Über ehrwürdige Sportstätten können sich in Paris viele Athleten freuen, aber so gut getroffen wie die Radsportler haben es die wenigsten. Auf der Seine-Brücke Pont Alexandre III rollen sie nach ihren Einzelzeitfahren ins Ziel, ein Ort mit wunderbarer Aussicht auf Eiffelturm und Invalidendom. Bei der Zieldurchfahrt selbst müssen die Pedaleure zwar mit einem Blick auf den Grand Palais vorliebnehmen. Aber die Fahrwege sind so gestaltet, dass sie die noch größeren Sehenswürdigkeiten beim Zurückrollen ins Auge nehmen können.
Dass am Samstag so mancher Fahrer mit einem Kopfschütteln oder einem anderen Zeichen der Unzufriedenheit über die Brücke zurückradelte, hatte aber nichts damit zu tun, dass die Schönheit der Bauwerke über Nacht nachgelassen hat. Sondern vielmehr mit den miesen Streckenbedingungen, auf denen dieser Parcours zu bewältigen war – und der so viele Stürze provozierte. Und das lag zuvorderst natürlich am schlechten Wetter, aber auch an einer Entscheidung des Rad-Weltverbandes (UCI), die die Probleme noch verschärfte. Denn den Fahrern war es nicht möglich, diese schlechten Bedingungen vorab auszutesten.
Dass das Wetter und damit auch die Straßenverhältnisse mies werden würden, war spätestens seit Samstagmorgen klar gewesen. Den Wettbewerb der Skateboarder verschoben die Verantwortlichen wegen der schlechten Bedingungen auf die nächste Woche, bei gestandenen Radprofis kommt so etwas natürlich nicht infrage. Die fahren im Rest des Jahres öfter schon mal über Schnee in den Alpen oder schlammverdreckte Kopfsteinpflaster; denen kann so ein bisschen Regen nichts ausmachen.
Als das Zeitfahren losging, konnte man sich trotzdem fragen, ob sich dort noch eine Veranstaltung im Straßenradsport zutrug – oder ob es sich bei den befahrenen Pariser Teer- und Asphaltabschnitten in Wahrheit nicht um ein Eisrennen handelte. So glitschig war der Untergrund, dass andauernd Sportler hinfielen. Den unfreiwilligen Tiefpunkt der Veranstaltung lieferte die Amerikanerin Taylor Knibb. Die rutschte gleich dreimal aus, und als ihr ein Betreuer ein neues Rad bringen wollte, lag der auch noch flach.
Im Frauenrennen erwischte es rund die Hälfte der Starterinnen, beim direkt im Anschluss ausgetragenen Männerrennen waren es zwar etwas weniger, aber immer noch auffallend viele. Man konnte dem Regen allenfalls zugutehalten, dass er den Tag über weitgehend gleichmäßig über der Strecke daniederging und bei den Siegen von Remco Evenepoel (Belgien) und Grace Brown (Australien) keiner wirklich bevorteilt oder benachteiligt war.
Aber wie die Organisatoren mit dieser Situation umgingen, führte dann schon zu Irritationen im Peloton. Üblicherweise können Radprofis kurz vor einem Zeitfahren die Strecke schon einmal abfahren – und sich dabei auch auf die tagesaktuellen Bedingungen einstellen. Am Samstag in Paris – die Frauen starteten um 14.30 Uhr, die Männer etwas mehr als zwei Stunden später – war das nicht möglich. Stattdessen mussten sich alle an einem kalten Nassstart versuchen.
Maximilian Schachmann wundert sich über das Probefahrtverbot des Weltverbands
„Wir haben eigentlich gedacht, wir könnten am Morgen fahren, aber es gab ein Statement von der UCI, dass das untersagt ist und dass man nicht starten darf, wenn man es trotzdem macht“, wunderte sich etwa der Deutsche Maximilian Schachmann. Der konnte mit seiner Leistung eigentlich recht zufrieden sein, Platz neun wurde es am Ende, nur wenige Sekunden hinter den Schweizer Zeitfahrspezialisten Stefan Küng und Stefan Bissinger. Er habe laut seinem Wattmesser die beste Leistung seiner Karriere gebracht, die besten seien halt „geflogen“, sagte Schachmann.
Den generellen Ablauf fand er nach dem Testverbot trotzdem „schwierig“ , fügte er an; „ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich zu langsam war in den Kurven“. Ganz ähnlich erging es im Frauenrennen Mieke Kröger, die mit Rang 13 ebenso wie ihre Teamkollegin Antonia Niedermaier (15.) hinter den Erwartungen blieb. „In den Kurven bin ich sehr langsam gefahren, das bringt einen ein wenig aus dem Rhythmus“, sagte sie. Und Silbergewinner Filippo Ganna bedauerte es zwar, dass kein Test möglich war – verwies aber darauf, dass dies doch für alle gleich gewesen sei.
Der Rad-Weltverband äußerte sich zunächst nicht zur Frage, warum er den Sportlern die Probefahrt am Morgen untersagt habe. Es war das erste Mal seit Längerem, dass bei Olympischen Spielen das Einzelzeitfahren am Auftakt-Wochenende stattfand. Zuletzt war dies immer der Slot fürs lange Straßenrennen gewesen – das steigt nun erst nächstes Wochenende. Mit einem ähnlich schönen Ambiente im Start- und Zielbereich, nämlich den Gärten des Trocadero direkt am Eiffelturm; und sehr wahrscheinlich trockeneren Bedingungen.