Scharfschütze
Sein Sport konnte ihn bei diesen Spielen nicht glücklich machen, im Gegenteil, er hat diesem erfahrenen Biathleten sogar schwere Momente bereitet. Etwa nach Rang 67 im Einzel-Wettbewerb, nach welchem Erik Lesser in seinem Podcast erklärte, da möchte man normalerweise einfach heulen, jedoch: "Die Enttäuschung ist einfach zu groß, sodass selbst Heulen nicht mehr hilft." Das kündigte schon an, dass Lesser es in diesen Tagen in einer anderen Disziplin zu großer Meisterschaft brachte: Dem Absetzen humorvoller Bemerkungen und kluger Spitzen - besonders gegen diese vollkommen unolympische Veranstaltung und das pseudoneutrale IOC. Etwa: "Irgendwie beneide ich Arnd Peiffer, der letzte Saison gesagt hat: Tschüssikowski, Peking gebe ich mir nicht mehr." Oder, im DLF, in Richtung IOC-Chef Thomas Bach: "Dass die Spiele unpolitisch sind, ist völliger Quatsch." Und schließlich, mit Blick in die Zukunft, in der man nach noch so stimmungsfreien und aufs Gemüt schlagenden Veranstaltungen nun stets tröstend sagen könne: "Egal, was gekommen ist, Peking war schlimmer." Schade, dass Erik Lesser bei Olympia nicht mehr dabei sein wird.
Schlussläuferin
Die Medaillen- und sonstige Siegerliste der Norwegerin Therese Johaug, ist so lang, dass, reihte man alles aneinander, der Platz dieses Textes weit gesprengt würde. Neben ihrer Kunst als Skilangläuferin seit 25 Jahren hatte Johaug auch noch Distanzrennen in der Leichtathletik mitgemacht. Im Winter trat sie in Rennanzügen an, im Sommer in schmalen Tops und mit gestähltem Oberkörper. Und doch zählen zu ihrer Sport-Vergangenheit nicht nur Medaillen, sondern auch die Lippencreme-Sache. 18 Monate war sie gesperrt, nachdem bei ihr das Steroid Clostebol gefunden wurde; Johaug erklärte, dies als Bestandteil einer Sonnenbrandsalbe nicht erkannt zu haben. Die Spiele 2018 verpasste sie dennoch, 2022, bei ihren letzten Spielen, kam sie mit scheinbar noch größerem Ehrgeiz zurück. Denn Johaug erledigte, was sie konnte: Gold erreichte sie in den zwei großen Distanzrennen zu Beginn - und am Schlusstag, dem geplant letzten olympischen Schlusstag ihrer Karriere, noch einmal Gold über 30 Kilometer.
Trickser und Schrauber
Beim Abschied flossen viele Tränen, obwohl er sich vorgenommen hatte, nicht zu weinen. Aber Shaun White konnte nicht anders in der Halfpipe von Zhangjiakou. "Sorry, dass ich so schrecklich am Heulen bin", sagte er nach seinem letzten olympschen Auftritt, lachte und schluchzte zugleich. "Snowboarden war die Liebe meines Lebens. Es war eine so lange Reise." Der 35-jährige Kalifornier hat seinen Sport geprägt wie kaum ein anderer. White betrat die Bühne als Kind und wurde zu einem der bekanntesten Wintersportler überhaupt. Er erfand immer schwierigere Tricks und schraubte so das Niveau stetig nach oben, was die Konkurrenz verzweifeln ließ. Das brachte ihm viel Anerkennung in der Szene - und dreimal olympisches Gold: 2006, 2010, 2018. In China fehlten ihm 2,25 Punkte zu Bronze und so wurde er wie 2014 Vierter. Und was kommt nun für den Inbegriff des Snowboardens? Wehmut? Trauer? Mitnichten! "Ich habe so viel zu tun, für mich geht das Leben doch jetzt erst richtig los."
Zigarre für zwei
Aus der Leichtathletik in den Bob: Den Weg aus der Weite sommerlicher Stadionwettkämpfe in die Enge einer schmalen und kalten Carbonzigarre auf Kufen hatte Mariama Jamanka einst bewusst gewählt, und ja, obwohl dies in Peking "definitiv" ihre letzte Olympiafahrt war - ist sie im Bob glücklich geworden. Allerdings - tatsächlich im Bob, und nicht im Monobob. Letzter steht nach Ansicht der Berlinerin für eine Fehlentwicklung im Frauenbob - jedenfalls als Untersatz in der Weltspitze. Dass ihr Mono-Einsatz dann tatsächlich misslang, war keine Absicht und deutete doch darauf hin, dass sie eine Zweier- eine Teamfahrerin ist: "Meine Anschieberinnen haben mir den Schlitten geschleppt, die Kufen poliert und hatten nichts vom Wettkampf", sagte sie. Freude hat sie trotzdem noch am berauschenden Speed in der Kiste, an der Arbeit mit ihrem Team, vielleicht noch an Weltcups und Weltmeisterschaften, auch wenn sie nun ihre olympische Karriere beendet hat - mit Gold 2018 und nun Silber, in Peking 2022.
Der Davon-Segler
Im Grunde gehört Simon Ammann nicht in diese Kategorie. Der Schweizer befindet sich weder im Stadium des endgültigen Olympia-Abschieds, noch in jenem des Bleibenden. Ammann hat schon zweimal Tschüss gesagt und ist dann zweimal einfach dabei geblieben. Trotzdem sollte dieser Skispringer hier vorkommen, weil er schon 40 Jahre alt ist und sich jederzeit mit der Familie auf seinen Bauernhof zurückziehen könnte, außerdem, weil er eine zu gute Olympiageschichte hat. Ammann ist ja nicht nur Skispringer, sondern auch Erfinder. 2002 und 2010 gewann er jeweils Doppelgold, zunächst als 21-jähriger, unterschätzter Neuling, dann als genialer Technik-Tüftler. Ammann, der bei seinem ersten Erscheinen wegen seines blassen Jungsgesichts "Harry Potter" genannt wurde, erwies sich später tatsächlich als Magier. 2010 in Vancouver packte er den gekrümmten Bindungsstab aus, der die Ski in Tragflächen verwandelt, und segelte allen davon.
Oranje auf Eis
Einmal noch Heerenveen, das Weltcup-Heim-Finale im März, einmal noch das ganze Oranje-Jubel-Programm. Dann macht Ireen Wüst, 35, Schluss. Sechsmal Gold bei fünf verschiedenen Winterspielen hat die niederländische Eisschnellläuferin dann vom Eis geschleppt - das macht ihr nicht mal die ewige Claudia Pechstein, 50, nach (die ihre fünf goldenen Plaketten allerdings bei acht Spiele-Teilnahmen zusammengerafft hat und eine neunte demonstrativ offenlässt). Wüsts letzter Auftritt bei Olympia: Rang sechs über die 1000 Meter. Zu verschmerzen, nachdem sie in Peking zuvor schon Gold über 1500 Meter und Bronze in der Teamverfolgung geholt hatte. "Alter ist nur eine Zahl", sagte sie danach, "es geht darum, wie man sich fühlt." Jetzt fühlt sie sich nach Aufhören. Aber: Wenn sie geht, reißt das keine Lücke. Die Dominanz der orangenen Kufenflitzer bleibt erdrückend, Eisschnelllauf ist und bleibt Volkssport in Holland, auch ohne Ireen Wüst.