Das Ende der Spiele in Paris ist schon wieder fast eine Woche her, und es ist immer noch nicht klar, wie Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un das Olympia-Comeback seines Landes fand. In den Staatsmedien, die man als Ausländer ohne Koreanischkenntnisse verfolgen kann, war jedenfalls noch nichts zu lesen darüber. Vielleicht war dem Chef der Parteidiktatur die erste Olympiateilnahme seiner Leute seit 2018 nicht so wichtig. Kim Jong-un hat ja viel zu tun damit, sein verarmtes, mit Atomwaffen bewehrtes Land so gefährlich aussehen zu lassen, dass die Feinde aus der freien Welt es fürchten. Außerdem muss er nach schlimmen Regenfällen im Juli die Folgen einer Flut in manchen Landesteilen möglichst so aufarbeiten, dass er wie ein guter König dasteht. Und dazu kommt: Nordkoreas Sportler bringen keine Goldmedaille heim.
Das internationale Publikum hat sich durchaus interessiert für dieses Team mit vier Männern und zwölf Frauen, das in Paris unter Nordkoreas Fahne antrat. Nordkorea ist ein Mysterium, fremd, unnahbar, bedrohlich. Sportereignisse sind im Grunde die einzige Chance, ein paar Rockzipfel aus diesem seltsamen Land live zu sehen. Und selbst diese Chance gab es zwischenzeitlich nicht. In der Pandemie schottete sich Nordkorea endgültig ab, damit das Coronavirus nicht sein schwaches Gesundheitssystem überwältigen konnte. Das Regime schickte kein Team zu Olympia 2021 in Tokio. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) bestrafte das mit einer Sperre für Winter-Olympia 2022 in Peking, an dem Nordkorea wohl ohnehin nicht teilgenommen hätte.
Mittlerweile dürfen Nordkoreas Athletinnen und Athleten wieder reisen. Und sie sind fit, das konnte man in Paris erleben. Sechs Medaillen gewann die kleine Mannschaft, zweimal Silber, viermal Bronze – das ist beachtlich nach Jahren ohne internationalen Vergleich. Im Tischtennis-Mixed-Turnier schalteten Ri Jong-sik und Kim Kum-yong auf dem Weg ins Finale diverse Favoriten aus. Platz zwei im Synchron-Turmspringen durch Kim Mi-rae und Jo Jin-mi brachte die erste Medaille, die Nordkorea je in dieser Disziplin gewonnen hat; Kim Mi-rae gewann dazu Bronze im Einzel. Die weiteren Medaillen holten die Boxerin Pang Chol-mi sowie Choe Hyo-gyong und Ri Se-ung im Ringen. Der vierte Platz von Turnerin An Chang-ok im Sprung war fast so viel wert wie eine Medaille.
Wie machen die das? Mit Staatsdoping wie in der DDR? Mit militärischem Trainingsdrill? Wer weiß. Sicher scheint nur zu sein, dass man in Nordkorea ein Gespür dafür hat, welches Talent so gut ist, dass seine Förderung etwas bringt. Und die Erwählten sehen den Sport als Karrierechance in einem Staat, der wenige Chancen gewährt. Allerdings wollen die Parteibonzen Siege sehen. Yong Ja-hong von der Universität für Nordkoreastudien in Seoul erklärt im Fachportal NK News, dass nur Goldgewinner hohe politische Titel und eine Heldenberichterstattung bekommen. Außerdem ist für sie klar, dass der olympische Erfolg für Nordkoreas Regierung „als Ganzes diesmal keine Priorität hatte“.
Alle konnten sehen: Nordkoreanische Sportler sind keine Unmenschen, nur eben gefangen im Dienst für ihr autoritäres Land
Ob Olympia wirklich die Brücke über alle Gräben ist, die Nordkorea der freien Welt näherbringt? Die Winterspiele 2018 in Pyeongchang, Südkorea, wirkten ein bisschen so. Da war Nordkorea kurz ansprechbar. Kim Jong-un musste damals etwas zurückrudern nach Raketentests und einem unterirdischen Atombombentest, auf die der damalige US-Präsident Donald Trump ungewöhnlich scharf reagierte. Also durfte Nordkoreas Mannschaft mit der Südkoreas bei der Eröffnungsfeier einmarschieren. Die beiden Koreas stellten auch ein gemeinsames Frauen-Eishockeyteam. Und im Hintergrund fanden versöhnliche Gespräche statt mit Kim Jong-uns einflussreicher Schwester Kim Yo-jong.
Sechs Jahre später ist alles wieder anders. Das Verhältnis von Nordkorea zu Südkorea und den USA ist schlechter denn je. Olympia ändert daran nichts, auch wenn es in Paris manchmal so aussah. Zum Beispiel als Bronzegewinner Lim Jong-hoon aus Südkorea bei der Siegerehrung zum Tischtennis-Mixed-Turnier ein Selfie mit Nordkoreas Silberduo machte. Oder als Turnerin An Chang-ok Simone Biles applaudierte, der Turnolympiasiegerin vom Erzfeind USA. Alle konnten sehen: Nordkoreanische Sportler sind keine Unmenschen, nur eben gefangen im Dienst für ihr autoritäres Land.
Aber auf der Ebene der Funktionäre war das angespannte Verhältnis zwischen Kim-Regime und freiheitlicher Welt durchaus zu spüren. Von der nordkoreanischen Teamleitung kam eine Beschwerde, als ihr Land bei einer Pressekonferenz als „Nordkorea“ vorgestellt wurde und nicht mit seinem offiziellen Titel „Demokratische Volksrepublik Korea“. Und Südkoreas Außenministerium zeigte einen Verstoß gegen die Sanktionen der Vereinten Nationen (UN) an, als es feststellte, dass der Olympiasponsor Samsung allen Sportlern in Paris ein Smartphone schenkte, also auch den nordkoreanischen. Solche Technologie dürfe nach Resolution 2397 der UN nicht nach Nordkorea gelangen. Ein Sprecher sagte, es sei „wichtig“, dass das auch tatsächlich nicht passiere, man werde in diesem Sinne die „nötigen diplomatischen Bemühungen“ unternehmen. Laut IOC haben Nordkoreas Sportler die Handys am Ende nicht bekommen.
Olympia ist eben nur ein hübsches Theater. In der Wirklichkeit regiert die kalte Humorlosigkeit der Machtpolitik. Es war trotzdem gut, dass Nordkorea in Paris war. Der Sport ist gerade eines der wenigen Mittel, das Land hinter seinen Mauern hervorzuholen.