Rodel-Olympiasieger Johannes Ludwig:Wie ein Waggon auf Schienen

Rodel-Olympiasieger Johannes Ludwig: Goldener Reiter: Johannes Ludwig wird im Ziel als Olympiasieger erwartet.

Goldener Reiter: Johannes Ludwig wird im Ziel als Olympiasieger erwartet.

(Foto: Anton Novoderezhkin/ITAR-TASS/imago)

Die Abteilung Rodeln steuert wieder die erste Goldmedaille fürs deutsche Team bei - diesmal durch Johannes Ludwig, den erfahrenen Athleten, der immer noch dazulernt.

Von Volker Kreisl

Gelernt hat er viel, auch als bereits gealterter Rennrodler, nachdem er die 30-Jahre-Grenze überschritten hatte. Johannes Ludwig hatte schon lange diesen Sport betrieben, und blieb doch immer offen für die kleinen Details, die den Unterschied ausmachen zwischen einer Medaille oder einem hinteren Platz. Zum Beispiel die Sache mit dem Energy-Drink.

Den hatte er nun in Peking dabei, womit er anders als vor vier Jahren in Südkorea zwischen den Durchgängen nicht müde wurde. Zum klugen Altern zählt auch seine jüngste Erfahrung in St. Moritz, wo sein Kopf sagte, dass ohnehin alles von selbst laufe, sein Körper aber einen schweren Fehler an einer leichten Stelle beging. "Ich muss immer hellwach bleiben", schloss er daraus mit 35 Jahren, und deshalb ist er jetzt Olympiasieger.

Denn hellwach war Ludwig nicht nur am Sonntag gegen zehn Uhr abends bei seinen finalen Kurven in der Rodelbahn in Yanqing, sondern in allen vier Läufen an diesem Wochenende, nach denen er im ZDF sagte: "Ich bin froh, dass ich all die Jahre am Ball geblieben bin."

Der Oberhofer führte seit dem Beginn dieses Wochenendes die Konkurrenz an. Irgendwelche Schwächen fielen nicht ins Gewicht, leichte Abweichungen von der Ideallinie, etwa im langen Kreisel im unteren Drittel der Bahn, konnte er mit zumeist pünktlichen Lenkeinsätzen ausgleichen. Diese müssen bei etwa 130 Stundenkilometern binnen weniger Zentimeter auf der Bahn per Fußspitzenzucken am Rodel-Horn ausgelöst werden, weshalb dieser Sport auch Präzision jenseits des bewussten Denkens verlangt. Ihm ist dies in Peking am besten gelungen, Silber gewann der Österreicher Wolfgang Kindl vor dem Italiener Dominik Fischnaller.

Es wirkt, als lächele Ludwig den ganzen Druck einfach weg

Max Langenhan aus Friedrichroda wurde Sechster, auf dem etwas undankbaren Platz vier landete wie schon in Pyeongchang Felix Loch, was ihm vielleicht auch deshalb nicht die Laune verhagelte, weil er noch einen exzellenten vierten Lauf hinlegte. Und weil dieses Rennen in Peking wohl doch nicht seine letzte Teilnahme bei Olympischen Spielen sein wird. Wie Loch vor diesem Finale bekannt gab, will er bis zu den Spielen in Mailand und Cortina d'Ampezzo 2026 weiterrodeln. Da wird er 36 Jahre alt sein, was im Kufenrennen kein Alter ist, siehe Ludwig.

Wie gefestigt der Thüringer mittlerweile ist, hatte sich längst im Weltcup angedeutet, da hatte er schon seine Kunst gezeigt, nämlich die ideale Kombination aller Rodeltugenden. Ludwig lenkt pünktlich, er hat aber auch eine ordentlich schnelle Startzeit und seine Aerodynamik sichert ihm weitere entscheidende Hundertstel.

Zudem, seine Position als Top-Favorit machte ihm sichtlich nichts aus, es wirkte, als lächele er den ganzen Druck einfach weg. Bronze hatte er schon 2018 in Pyeongchang gewonnen, doch da stand er noch nicht derart im Fokus. Und nun, beim Rennrodel-Finale im Eiskanal von Peking, das wie üblich im Fernsehen und im Internet, insbesondere wohl auch in seiner Heimat Thüringen lief, rauschte er viermal wie ein Waggon auf Schienen hinab, der auch trotz der leichten Schlenker im Kreisel immer schneller wurde.

Rodel-Olympiasieger Johannes Ludwig: Undankbarer vierter Platz? Rekordweltmeister Felix Loch wirkte nach überstandener Corona-Infektion durchaus zufrieden.

Undankbarer vierter Platz? Rekordweltmeister Felix Loch wirkte nach überstandener Corona-Infektion durchaus zufrieden.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Nichts zu sehen war bei ihm von den Höchstschwierigkeiten, die diese Bahn auch den Besten abverlangt, gleich nach dem Start und besonders im unteren Teil. Als "Scharfrichter" hatte Bundestrainer Norbert Loch die Kurve 13 bezeichnet, dort lag der Thrill kurz vor dem Film-Ende. Die 13 spuckte die Fahrer, die nicht rechtzeitig geradeaus lenkten, gegen die linke Bande, und dann war alles verloren, wie beim Letten Kristers Aparjods, der nach feinem Lauf soeben noch auf Medaillenkurs gelegen hatte. Denn wie so oft in diesem Kanal, verlieren die Schlitten an dieser Flachstelle Anpressdruck, somit büßen die Kufen ihre Haftung ein und schlitterten quer dahin wie ein bremsendes Auto bei Nass-Schnee.

Lochs Konzentration war gemindert, es fehlte ihm Trainingspraxis und am Ende auch die Zeit

Auch Felix Loch, der Sieger der Spiele von Whistler 2010 und Sotschi 2014, war mit dem Kurs im sogenannten "Snow-Dragon", also der Schneedrachen-Röhre, weniger gut zurechtgekommen. Er hatte sich schon am ersten Tag in den Läufen eins und zwei einen empfindlichen Rückstand eingehandelt, der einen Sieg fast unmöglich machte.

Seine dritte Fahrt gelang abermals nicht so rhythmisch wie in seinen besten Zeiten, Loch schoss bei einer Ausfahrt nicht pünktlich aus einer Kurve, sondern touchierte die Bande, stand ebenfalls leicht quer, konnte die Situation aber schnell unter Kontrolle bringen. Dass er die schwierige und entscheidende Passage nach dem U-Turn in der 13. Kurve passabel bewältigte, reichte nicht. Als Vierter behielt er immerhin noch lange Chancen auf Bronze, am Sonntag rutschte er dann zunächst weiter auf Platz fünf zurück, seine Aufholjagd in Teil wieder knapp vor dem Podest.

Womöglich war jene Konzentration, die dem Berchtesgadener sonst immer die entscheidenden Vorteile brachte, eben doch gemindert, auch wenn er das in den Wochen vor den Spielen eher zurückwies. Objektiv fehlte ihm aber Praxis und auch Zeit. Mit dem Verlust der eigenen Trainingsbahn nach der Flutkatastrophe in Königssee musste die sogenannte Trainingsgruppe Sonnenschein zum Training auf andere Bahnen länger anfahren. Und dann hatte er auch noch das Coronavirus erwischt, was ihn abermals in seinen Plänen zurückwarf. "Der vierte Platz ist bitter", sagte Loch später, "das passt zur Saison, sie war ein bisschen schwierig." Am Ende, sagte Loch, müsse er nach seiner Corona-Infektion im Dezember froh sein, überhaupt dabei gewesen zu sein.

Fast zeitgleich hatte sich Johannes Ludwig zum Goldfavoriten entwickelt. Er erklärte jüngst, er habe in den vergangenen Wochen und Monaten begriffen, dass er an einem entscheidenden Punkt stehe, nämlich dass nun gerade "alles zusammenkommt, worauf ich in den letzten Jahren hingearbeitet hatte". Er hatte erkannt, dass die Athletik passt, dass er am Start Bestzeiten paddelt und dass sein Material immer besser wurde. Wer derart viel positive Rückmeldung erhält, von seinen Fans, seinen Trainern, von der Stoppuhr und von den Kufen, der bewegt sich auch im Eiskanal von Erfolgserlebnis zu Erfolgserlebnis - erst im Weltcup und dann bei Olympia, vom ersten bis zum vierten Lauf.

Zur SZ-Startseite
Beijing 2022 Winter Olympics - Previews - Day -3 - Cross-Country Skiing Training

Olympia 2022
:Alles Wichtige zu den Winterspielen in Peking

Finden Sie alle aktuellen Nachrichten, Liveberichte und Ergebnisse zu den Olympischen Winterspielen in unserer Themen-Übersicht.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: