbereich hat sie das schon gemacht, zu der Zeit war Lukas Hofer der Schnellste auf der Matte, das hat ihr imponiert. Stundenlang hat sie dann probiert, die Waffe zu schultern. Das sind Sachen, wo sich andere Jugendliche in dem Alter noch keine Gedanken machen. Sie hat sich immer schon an den besten Biathleten orientiert und auch an Kleinigkeiten gearbeitet. Das ist eine Eigenschaft, die nicht jede Sportlerin hat. Bei ihr gilt der Spruch: Stillstand ist Rückschritt. Der trifft 100 Prozent zu.

Und die Konkurrenz arbeitet nicht so akribisch?

Einige sicherlich, aber vielleicht macht die Laura im Moment einen Tick mehr. Und dann kommt eben das Talent im Schießen und im läuferischen Bereich dazu und die mentale Stärke. Das Gesamtpaket macht da den Unterschied.

Kröll erklärt, was Dahlmeier von Neuner unterscheidet

Im Sprint von Pyeongchang hat sie sich beim zweiten Schießen eine Matte ausgesucht, wo sie bessere Windbedingungen vermutet hat. Im Verfolger hat sie ihrer Konkurrentin Anastasiya Kuzmina am Berg den Vortritt gelassen, um im Windschatten zu laufen, auch wegen der böigen Verhältnisse. Hebt sie diese Fähigkeit zum Analysieren während des Wettkampfs auch von den anderen ab?

Sicherlich. Laura liest ein Rennen während des Wettkampfes. Sie analysiert es und gestaltet den Rennverlauf entsprechend: Dass sie sich hinter Kuzmina einordnet wegen dem Windschatten, dass sie sich die Bahn 30 ausguckt, wo es weniger windig war. Sie ist in der Lage, währenddessen Rückschlüsse zu ziehen und die richtigen Entscheidungen zu treffen.

In Pyeongchang wird sie wahrscheinlich alle sechs Rennen bestreiten, ein hohes Pensum in zwei Wochen. Wie kommt es, dass sie sich immer wieder erholen kann?

Das ist Resultat ihres vielen Trainings, das sie über die Jahre schon hatte. Sie hat sich eine sehr gute Grundlagenausdauer geschaffen, was eine Voraussetzung ist für eine gute Regeneration. Da kommt ihr auch ihr Hobby entgegen. Nicht jedem Sportler würde das Klettern guttun, aber ihr hilft das, da muss sie an ihre Grenzen gehen. Und sie kann das aufs Biathlon übertragen. Da ist es nachvollziehbar, dass die Regeneration auch nach einer Maximalbelastung im Rennen gut vonstatten geht.

Verschiebt sie manchmal ihre Grenzen?

Das ist bei ihr ähnlich wie bei Magdalena Neuner. Wenn ich mit einem Auto Vollgas fahre, wird bei 220 km/h abgeriegelt und dann geht es nicht mehr. Magdalena und Laura können diesen Riegel lösen. Und über die 100 Prozent gehen. Das ist eine Fähigkeit, die haben die wenigsten.

War Neuner ein anderer Typ Biathletin?

Ich vergleiche sie nicht gerne, jede hat zu ihrer Zeit das Frauen-Biathlon beherrscht. Aber wenn ich müsste, würde ich sagen: Bei Magdalena war die Willensstärke das Dominanteste, bei Laura ist es der Perfektionismus. Es wird nichts einfach so gemacht, sondern es wird alles durchdacht, was sie macht. Bei Magdalena gibt es genügend Beispiele, wo sie in der letzten Runde noch aufholen konnte, wo sie nur noch der Wille nach vorne getrieben hat.

In ihrer Trainingsgruppe sind Juniorinnen und aktuelle Weltcup-Athletinnen zusammen, Laura Dahlmeier hat schon mit Magdalena Neuner trainiert, Magdalena Neuner mit Martina Beck, geborene Glagow. Welche Vorteile bringt das mit sich?

Die Jüngeren können sich an den Erfahreneren orientieren, um zu sehen: Das und das kann ich leisten, da muss ich hinkommen, um eine Rolle zu spielen im Weltcup. Der Erfahrungsaustausch ist natürlich da, sie reden ja miteinander. Es ist was anderes, ob ich im Deutschlandpokal starte, wo 30 Zuschauer kommen oder im Weltcup, wo vielleicht 10 000 sind. Für die Älteren ist es auch nicht von Nachteil, weil sie sehen: Da kommen die Jungen, ich darf nicht nachlassen, sonst überholen sie mich. Es ist, glaube ich, eine Win-win-Situation.

Nach ihrem Olympiasieg im Sprint wurde Laura Dahlmeier gefragt, was sie sich nun noch vornimmt, sie sagte: "Ich weiß nicht, was ich morgen mache oder nächstes Jahr." Bei Olympia merkt sie zudem, dass Medientermine sie stark beanspruchen. Könnte sie das zum Aufhören bewegen? Ihren Kindheitstraum hat sie sich erfüllt.

Das kann ich nicht sagen. Es ist auf jeden Fall sinnvoll, dass sie auch mal einen Termin absagt, um sich richtig erholen zu können. Ich denke, man hat schon daraus gelernt, was bei Magdalenas Zeiten los war. Laura ist nicht der Typ für so viel Trubel. Sie ist jetzt in der glücklichen Situation, dass sie schon früh alles erreicht hat, was man im Biathlon erreichen kann. Wann sie aufhört, ist absolut kein Thema momentan. Sie wird sich darüber Gedanken machen, wenn die Weltcups vorbei sind.

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