Kolumne „La Glosse“:Sehnsuchtsobjekt in XXXXXL

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Erhältlich im Normalformat – oder in der Monstervariante für 800 Euro: das Olympia-Maskottchen Phryge. (Foto: Kirill Kudryavtsav/AFP)

Bei Olympia ist alles eine Spur härter – auch der Wettbewerb, der für alle Besucher offen ist: Im Shoppen kann jeder Erster und Erste sein, der offizielle Merchandise-Laden ist der Kampfplatz.

Glosse von Holger Gertz, Paris

Die französische Sprache lässt auch das Gewöhnliche erhaben klingen, aus Wurst wird saucisse, aus Storch wird cigogne. Und aus einem Merchandise-Laden wird die „Boutique officielle Paris 2024“. Wer den Begriff Boutique gedanklich mit Handverlesenem in Verbindung bringt, der hat von der olympischen Eigenwelt allerdings wenig verstanden. Bei den Spielen von Paris sind die Olympia-Shops das Sehnsuchtsziel des Massenpublikums.

Die größte Boutique officielle, 1000 Quadratmeter, liegt auf der Avenue des Champs-Élysées, gleich bei der Place Clemenceau. Charles de Gaulle schaut vom Sockel runter, der General mit der charismatischen Mütze (Képi, sagen die Franzosen) hat schon viel Gewusel zu seinen Füßen erlebt, aber in diesen Tagen ist der Auftrieb noch mal besonders. Das Publikum bei Olympia kann leider nicht selbst um Medaillen schwimmen, boxen, rennen, aber ein Wettbewerb ist für alle offen: Im Shoppen kann jeder Erster und Erste sein. Man muss nur früh raus dafür. Jeden Tag steht von zehn Uhr an eine lange und sich windende Schlange vor dem Eingang. Alle wollen shoppen. Die Boutique officielle ist ihr Kampfplatz, ihre Arena, ihr Stadion.

Wie wollen Sie die Leute vorm Kaufrausch bewahren, wenn 246 T-Shirts an den Stangen hängen?

Apropos de Gaulle: „Wie wollen Sie ein Volk regieren, das 246 Käsesorten besitzt?“, soll der General über die Franzosen gesagt haben. Runtergebrochen auf die Gegenwart: Wie wollen Sie die Leute vorm Kaufrausch bewahren, wenn 246 T-Shirts an den Stangen hängen? Diesmal gibt es nicht nur die Hemden mit den olympischen Ringen, es gibt auch die diversen Trikots und Shirts der französischen Teams, mit gallischem Hahn und ohne, mit Aufdruck „France“ in Blau oder Silber. Und diesmal gibt es auch das Maskottchen nicht nur im Normalformat, man kriegt es auch in Megaausführung, XXXXXL. Ein anständiger Brocken. Oder, eleganter auf Französisch gesagt: „Peluche géante made in France“. Dafür sind die 800 Euro doch gut investiert.

Bei Olympia ist alles eine Spur härter. Wer shoppt, der duelliert sich um die passenden Shirts, die Uhr tickt, große Größen sind doch immer so schnell ausverkauft. Wer shoppt, schleppt am Ende das Riesenmaskottchen aus dem Laden und ist damit unversehens zum Gewichtheber geworden. Wer shoppen will, muss vorher lange warten. Aber dies hier ist Paris: Wann wartet man schon so privilegiert, mit Blick auf den Arc de Triomphe?

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