Süddeutsche Zeitung

Olympische Winterspiele:Zur Maske gibt's den Knebel

Bei den Winterspielen in Peking ziehen Proteste und unliebsame Äußerungen eine "Bestrafung" nach sich, warnt ein chinesischer Sportfunktionär. Das Recht auf freie Meinungsäußerung wird für Athleten so zum Risiko.

Kommentar von Barbara Klimke

Zwei Wochen noch bis zum Beginn der Olympischen Winterspiele in Peking. Das ist die Zeit, in der ein Veranstalter letzte Hand an den Festschmuck, an Wimpel und Girlanden legt und den roten Teppich ausrollt. Stattdessen kam vom Organisationskomitee in China, in Person des Mitglieds Yang Shu, folgende Warnung: "Jede Äußerung, die mit dem olympischen Geist zu vereinbaren ist, da bin ich sicher, ist geschützt. Jedes Verhalten, jede Rede, die gegen den olympischen Geist, besonders gegen chinesische Gesetze und Regularien ist, unterliegt genauso gewissen Bestrafungen." Dies ist, olympischer Geist hin oder her, ohne Zweifel als Abschreckung zu verstehen.

Zwar hat auch das Internationale Olympische Komitee in der umstrittenen Regel 50 der Olympischen Charta festgelegt, dass Demonstrationen und politische, religiöse oder rassistische Propaganda in den Spielstätten verboten sind. Aber die Äußerung des Funktionärs Yang Shu auf einer Pressekonferenz, zitiert von der Washington Post, geht eine Drohstufe weiter: Denn nicht nur Proteste, schon das bloße Reden kann für Sportlerinnen und Sportler Folgen haben; da gelten nicht die IOC-Regeln, sondern Gesetze der chinesischen Regierung.

Für die Ski-, Eis- und Schneespezialisten aus aller Welt könnte dies dazu führen, dass sie bei den Winterspielen neben den obligatorischen Masken auch Knebel tragen, aus reinem Selbstschutz. So hat das US-amerikanische Team seinen Athleten angeblich bereits geraten, von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung in Peking und in den Bergen, in Yanqing und Zhangjiakou, nicht unbedingt Gebrauch zu machen, wie der frühere Langläufer Noah Hoffman berichtete. Das Risiko sei unnötig und zu groß.

Menschenrechtsgruppen warnen vor digitaler Überwachung

Unbegründet ist die Sorge nicht. Erst am Mittwoch hat Amnesty International die Situation in China als "weiterhin katastrophal" gebrandmarkt. Bei Menschenrechtsfragen seien keine Fortschritte eingetreten, frühere Versprechungen für Presse- und Demonstrationsfreiheit nicht eingehalten worden. Seit 2008, als Peking Gastgeber der Sommerspiele war, hat sich die Lage laut Amnesty "deutlich verschlechtert". Das liegt, wie Human Rights Watch ergänzt, auch an den weitaus ausgeklügelteren digitalen Überwachungsmöglichkeiten.

Ein anschauliches Beispiel liefert dafür die chinesische Olympia-App "My2022", die jeder Teilnehmer in der Tasche trägt: Sportler, Trainer, Offizielle, Medienleute. Hier werden Gesundheitsdaten hochgeladen, etwa Krankheitsgeschichte, Impfstatus, Testergebnisse; zwei Wochen vor Spielbeginn muss zusätzlich täglich die Fiebermessung eingetippt werden. Nebenbei dient die Software auch als Informations-, Wetter- oder Chat-Kanal. Kanadische Forscher des Citizen Lab kritisieren jetzt gravierende Sicherheitsmängel bei der App: Denn eine Schwachstelle bei der Verschlüsselung ermögliche den Datenklau. Zudem entdeckten sie eine - noch nicht aktivierte - Zensurliste mit mehr als 2000 Schlagwörtern, "Tibet" zum Beispiel.

Für den Verein Athleten Deutschland bestätigt die Sicherheitslücke die Sorgen, dass "die Athleten und Athletinnen sowie weitere Beteiligte während der Spiele ausspioniert und überwacht werden könnten". Man dürfe nicht naiv sein im Umgang mit fast undenkbaren Szenarien, lautet die Warnung.

Geht es nach dem Funktionär Yang Shu, so haben die Olympiagäste Wohlverhalten zu zeigen: Alles hinnehmen, nicht beklagen. Und wenn nicht? Das wird die Welt in zwei Wochen sehen.

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