Bilanz der Peking-Spiele:Die verbotene Stadt

Bilanz der Peking-Spiele: Ein Soldat außerhalb eines Olympia-Busses, der die Sportler von A nach B bringt.

Ein Soldat außerhalb eines Olympia-Busses, der die Sportler von A nach B bringt.

(Foto: Carl Court/Getty Images)

Olympia ist schon lange halb Sport, halb Werbemesse. Aber früher hat es wenigstens die Menschen zusammengebracht. Peking ist nun der Beweis gelungen, dass Kontakt unnötig ist, solange die Bilder stimmen.

Kommentar von Barbara Klimke

Zehn Schritte bis zur Mauer in die eine Richtung, 50 Schritte in die andere. Größer ist der Freilauf auf dem Hotelparkplatz nicht. Das Gelände kann nur im Shuttle-Bus verlassen werden, wenn sich schwere Metalltore öffnen. Dahinter steht Tag und Nacht ein Polizeiwagen mit Blaulicht. Eine weitere Schranke schirmt die Straßeneinfahrt ab. Was Peking den Olympiabesuchern seit zwei Wochen bietet, ist Sport in Käfighaltung.

Es soll in dieser Stadt einen Himmelstempel geben, Ming-Gräber, einen Sommerpalast. Von alldem war im Vorbeifahren nichts zu sehen. Die Busse der Berichterstatter, auch die Karossen der Athleten, rauschten über Autobahnen auf Sonderspuren zu den Hallen und Arenen. Mit den Menschen hinter den Scheiben, Gittern und Zäunen, die auf dem Weg zur Arbeit, zum Alltag waren, gab es keinen Kontakt. Sogar der kleine Supermarkt, vom Hotelzimmer aus auf der anderen Straßenseite zu sehen, lag bereits in der verbotenen Stadt.

China hat seine tiefgefrorenen Winterpandemiewettkämpfe durchgezogen. Nach Lage der Dinge ist das Experiment mit rund 11 000 Leuten aus aller Welt in einer abgeschirmten Blase gerade noch einmal gutgegangen. Allerdings haben Staat, KP und Organisationskomitee nicht nur das Virus aus der Millionenstadt herausgehalten, sondern diese sogenannten Spiele mit hoher Effizienz und Patrouillen ums Sportgehege auch um alles Spielerische gebracht. Man muss Olympia nicht romantisieren, es ist schon lange halb Sport, halb Werbemesse, aber früher hat es wenigstens die Menschen in Stadien, in Städten zusammengebracht. Im vergangenen Sommer, in Tokio, wurde das Fehlen des persönlichen Austauschs noch bedauert. Peking ist nun der Beweis gelungen, dass Kontakt unnötig ist, solange die Bilder stimmen.

Menschenrechtsverletzungen, Kinderdoping: Dieses Wintersportereignis ist hochpolitisch

In China sollen diese nach innen wirken. In unverblümter Offenheit wird bei jeder Gelegenheit das Staats- und Planziel ausgerufen, 300 Millionen Chinesen in Freizeitlangläufer, Snowboarder, Bob- und Schlittenfahrer zu verwandeln; das IOC hat diese Botschaft gern wiederholt. Umso wirkungsvoller für die Volksrepublik, wenn sie gleichzeitig zur Schau stellt, wie mit überlegener Organisation zu verhindern ist, dass das Virus von den ausländischen Besuchern auf das Land überspringt. Dieses Wintersportereignis ist hochpolitisch. Das hat gerade erst eine Sprecherin der Veranstalter klargemacht, als sie Berichte über Menschenrechtsverletzungen Lügen nannte und Taiwan die Selbstbestimmung absprach.

Die Sportler und Sportlerinnen haben dafür vieles hingenommen. Für Dutzende führte der Weg vom Flughafen geradewegs in die Quarantäne. Von den Mannschaften getrennt, harrten manche länger als eine Woche aus, zum Teil anfangs in unzumutbaren Quartieren, ohne ausreichende Mahlzeiten und in Räumen, die zu klein waren, eine Hantel zu schwingen - wenn es denn Hanteln gegeben hätte. Vom unverhandelbaren Recht eines isolierten Olympiaathleten auf Fitnessgeräte, geschweige denn auf Teilnahme an Olympiawettkämpfen, für die er sich qualifiziert hatte, war nichts zu hören.

Dafür erklärte der Internationale Sportgerichtshof Cas im Falle einer minderjährigen Eiskunstläuferin ihr Recht auf olympische Vierfachsprünge für unverhandelbar. An dieser beklagenswerten Entscheidung trifft das Gastgeberland keine Schuld, aber sie passte ins triste Bild. Die Cas-Entscheidung führte geradewegs zum Tiefpunkt der Wettkampfwochen: zu dem Tumult um die 15-jährige Kamila Walijewa, dem Verdacht des Kinderdopings, dem Versagen diverser Sportinstitutionen und Trainerstäbe in ihrer Fürsorgepflicht und zur traurigen Erkenntnis, wie herzlos Spitzensport im Extremfall sein kann.

Und doch gab es auch bei den freudlosen Spielen viele freundliche Momente. Zum Beispiel wenn die Hundertschaften von freiwilligen Helfern den Weg durch die Nacht zu den Bussen wiesen. Auch die Helfer, übrigens, lebten wochenlang hinter Zäunen.

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