IOC-Präsident:Bachs schräger Shakespeare-Vergleich

IOC-Präsident: Links: IOC-Präsident Thomas Bach bei der Eröffnungsfeier der Spiele in Peking; rechts: Blutüberströmt, sehr weiblich und so was von politisch: Christopher Rüpings Inszenierung von "Hamlet" an den Münchner Kammerspielen (links: Nils Kahnwald, rechts Katja Bürkle als Hamlet).

Links: IOC-Präsident Thomas Bach bei der Eröffnungsfeier der Spiele in Peking; rechts: Blutüberströmt, sehr weiblich und so was von politisch: Christopher Rüpings Inszenierung von "Hamlet" an den Münchner Kammerspielen (links: Nils Kahnwald, rechts Katja Bürkle als Hamlet).

(Foto: David Ramos/Getty, Thomas Aurin/oh)

Thomas Bach setzt Sportler, die sich politisch äußern wollen, mit Bühnen-Schauspielern gleich. Was hat der IOC-Präsident bei Hamlet falsch verstanden?

Von Christiane Lutz

Man muss sich das mal kurz vorstellen: Hamlet hat gerade Polonius, den er fälschlicherweise für den Mörder seines Vaters gehalten hat, mit einem Dolchstoß umgebracht. Entsetzt über dieses Missverständnis und mit Theaterblut an den Händen tritt Hamlet dann schnaufend an den Bühnenrand und raunt zum Publikum: "Danke, Merkel." So in etwa sähe es aus, wenn ein Schauspieler während einer Vorstellung politische Botschaften abgeben würde. Klingt bescheuert? Findet Thomas Bach auch.

Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees sagte am Donnerstag: "Wenn ein Schauspieler in einem Theater Hamlet spielt, fragt sich auch keiner, ob er während des Stücks politische Meinungen äußern kann." Damit wollte er die Regeln des IOC rechtfertigen, die den Athleten während der Wettkämpfe und der Siegerehrungen politische Meinungsäußerungen verbieten. Zunächst ist das richtig beobachtet, denn ein während der Vorstellung politische Botschaften verkündender Hamlet-Schauspieler wäre fast genauso überraschend wie eine Skifahrerin, die beim Super-G kurz mal abbremst, um ein paar Gedanken zum Klimaschutz loszuwerden.

Was aber hat der Hamlet mit dem Super-G zu tun? Und: Wem wird hier eigentlich mehr unrecht getan, den Sportlern oder den Schauspielern?

Was Shakespeare-Fan Bach sagen will, ist ja das: Der Hamlet hält sich ans Textbuch und quatscht nicht einfach politisch zwischenrein - also stört auch ihr bitte die Vorstellung nicht. Dass er die Sportler offensichtlich für Rollenspieler in einer großen Inszenierung hält, ist dabei am wenigsten überraschend. Schon klar, auf eine Weise sind die Olympischen Spiele auch gigantisches Theater. Es gibt hier wie dort Helden und Antihelden, Helferlein bei Straucheln und Texthängern, brav applaudierende Zuschauer, die für ihr Geld unterhalten werden wollen, und immer einen, der nackt übers Feld oder die Bühne rennt. Mit dem kleinen Unterschied nur, dass in Peking leider nicht Shakespeare, sondern das IOC das Stück verfasst hat, was man durchaus als Tragödie im doppelten Sinn verstehen darf.

Ausgerechnet Hamlet kann man gar nicht nicht politisch inszenieren

Wo der Vergleich dann doch hinkt: Am Theater wird sich permanent politisch geäußert, ohne sich politisch zu äußern. Die Auswahl des Stoffs, die Besetzung und die Inszenierung ist immer schon die Meinungsäußerung. Schauspieler sagen da zwar einstudierten Text auf, sie freestylen nicht am Bühnenrand zur EU-Politik herum, und wenn doch, dann ist auch das inszeniert. Aber sie sind in ihren Rollen immer Teil einer großen künstlerischen Haltung.

Bleiben wir mal beim Hamlet. Für die, deren Englisch-LK schon eine Weile her ist: Der dänische Prinz Hamlet ist der ultimative Zauderer der Theatergeschichte, Held und Antiheld zugleich. Wütend über die Machtübernahme durch seinen Onkel Thomas ..., ähm: Claudius, der seinen Vater getötet hat, will Hamlet diesen zwar umbringen, andererseits selbst aber lieber nicht auf den Thron steigen. Das Ganze spielt auch noch vor dem Hintergrund eines erbitterten Kriegs zwischen Dänemark und Norwegen. Am Ende von Hamlet, damit verrät man nichts, sind so ziemlich alle tot.

Regisseurinnen und Schauspieler können nach Herzenslust mit dem Stoff experimentieren und ihre Tragödie selbst erschaffen. Sie dürfen den Text bearbeiten, herumdrehen, überflüssige Figuren streichen. Eine Methode, die Sportlern nicht zur Verfügung steht. An den Münchner Kammerspielen wurde Hamlet 2017 etwa angemessen abstrakt als politisches Killerspiel inszeniert. Hamlet spielte damals eine Frau, Ophelia ein Mann. 240 Liter Theaterblut wurden pro Vorstellung angerührt, so viel wurde gemeuchelt. Klare Botschaft: Blutvergießen ist keine Lösung, und übrigens sind wir total zeitgeistig unterwegs mit unserer genderfluiden Besetzung.

Hamlet ist gefangen zwischen Erbfolge-Verpflichtungen, politischen Interessen und seinen Idealen. Sein oder nicht sein. Ausgerechnet Hamlet kann man also gar nicht nicht politisch inszenieren. Die Menschen lieben ihn hartnäckig, vermutlich auch, weil er so hadert wie sie. Und das Zugeben von Zweifeln, das hat auch noch nirgends geschadet.

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