Süddeutsche Zeitung

Olympia-Qualifikation:Zusammengeschweißt

Die deutsche Basketball-Nationalmannschaft wirkt trotz vieler Probleme wie eine Einheit - und könnte sich tatsächlich noch für die Sommerspiele qualifizieren.

Von Ralf Tögel, Split/München

Drei Minuten und fünf Sekunden waren im dritten Viertel noch zu spielen, und Deutschland war draußen. Der russische Guard Grigory Motovilov hatte den Ball zum 49:41 in den Korb gelegt, der Vorsprung hätte genügt, um die Auswahl des Deutschen Basketball Bundes (DBB) aus dem Olympia-Qualifikationsturnier im kroatischen Split zu werfen. Aber das Team von Bundestrainer Henrik Rödl bewies erneut große Moral, kämpfte nach den Mexikanern (82:76) auch die hoch gehandelten Russen mit 69:67 Punkten nieder und schickte den Olympia-Bronzemedaillengewinner von London 2012 auf die Heimreise. Für die DBB-Auswahl dagegen steht an diesem Samstag das Halbfinale gegen Gastgeber Kroatien (16 Uhr) auf dem Programm. Im Falle eines Sieges könnte sich Deutschland am Sonntag im Finale (19.30 Uhr) gegen Brasilien oder Mexiko, die sich im zweiten Halbfinale gegenüber stehen, noch für die Olympischen Spiele in Japan qualifizieren - nur der Turniersieger wird für Tokio zugelassen.

Wieder trotzt die Auswahl von Trainer Henrik Rödl allen Widrigkeiten und kämpft sich zurück ins Spiel

Dass die Mannschaft dazu in der Lage ist, hat sie mit dem zweiten Sieg nun bewiesen, denn der Druck war groß, eine Niederlage gegen Russland hätte das vorzeitige Aus bedeutet. Es scheint sogar so zu sein, als hätten all die Widrigkeiten die Spieler sogar zusammengeschweißt: Weder die anhaltenden Diskussionen um die umstrittene Nominierung von Joshiko Saibou, noch die Absage von Dennis Schröder im letzten Moment oder das Fehlen vieler weiterer Spitzenspieler wie Maximilian Kleber, Isaiah Hartenstein, Daniel Theis oder Paul Zipser konnten dem Team etwas anhaben. Wie schon gegen die quirligen Mexikaner erwischte Deutschland einen schwachen Start, steigerte sich im Verlauf der Partie und drehte diese dank einer tadellosen kämpferischen Leistung.

Im Gegensatz zu Mexiko traf das DBB-Team in Russland nun auf einen physisch starken Gegner, was vor allem die DBB-Guards leidvoll erfahren mussten: Immer wieder wurden Maodo Lo und Saibou von den mächtigen russischen Abwehrspielern bei ihren Korblegern geblockt und landeten unsanft auf dem Rücken. Zudem musste Bundestrainer Rödl in Isaac Bonga auf seinen körperlich stärksten Guard wegen einer Oberschenkelverletzung verzichten.

Kapitän Robin Benzing bringt mit seinen starken Defensivaktionen den Umschwung

Aber seine Mannschaft ließ sich von einem schnellen 7:17-Rückstand (6.Minute) nicht beindrucken und hatte zur Halbzeit zum 50:53 aufgeschlossen. Die Ausgangslage war so klar wie gefährlich: Eine Niederlage mit sechs Punkten hätte für das Weiterkommen genügt, dann wäre es bei je einem Sieg zu einem Dreiervergleich gekommen. Eine Niederlage hätte also keine Reise nach Tokio zur Folge gehabt, sondern eine in die Heimat. Der Druck war auf beide Kontrahenten gewaltig, für das Niveau des Spiels galt das Gegenteil. Das ist freilich zum Großteil den Umständen geschuldet, müde Athleten und mangelnder Spielfluss sind bei allen Mannschaften zu beobachten. Die Erklärung liegt auf der Hand: Die besten Akteure fehlen, das Gros der anwesenden Spieler hat zwar europäisches Topniveau, aber eben auch Pandemie-bedingt extrem lange Spielzeiten absolviert - und muss ohne angemessene Vorbereitung aufs Feld.

Die Abstimmung fehlt, ungewöhnlich viele Ballverluste und Fehlwürfe sind das Resultat, folglich erhalten Einsatzwille und Kampfgeist entscheidende Bedeutung - wobei sich das deutsche Team hervortut. Und in Johannes Voigtmann einen Anführer gefunden hat. Der Center von ZSKA Moskau, der auf eine ganze Reihe Teamkollegen traf, erzielte im letzten Viertel zwölf seiner insgesamt 13 Punkte und war damit bester deutscher Werfer. Wie Voigtmann trafen auch Moritz Wagner (12), Niels Giffey und Saibou (je 11) zweistellig, entscheidenden Anteil am Sieg aber hatte Kapitän Robin Benzing. Nicht wegen seiner sechs Punkte, vielmehr brachte der 32-jährige Routinier mit seinen Defensivaktionen die Wende.

Nun also wartet der eigentliche Turnierfavorit Kroatien, die Gastgeber aber haben dieses Prädikat mit einer ungewöhnlichen 67:94-Pleite gegen Brasilien gleich im ersten Spiel abgegeben und sich gegen Außenseiter Tunesien beim 75:70 gerade so ins Halbfinale gezittert. Alles kein Grund zur Entspannung, wie der Bundestrainer weiß: Kroatien werde sich steigern, sagt Rödl, zumal der Gastgeber in Bojan Bogdanovic vom NBA-Klub Utah Jazz den überragenden Akteur des Turniers in seinen Reihen hat, aber: "Wir sind schwer zu schlagen."

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