Olympia:Semenya rennt allen Debatten davon

Olympia: Weit vor dem Rest: Caster Semenya.

Weit vor dem Rest: Caster Semenya.

(Foto: AP)

Über 800 Meter stehen auf dem Podium gleich drei Athletinnen, die als intersexuell gelten. Sie müssen wegen ihres komplexen Körpers einen Streit über sich ergehen lassen. Ist das gerechtfertigt?

Von Jürgen Schmieder

Es ging bei diesem Rennen über 800 Meter nicht darum, wer es gewinnen würde. Wer Silber und Bronze erreichen würde. Es ging auch nicht darum, ob jemand den Weltrekord über diese Strecke würde brechen können - den ältesten der Leichtathletik übrigens und damit freilich eine der besudeltsten Bestmarken der Sportgeschichte. Die interessantere, die gesellschaftlich bedeutsamere Frage, sie lautete: Wie würde die Leichtathletik, wie würde der Sport, wie würden die Menschen im Stadion von Rio und vor den Fernsehern weltweit mit diesem Rennen umgehen?

Es gewann Caster Semenya (Südafrika), sie blieb exakt zwei Sekunden über dem Weltrekord von Jarmila Kratochvílová (Tschechoslowakien, 1:53,28 Sekunden) aus dem Jahr 1983. Hinter ihr kamen Francine Niyonsaba (Burundi) und Margaret Nyairera Wambui (Kenia) ins Ziel. Das Besondere, das Bedeutsame, das Diskutierenswerte dabei: Alle drei Medaillengewinnerinnen gelten als intersexuell - also nicht eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen.

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"Es fühlt sich einfach großartig an. Der Fokus hier lag nur auf dem Rennen, nichts anderem", sagte Semenya hinterher: "Wir haben uns auch nicht auf den Weltrekord fokussiert. Wir haben uns darauf fokussiert, die Besten zu sein. Es geht nicht darum, dich mit Zeiten oder Gegnern zu messen. Du musst einfach der beste Athlet sein, der du sein kannst. Ich denke, ich habe eine Menge bewirkt, meine Leute sind stolz auf mich, darum ging es. Für die mache ich das alles hier."

Zur Diskussion um dieses Rennen sagte Semenya genau zwei Sätze: "Wir sind nicht hier, um über Spekulationen zu reden. Diese Pressekonferenz ist über die 800 Meter, die wir gerade gelaufen sind, dankeschön."

Die Debatte um Semenya, 25, ist nicht neu, es gibt sie seit mindestens sieben Jahren, als sie Weltmeisterin in Berlin wurde. Da kam eine muskelbepackte und burschikose Frau mit tiefer Stimme daher und gewann derart locker, dass die Welt zu debattieren begann, ob Semenya eine Frau sei oder doch ein Mann. Es folgte ein entwürdigendes Theater mit Geschlechtstest und Sperre und Aufheben der Sperre. Semenyas komplexer Körper passte nicht in eine Sportwelt, die gerne misst und kategorisiert und regelt.

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Francine Niyonsaba (links), Caster Semenya (rechts) und Margaret Nyairera Wambui auf dem Podium von Rio.

(Foto: Getty Images)

Es gibt kein Schwarz und Weiß in dieser Debatte, es gibt lediglich sehr viele Schichten von Grau - so wie Semenyas Körper wohl auch irgendwo zwischen Mann und Frau liegt: Die australische Zeitung Daily Telegraph zitierte eine angeblich gut informierte Quelle, man habe herausgefunden, dass Semenya intersexuell sei. Das ist gar nicht mal so selten in der Natur, es ist aber selten im Sport, der eindeutig zwischen Mann und Frau unterscheiden will und weshalb sich viele Menschen, die da debattieren, klar einem Lager zuordnen. Es gibt Fans und Gegner, Freunde und Feinde, Schwarz und Weiß.

Es gibt jedoch keine einfachen Antworten in dieser Debatte - und vielleicht sind die Antworten von Semenya gar nicht mal so verkehrt. Sie sagt: nicht viel. Sie läuft lieber.

Sportgerichtshof Cas mischt sich in die Debatte ein

Sie läuft wieder sehr schnell, seit das Internationale Olympische Komitee und der Leichtathletik-Sportverband IAAF vom Sportgerichtshof Cas dazu aufgefordert worden sind, den 2011 eingeführten sogenannten Hyperandrogenismus-Paragrafen mit einem Höchstwert an Testosteron (eine einfache Lösung) wieder abzuschaffen. Ihre Befürworter sagen, die mittelmäßigen Leistungen hatten mit Verletzungen und Partys zu tun. Den Gegnern dienen die nun wieder erstaunlichen Zeiten als Indiz, dass sie durchaus davon profitiere, keine Medikamente mehr gegen den hohen Testosteronspiegel nehmen zu müssen.

Es ging also weniger um Sieger und Verlierer bei einem Rennen, sondern erst einmal darum, wie Semenya und auch die Konkurrentinnen Niyonsaba und Wambui mit diesem Rennen umgingen. Semenya kam ohne Bewegungen der Gesichtsmuskulatur ins Stadion, bei der Vorstellung wischte sie mit den Fingern über die Schultern. Das ist eine Geste, die durchaus symbolisiert: Mir völlig egal, was da debattiert wird - das bleibt an mir so hängen wie Butter an einer Teflonpfanne.

Das Publikum im Stadion applaudiert artig

Semenya lief vornweg, nach kurzer taktischer Pause übernahm sie 200 Meter vor dem Ende die Kontrolle und gewann locker. Danach präsentierte sie ihre Oberarmmuskeln, gratulierte allen anderen Läuferinnen persönlich - und wischte sich wieder über die Schultern. Dann begab sie sich mit den anderen beiden Medaillengewinnern auf eine Ehrenrunde. Das Publikum applaudierte artig, es gab weder Jubel noch Schmährufe. Bei der Siegerehrung dann gab es stehende Ovationen für die drei Medaillengewinnerinnen.

Vielleicht ist das der angemessene Umgang mit diesem Rennen: die Leistung dieser Menschen anerkennen, die ihren Testosteronwert von der Natur geschenkt bekamen und nicht aus Spritzen und Pillen bezogen. Ihnen gratulieren - und sie danach einfach in Ruhe lassen. Die Debatten allerdings, wir sind hier schließlich beim Profisport, sie werden weitergehen. Wo kämen wir hin, wenn der Mensch nicht regeln und kategorisieren dürfte, was die Natur ungeregelt und unkategorisiert gelassen hat? IAAF-Präsident Sebastian Coe hatte bereits vor dem Rennen angekündigt, die Entscheidung des Cas bezüglich der Testosteron-Höchstwerte anfechten zu wollen.

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