Süddeutsche Zeitung

Naomi Osaka bei Olympia:Gesamtkonzept zum Wohlfühlen

Bei den Olympischen Spielen ist alles darauf ausgelegt, dass Naomi Osaka das Tennisturnier gewinnt - allerdings war die Frage nach den vergangenen Monaten: Kann sie das auch? Die erste Partie gibt Antworten.

Von Jürgen Schmieder

Von Naomi Osakas Gesicht war nicht so viel zu sehen bei ihrem ersten Auftritt im Tennisstadion von Tokio. Sie Sonne strahlte mit voller Kraft in die Arena, da half ihr nur eine rote Kappe, um klare Sicht zu behalten. Dabei soll sie, wie es immer wieder heißt, das Gesicht dieser Olympischen Spiele sein. Ironischerweise geht es bei solchen Bezeichnungen meist weniger ums Gesicht geht als um ein Gesamtkonzept.

Angetreten war Osaka, 23, in den japanischen Nationalfarben in den geflochtenen Zöpfen, auch die Haarbänder rot und weiß. Es sah aus, als wolle sie Zeichen an die Heimat senden. Und Osaka gewann ihre erste Partie locker mit 6:1, 6:4 gegen die Chinesin Saisai Zheng - man kann sich nur vorstellen, was los gewesen wäre, hätten Zuschauer in diese Arena gedurft.

Osaka hat die Prioritäten in diesem Jahr klar gesetzt: Olympia ist für sie das wichtigste Turnier

Es ist alles, wirklich alles darauf ausgelegt, dass Osaka hier die Goldmedaille gewinnt, und anders als andere Spielerinnen hatte sie auch gesagt, dass dieses Turnier das wichtigste in diesem Jahr für sie sei, bei dem es weder Preisgeld noch Weltranglistenpunkte zu gewinnen gibt.

Serena Williams (USA), Simona Halep (Rumänien) und Bianca Andreescu (Kanada) zum Beispiel waren erst gar nicht nach Japan gereist; Wimbledon-Siegerin und Weltranglisten-Erste Ashleigh Barty verlor am Sonntag gleich in der ersten Runde recht unspektakulär 4:6, 3:6 gegen die Spanierin Sara Sorribes Tormo, die im Ranking auf Platz 48 geführt wird. Barty waren die Strapazen des Sommers deutlich anzumerken, sie wirkte ausgelaugt und müde, und das führt direkt zu Osaka.

Die hatte sich im Frühling bekanntermaßen freiwillig von den French Open verabschiedet, weil sie nicht an den obligatorischen Pressekonferenzen teilnehmen wollte. Sie legte eine Turnierpause ein, um sich, wie sie schrieb, um ihre geistige Gesundheit zu kümmern. Osaka entzog sich dem Stress der europäischen Sommerturniere und bereitete sich in aller Ruhe auf den für sie so bedeutsamen Wettkampf in ihrer Heimat vor, war nun bei diesem ersten Auftritt zu sehen war.

Aufschlag und Vorhand waren präzise und wuchtig wie immer, was jedoch anders war als zu Beginn der Tennissaison: Osaka wirkte außerordentlich fit, unfassbar spielfreudig und überaus konzentriert - wie bei ihren vier Grand-Slam-Siegen bislang, und vielleicht half es ihr auch ein bisschen, dass eben keine Zuschauer erlaubt sind; der Druck auf die 23 Jahre alte Osaka muss enorm sein.

Es gibt eine Dokumentarserie bei Netflix über sie, nicht zufällig kurz vor Olympia erschienen, in der sie darüber spricht, wie sehr sich ihr Leben verändert hat seit dem Triumph bei den US Open 2018, als sie im Finale die unschönen Debatten von Williams mit Carlos Ramos und das Buh-Gejohle der Zuschauer während der Siegerehrung verarbeiten musste. Wie der Alltag neben dem Platz derart stressig wurde, dass es ihr egal war, die bestverdienende Sportlerin der Welt (37,4 Millionen Dollar in 2020) und laut Time eine der einflussreichsten Personen auf diesem Planeten zu sein. Wenn alle Worte auf eine Goldwaage gelegt und viele Aktionen böswillig kommentiert werden.

Die Entscheidung zum Beispiel, für Japan zu starten - ihr Vater stammt aus Haiti, sie ist in den USA aufgewachsen. "Ich spiele für Japan, seit ich 14 Jahre alt bin; es war nun wirklich kein Geheimnis, dass ich bei Olympia für Japan starten würde", sagt sie in der Netflix-Serie: "Ich spiele nicht für die USA, und plötzlich sagen die Leute: 'Du bist nicht wirklich schwarz.' Als wäre Afroamerikanerin das einzige schwarz. Ich habe das Gefühl, dass die Leute den Unterschied zwischen Rasse und Nationalität nicht kennen."

Die Bühne ist bereitet, damit es ihre Spiele werden

Es ist ja eine der größten Lügen im Profisport, dass sich alle nach Typen sehnten. Leute, die Profisport finanzieren, wollen zwar Unverwechselbare, aber doch Angepasste, die nichts sagen, was den Verkauf von Tickets, TV-Rechten und Sponsoren-Zeug gefährden würde. Osaka hat, das hat sie in den vergangenen Monaten deutlich gezeigt, keine Lust, sich in dieses System pressen zu lassen. "Sie will ihre eigene Geschichte erzählen", sagt Jamal Henderson, einer der Produzenten der Serie.

Sie wolle ihre Balance finden, sagte Osaka; was das bedeutet, verdichtet sich in einer Rede, die sie für die Firma Hyperice gehalten hat: "Nur weil ich jung bin, heißt es nicht, dass ich keine Erfahrung habe. Nur weil ich bescheiden bin, heißt es nicht, dass ich nicht selbstbewusst bin. Nur weil ich ruhig bin, heißt es nicht, dass ich keinen Einfluss habe. Nur weil ich ernst bin, heißt es nicht, dass ich keinen Sinn für Humor habe. Und lass' dich nicht in die Irre führen dadurch, dass ich nett bin. Du kannst versuchen, mich in eine Schublade zu stecken, aber du wirst nicht bestimmen, wer ich bin. Ich bestimme durch Taten, wer ich bin."

Was sie zuletzt getan hat: sich in dieser Serie erklärt, sich für die Titelseiten von Vogue (mit riesigen Tennisschläger-Ohrringen) und der legendären "Swimsuit Edition" von Sport Illustrated fotografieren lassen, am Freitag bei der Eröffnungsfeier das Olympische Feuer entzündet, ihre erste Partie locker gewonnen und damit eine Botschaft an die Konkurrenz gesendet: Die Bühne ist bereitet, damit es ihre Spiele werden. Und Naomi Osaka wirkt so, als würde sie sich wieder pudelwohl fühlen auf dieser Bühne.

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