Florian Wellbrock:„Einfach nur fassungslos und traurig“

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Ursachenforschung: Die Trainingsleistungen seien „fantastisch“ gewesen, die Vorbereitungswettkämpfe „sehr gut“, sagt Florian Wellbrocks Trainer Bernd Berkhahn. (Foto: Evgenia Novozhenina/Reuters)

Olympiasieger Florian Wellbrock scheidet auf seiner Paradestrecke im Becken über 1500 Meter im Vorlauf mit indiskutablem Rückstand aus. Dabei war er kurz vor Paris noch Spitzenzeiten geschwommen. Was ist seitdem passiert?

Von Sebastian Winter, Paris

Florian Wellbrock klatschte am Samstag noch mit Sven Schwarz ab nach dem olympischen Vorlauf über 1500 Meter Freistil, wie man das so macht unter Schwimmern, die zusammen in Magdeburg trainieren. Aber es war ein Handschlag der Enttäuschten. Schwarz hatte nicht seine volle Leistungsfähigkeit entfalten können, Wellbrock noch viel weniger. Beide verpassten das Finale. Während Schwarz Zehnter wurde, landete Wellbrock in indiskutablen 15:01,88 Minuten nur auf Platz 14, mehr als 21 Sekunden hinter Vorlaufsieger Daniel Wiffen aus Irland, dem 800-Meter-Olympiasieger.

21 Sekunden, das sind Schwimmwelten. Eine Zeit über 15 Minuten: Für Wellbrock, 26, ist das nicht viel weniger als ein Offenbarungseid. Sein deutscher Rekord, aufgestellt am 21. April 2023 bei den Berlin Swim Open steht bei 14:34,89. Was muss passieren, um binnen eines Jahres fast 30 Sekunden auf seine eigene Bestzeit zu verlieren?

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Wellbrock schwieg dazu. Er nahm den Hinterausgang, kam nicht durch die Interviewzone, auch die Fernsehteams warteten vergeblich auf ihn. Man sah daher nur, ob in der Halle oder auf den TV-Bildern, die Fakten eines Rennens, in dem Wellbrock mit den Spitzenathleten mithalten konnte, er war vorn dabei – bis er kurz vor der Hälfte der Strecke in ein Leistungsloch plumpste, abreißen ließ und immer weiter zurückfiel.

Auch bei der Weltmeisterschaft 2023 in Fukuoka war er über 800 und 1500 Meter im Vorlauf ausgeschieden. Drei Jahre nach seinem Olympiasieg über 10 Kilometer und der Bronzemedaille über 1500 Meter in Tokio hat er nun wieder einen doppelten Knockout erlitten: Vorlauf-Aus über 800 Meter am Montag, nun Vorlauf-Aus über seine Paradestrecke im Becken, die 1500 Meter.

„Das passt alles nicht zusammen, das kriege ich nicht zusammen“, sagt sein Trainer

Wellbrock blieb dann noch länger in der Schwimmhalle, später zum gemeinsamen Teamfoto im Olympischen Dorf kam er auch, wie Sportdirektor Christian Hansmann der SZ bestätigte: „Er ist natürlich sehr geknickt und enttäuscht. Ich habe ihm gesagt, er soll den Kopf freibekommen und all seine Konzentration nun auf den Freiwasserwettkampf legen.“ Öffentlich über sein Debakel reden wollte Wellbrock am gesamten Wochenende aber nicht.

Dafür versuchte sich Trainer Bernd Berkhahn an Erklärungen, aber auch er wirkte konsterniert: „Das passt alles nicht zusammen, das kriege ich nicht zusammen. Es gab keinen Grund, über 15 Minuten zu schwimmen. Es gab einen Grund, unter 14:40 Minuten zu schwimmen.“ Die Trainingsleistungen seien „fantastisch“ gewesen, die Vorbereitungswettkämpfe „sehr gut“. Bei der WM in Doha im Februar 2024 gewann Wellbrock Silber über die gleiche Strecke.

Wellbrock habe das Resultat im kurzen Gespräch mit dem Bundestrainer damit erklärt, dass er, „als es dann losgehen sollte, nicht mehr den Druck gefunden hat und nicht mehr richtig ansteuern und Kraft einsetzen konnte“, wie Berkhahn sagte. Der Coach räumte ein: „Wir sind im Moment einfach nur fassungslos und traurig, dass das Rennen so verlaufen ist. Wir haben daran geglaubt, auch Florian, dass er richtig was drauf hat.“

So langsam? Florian Wellbrock blickt nach seinem 800-Meter-Rennen auf die Anzeigetafel. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Eine kleine Corona-Welle schwappt gerade, zumindest bei den Schwimmern, durchs Olympische Dorf, der Brite Adam Peaty, dreimaliger Olympiasieger, machte seine Infektion nur wenige Stunden nach dem Gewinn seiner Silbermedaille über 100 Meter Brust öffentlich. Aber Berkhahn konnte bei Wellbrock auch nicht fehlende Fitness oder gesundheitliche Einschränkungen ausmachen: „Nein, er ist auch ausgeschwommen. Alles gut.“

Und der Kopf? „Nee, eigentlich nicht.“

Noch einmal zurück zur WM in Fukuoka. Da hatte Wellbrock im Freiwasser WM-Doppelgold gewonnen, danach ging er im Becken leistungsmäßig unter. „Das ganze System Florian Wellbrock“ sei „von heute auf morgen gekippt“, sagte er danach. In Paris sagte er am Montag nach dem auf Platz zwölf deutlich verpassten 800-Meter-Finale: „Der Rückschluss ist, dass ich immer noch keine wirklich gute Rennstrategie, kein gutes Gefühl für diese 800 Meter habe.“

Wellbrock hat als Titelverteidiger noch Chancen im Freiwasserschwimmen

Florian Wellbrock scheint in den wichtigsten Momenten etwas verloren zu haben, das jeder Profischwimmer braucht. Das Gefühl fürs Wasser, das Gespür dafür, sein Rennen richtig einzuteilen – und im entscheidenden Moment zu kontern, wenn der Angriff der Konkurrenz erfolgt. Das, was ihn im Freiwasser so herausragend auszeichnet, dieses Vornewegschwimmen, die Konkurrenz zu dominieren, sie zu kontrollieren, ist im Becken verschwunden.

Coach Berkhahn hat Wellbrock nach dem 800-Meter-Rennen 24 Stunden freigegeben, um durchzuatmen, den Kopf auszulüften. Aber frei wurde das System Wellbrock dadurch nicht. „Ich bin sehr betroffen davon, das muss man schon sagen“, erklärte der Trainer. „Weil ich dann auch an meiner Arbeit zweifle und sie infrage stelle.“

Am kommenden Freitag steht der Freiwasserwettbewerb über 10 Kilometer in der Seine an, wenn denn die Wasserqualität passt. Es ist ein Setting, das ihm nicht behagt, Wellbrock würde viel lieber am Ausweichstandort an der Ruderstrecke im Osten von Paris schwimmen, wo es keine Strömung gibt, das Wasser wärmer ist und die Bedingungen besser abzuwägen sind.

Man darf davon ausgehen, dass Florian Wellbrock nun inständig auf eine Verlegung hofft. Er ist immerhin der Titelverteidiger, der Olympiasieger von Tokio 2021. Damals bezwang er das Meer und schwamm seine Konkurrenten in Grund und Boden. Man darf auch davon ausgehen, dass er nun eine Trotzreaktion zeigen will, er war oft gut darin. Und er ist auf Wiedergutmachung aus.

Doch die Seine, diese braune Brühe, in der grenzwertig viele Bakterien schwimmen, dazu Autoreifen, Paletten und dicke Äste: sie könnte – auch wenn ihm das nicht zu wünschen ist – zu Wellbrocks Schicksalsfluss werden bei seinen vielleicht letzten Olympischen Spielen.

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