Süddeutsche Zeitung

Olympia:Nordische Dominierer

  • Die deutschen Kombinierer Johannes Rydzek, Fabian Rießle und Eric Frenzel stehen gemeinsam auf dem Podium.
  • In Sotschi 2010 haben sich Rydzek und Rießle kurz vor Schluss noch gegenseitig über den Haufen gefahren. Diesmal klappt alles, der Bundestrainer ist gerührt.
  • Hier geht es zum Medaillenspiegel bei Olympia.

Von Volker Kreisl, Pyeongchang

Es ist alles gut gegangen am Ende, kein Dämon hatte noch eingegriffen, kein Alptraum war diesmal wahr geworden. Die drei sehr ehrgeizigen deutschen Kombinierer hatten bis zum Schluss vorbildlich zusammengearbeitet wie in einem Lehrvideo für Teamgeist. Niemand hat davor und danach herumgezickt, niemand hat den anderen im Schlusssprint angerempelt, und dann waren sie auch noch in der für den inneren Frieden denkbar dienlichsten Reihenfolge über den Zielstrich gerutscht:

Erster Johannes Rydzek, Zweiter Fabian Rießle, Dritter Eric Frenzel.

War das eine Teamorder? Hatte Bundestrainer Hermann Weinbuch den Frieden befohlen? Was soeben zu Ende ging, war ja kein Bezirksausscheidungsrennen, sondern das Langlauffinale in der Nordischen Kombination nach der Großschanze bei den Olympischen Spielen 2018. Die drei Deutschen hatten einen Dreifachsieg eingefahren, wie er zuletzt mal 1976 vorgekommen war, als schon einmal drei Deutsche gewonnen hatten, allerdings zwei aus der DDR und einer aus der BRD. Drei aus einer Mannschaft? Da muss man weiter zurückgehen, 82 Jahre: 1936 gelang dies den Norwegern.

Einen Kombinationsfrieden für Olympia konnte Weinbuch nicht anordnen

Gäbe es eine Maßeinheit für Glück und Erleichterung, dürfte der 57 Jahre alte Trainer aus Oberbayern an diesem Dienstagabend in Pyeongchang sämtliche Rekorde gebrochen haben. Als er sich wieder gefangen hatte, erklärte er in der Pressekonferenz in beherrschtem Tonfall: "Das hat mir schon sehr viel bedeutet jetzt, mir kamen dann auch die Tränen ..., habe sogar ein paar verdrückt, und schön war es auch, dass der Ronny (Assistent Ronny Ackermann, Anm.) und der Horst (Nordisch-Sportdirektor Horst Hüttel, Anm.) gleich zu mir rauf kamen und wir uns in die Arme fallen konnten." Weinbuch war selig.

Sein Posten ist ja immer an der Loipe, wo er sein Team anfeuert, weshalb er die Zielankunft nur auf einem Monitor erleben kann. Seine Mannschaft hat aber alle wie geplant hinter sich gelassen, auch sämtliche für Olympia düsteren Vorzeichen dieser Saison, und vor allem: Die drei haben sich kurz vor dem Ziel diesmal nicht über den Haufen gerannt.

Großschanzenwettkampf in Sotschi, 2014. Der Vorfall verfolgte Weinbuch noch vor diesem Rennen (jetzt wohl nicht mehr): Der Oberstdorfer Rydzek, der St. Märgener Rießle und der Johanngeorgenstädter Björn Kircheisen hatten mit kräftigen Schüben die Verfolgung der Führenden aufgenommen, waren stramm heran geprescht, aber einen Kilometer vor dem Ziel hatten sie auch ihren Teamgeist hinter sich gelassen. Jedenfalls verausgabte sich Kircheisen in einem hoffnungslosen, zu frühen Antritt und fiel danach wieder zurück, während Rydzek und Rießle - geistig in einem Tunnel, an dessen Ende es golden leuchtete - sich in der Spitzkehre vor dem Ziel auf die Ski stiegen. Rydzek fiel in den Schnee, Rießle lief noch zu Bronze, was er nicht wirklich genießen konnte, weil danach das Thema die Tolpatschigkeit war.

In Pyeongchang ergab sich nach einem traumhaften, auch etwas glücklichen deutschen Springen folgende Ausgangslage für das Verfolgungsrennen: In der Startliste durfte der Japaner Akito Watabe vor dem Norweger Jarl Magnus Riiber und dem Österreicher Wilhelm Denifl in die Spur. Im Abstand von 24 Sekunden hinter Watabe, folgte Frenzel, Rydzek hatte 31 Sekunden Rückstand, Rießle 34. Bedachte man, dass von den drei Führenden allein Watabe für die laufstarken Deutschen ein echter Gegner war und dass diese den Japaner zu dritt als Zug schon bei der Hälfte des Rennens einholen würden, so ergaben die Prognosen eindeutig: akute Sotschi-Gefahr!

Klar, der Teamgeist, die gemeinsame Sache, die neue Harmonie. Weinbuchs Schüler hatten ja schon in Lahti bei der WM 2017 gemeinsam Erfolge gefeiert, aber dies war Olympia, und hatten sie nicht gerade wegen aufkommenden gegenseitigen Beäugens eingangs der Saison schwer in die Spur gefunden? Nicht mal Weinbuch blickt voll in die Seelen seiner Schüler und anordnen kann er einen olympischen Kombinationsfrieden erst recht nicht. Auf die Frage antwortete er: "Soll ich einem Frenzel sagen: Halt dich zurück? Der ist Wettkämpfer und Einzelsportler!"

Weinbuch besteht darauf, dass er keine Teamorder und erst recht keinen Einfluss auf den Zieleinlauf gegeben hatte. Und dass Gold für den schon leicht frustrierten Rydzek, Silber für den aufstrebenden Rießle und nur Bronze (chemisch gesehen nur eine Legierung, kein Edelmetall!) für den mit Kleinschanzen-Gold eh zufriedenen Frenzel - dass dieses optimale Gesamtergebnis natürlich auch nicht befohlen worden war. "Ich habe nur den Vorschlag gemacht, dass sie als Team zusammenarbeiten sollen", sagte Weinbuch.

Die drei mit ihren roten Mützen erinnerten an ein Tour-de-France-Gruppetto

Man darf es ihm glauben, aus zwei Gründen. Die Art, wie sich alle in den Dienst der Sache gestellt hatten, deutete auf ein übergreifendes Motiv hin. Man wollte den historischen Moment diesmal nutzen, sagte Rießle: "Ganz ehrlich, es war uns völlig egal, wer von uns dreien gewinnt." Also zog Frenzel, dessen Stärke die lange Tempoverschärfung ist, trotz seiner sieben Sekunden Vorsprung nicht einfach davon, sondern ließ sich bald einholen, während Rießle schnell zu Rydzek aufgeschlossen hatte. Mit ihren roten Mützen und dem einträchtigen Rhythmus erinnerten die Drei an ein Tour-de-France-Gruppetto, wie sie sich Sekunde um Sekunde an Watabe heransaugten. Nach sechs von zehn Kilometern hatten sie ihn.

Aber wusste man's? Ging vielleicht nicht doch wieder einem der Gaul durch? Kurz vor dem Ziel auf der langen gebogenen Abfahrt wurde es spannend. Rydzek hatte sich in die Führungsposition begeben. Rießle lag gleichauf, die beiden rasten auf die große 180-Grad-Schlusskurve zu, Frenzel dicht dahinter, die anderen waren abgehängt. Die erste Biegung bewältigten sie, noch 150 Meter - wer das Trio an der letzten Kurve schon im Schnee liegen sah, hatte sich getäuscht. Manierlich reihten sie sich in die Sprintspuren ein, jeder kam heil an, wissend, dass es nicht um Edelmetall oder Legierung ging, sondern um einen historischen Dreifacherfolg, wie es ihn vielleicht in 82 Jahren wieder gibt.

Dass sie nun für den richtigen Teamwettkampf am Donnerstag favorisiert sind, ist auch klar.

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SZ vom 21.02.2018/schma
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