Doping im Eiskunstlauf?:Konfusion nach der Kür

Doping im Eiskunstlauf?: Da lächelten sie noch: Kamila Walijewa (2.v.r.) und ihre Teamkollegen, nachdem die russische Auswahl in Peking den Mannschaftswettkampf gewonnen hatte.

Da lächelten sie noch: Kamila Walijewa (2.v.r.) und ihre Teamkollegen, nachdem die russische Auswahl in Peking den Mannschaftswettkampf gewonnen hatte.

(Foto: David McIntyre/Imago/Penta Press)

Eine abgesagte Siegerehrung und viele offene Fragen: Im Fokus steht die russische Eiskunstlauf-Auswahl, die im Teamwettbewerb vor den USA und Japan Gold gewann - nun aber mit einem etwaigen positiven Dopingtest in Verbindung gebracht wird.

Von Johannes Knuth

Die amerikanischen Eiskunstläufer hatten schon ihren feinen Zwirn angelegt, die Teamanzüge für die Medaillenzeremonie am Dienstagabend. Dann ertönte plötzlich das Kommando zum Abbruch. Die US-Auswahl hatte bei dem feierlichen Anlass eigentlich ihre Silbermedaillen entgegennehmen sollen, für ihre Darbietungen im Teamwettkampf. Die Athleten werden dafür eigens aus dem Olympischen Dorf auf ein Areal nahe des National Aquatics Center gefahren, dem aus Funk und Fernsehen bekannten Wasserquader der Sommerspiele 2008, der in diesen Tagen zum Eisquader und zur Heimat der Curler umgewidmet wurde. Und nun also, kurz vor der Abreise: Zeremonie verschoben auf unbestimmte Zeit, ohne Angabe von Gründen.

Russland vor den USA und Japan, so hatten sie sich am Montagabend noch bei der ersten Siegerehrung, der sogenannten Flower Ceremony, aufgestellt, kurz nach Ende des Teamwettkampfs. Ob dieses Bild auch den finalen Ausgang dieses Wettstreits spiegeln wird, war am Mittwoch in Peking aber noch ziemlich ungewiss. Mehrere Medien berichteten zunächst, dass es tatsächlich zu einem positiven Dopingtest gekommen war, und zwar in der russischen Mannschaft - in jener Auswahl, die in Peking weder in handelsüblichen Uniformen noch mit eigener Hymne und Flagge antritt, wegen des staatlich gelenkten Dopingskandals rund um die Winterspiele 2014 in Sotschi.

Die Konturen des Falls zeichneten sich am Mittwoch noch bruchstückhaft ab. Mark Adams, der Sprecher des Internationalen Olympischen Komitees, sagte bei der täglichen Presserunde, dass der Absage der Siegerehrung "rechtliche Verwicklungen" zugrunde lagen - die Causa entwickle sich erst, er könne "nicht viel" dazu sagen. Beziehungsweise: gar nichts. So hielten es auch der Weltverband ISU und die russische Eissport-Föderation. Russische Reporter trugen den Fall sogar an Dmitri Peskow heran, den Sprecher von Russlands Staatschef Wladimir Putin. Peskow mahnte aber auch nur an, weitere Auskünfte der Offiziellen abzuwarten, die bis zum Mittwochabend auf sich warten ließen.

"Wir sind alle sauber", beteuert eine russische Trainerin

Laut mehrerer Berichte, sowohl in englischen als auch russischen Portalen, handele es sich um einen Test, der vor dem Wettkampf genommen wurde. Und die rechtlichen Verwicklungen? Die könnten darin wurzeln, welche Konsequenzen der Positivtest eines Einzelnen in einem Teamwettbewerb nach sich zieht. Artikel 10.2 im Regelheft der Welt-Anti-Doping-Agentur diktiert, dass schon "mehr als zwei" Mitglieder einer Mannschaft wasserdicht überführt werden müssen, ehe die Auswahl sanktioniert wird. Dies gilt aber nur für Teamsportarten. In Einzelsportarten, die Teamwettkämpfe austragen - wie die Eiskunstläufer - ist die Hürde niedriger. Das ist in den Anti-Doping-Regeln der ISU festgezurrt, Artikel 11.2: Ein Fall "während oder in Verbindung" mit einem Event hat demnach zur Folge, dass die gesamte Mannschaft aus der Wertung genommen wird. Es sei denn, der betroffene Athlet kann nachweisen, dass er weder "nachlässig" noch schuldhaft gehandelt hat.

Die große Frage wäre dann noch: Fiel der etwaige Positivtest auch in die "event period", die Zeit des Wettkampfs? Einige russische Medien interpretierten das Regelwerk am Mittwoch so, dass dieser Zeitraum am Vorabend des Wettkampfs anbricht. Das Regelwerk des Weltverbands, der das organisatorische und rechtliche Dach über alle Wettkämpfe spannt, legt diesen Zeitraum deutlich weiter aus: beginnend "24 Stunden vor der offiziellen Auslosung bis zwölf Stunden nach dem letzten Wettkampf". Es wäre allerdings nicht das erste Mal, wenn findige Sportanwälte noch Regelwerke ausgraben, die etwas anderes vorschreiben.

Laut dem Portal "Insidethegames" könnte der Fall auch daher rühren, dass es sich bei dem fraglichen Athleten um Kamila Walijewa handele. Die 15-Jährige hatte gewaltigen Anteil am Erfolg ihrer Mannschaft, sie hatte im Wettkampf allein zwei Vierfachdrehungen vorgeführt - und war am Mittwoch nicht wie geplant zum Training erschienen. Walijewas Beteiligung würde den Fall insofern komplizieren, als dass Athleten, die jünger als 16 Jahre alt sind nicht offiziell genannt werden dürfen, sollten sie in einen Dopingfall verstrickt sein. Die Internationale Test-Agentur, die in Peking die Anti-Doping-Tests koordiniert, wollte sich zu den Details der Affäre zunächst nicht äußern.

Russlands Delegation sportelt auch in Peking wieder im schalen Licht

Tatjana Tarassowa, eine der bekanntesten und erfolgreichsten Trainerinnen der russischen Eiskunstläufer, bestritt gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur Tass wiederum, dass ein Dopingbefund die rechtlichen Turbulenzen ausgelöst hatte. "Sie können auf uns mit dem Finger zeigen", wurde sie zitiert, "aber wir sind alle sauber!"

Russlands Delegation sportelt auch in Peking wieder im schalen Licht: Der Sportgerichtshof Cas hatte im Dezember 2020 eine Zwei-Jahres-Sperre verhängt, die er, nach einem ersten Spruch der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada, auch noch ausgehöhlt hatte - trotz massiver Belege, dass russische Behörden jahrelang und systemisch betrogen, sogar Datensätze bis ins Jahr 2019 manipuliert hatten.

Das russische Olympia-Komitee darf trotzdem zu allen internationalen Wettkämpfen eine Mannschaft entsenden, nur der Landesname, die Flagge und die Hymne sind verbannt. Vor den Sommerspielen in Tokio hatten russische Funktionäre sogar erwogen, das "Katjuscha"-Lied als Platzhalter für die Medaillenvergabe zu nominieren; eine Liebeshymne aus Sowjetzeiten, in der eine Frau ihren im Krieg befindlichen Geliebten besingt. Das war dann aber selbst dem Cas zu viel. Statt Katjuscha ertönt auch in Peking Tschaikowskis Klavierkonzert. Ob es für die russische Eiskunstlauf-Auswahl, die offiziell gar nicht für Russland antritt, noch einmal ertönt, muss sich weisen.

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