Das erste Gold dieser Spiele geht an die Metro von Paris. Die Metro ist eine Ausdauerathletin, die nicht nur seit Jahren ihre Leistung bringt, sondern auch etwas zu sagen hat. Man muss ihr nur zuhören. Die Metro braucht nicht viele Worte, weiß diese aber effektvoll einzusetzen, Floskeln wie „nächster Halt“, „bitte rechts aussteigen“ oder „achten Sie auf die Lücke zwischen Zug und Bahnsteigkante“ sind nicht ihr Stil, sie pflegt den Schick des französischen Minimalismus. Je zweimal nennt sie den Namen der nächsten Station, das erste Mal geht sie dabei leicht mit der Stimme nach oben, als wolle sie eine Frage andeuten, als wäre es noch gar nicht sicher, dass man sich jetzt wirklich dem Bahnhof Château d’Eau nähert, alles offen, alles möglich, Château d’Eau?, man weiß es nicht, man könnte auch an der Gare d’Austerlitz rauskommen oder in La Motte Picquet Grenelle. Beim zweiten Mal, wenn der Zug dann doch in Château d’Eau einfährt, geht die Stimme am Ende nach unten. Château d’Eau!
Stimme hoch, Stimme runter, so wiegt einen die Metro durch die Eingeweide der Stadt, Strasbourg Saint-Denis? Strasbourg Saint-Denis! Réaumur Sébastopol? Réaumur Sébastopol!, immer wieder die Möglichkeit hinhauchend, dann wieder die Gewissheit unterstreichend, wie junge Liebende („Zu mir?“ – „Zu mir!“), wie ein altes Ehepaar im Zwiegespräch („Heute Linsensuppe?“ – „Heute Linsensuppe!“). Läuft? Läuft!
Gerade hat die Metro ein bisschen mehr zu reden, klar, Olympia ist in der Stadt. Die Station Cité, Linie M4, ist fermée en raison de l’organisation des Jeux Olympiques, die Haltestellen Tuileries, Concorde und Champs Élysées-Clemenceau werden von der Linie M1 vorübergehend nicht angefahren, und ständig soll man irgendwo aus- oder umsteigen, wenn man zur Bercy Arena, zum Grand Palais oder zum Eiffelturm-Stadion will. Das erzählt die Metro jetzt ausschweifend in verschiedenen Sprachen, obwohl das gar nicht ihre Art ist. Für die Millionen Gäste mögen das nützliche Hinweise sein, wer aber Metro fährt, um sich zu entspannen, der fühlt sich gerade kontemplativ ein bisschen überrumpelt.
Wobei, was heißt schon entspannen? Man klappt dann ja doch wieder den Laptop auf, es muss noch eine Olympia-Kolumne geschrieben werden, Étienne Marcel? Étienne Marcel!, Châtelet Les Halles? Châtelet Les Halles!, so geht es dahin, bis zum bösen Erwachen: Aussteigen vergessen? Aussteigen vergessen!