Olympia:"Niemand hat darüber nachgedacht, dass jemand sterben könnte"

Lesezeit: 3 min

Bricht sich bei diesem Sturz das Becken: Skicrosser Christopher Delbosco. (Foto: dpa)

Skicrosser Thomas Fischer spricht im Interview über die brutalen Stürze bei den Winterspielen in Pyeongchang und wie man die Sportler besser schützen könnte.

Interview von Matthias Schmid

Skicrosser Thomas Fischer hat die Winterspiele in Pyeongchang wegen anhaltender Verletzungsprobleme verpasst - und vor drei Wochen seine Karriere beendet. Der 32-Jährige vom SC Ruhpolding hat die übliche dicke Krankenakte eines Weltcupathleten, unter anderem riss er sich dreimal das Kreuzband und brach sich das Schlüsselbein sowie den Daumen, im Sprunggelenk erlitt er Bänderrisse. Vor sechs Jahren war Fischer im gleichen Lauf wie Nick Zoricic, der tödlich verunglückte. Im Interview erzählt Fischer, Olympia-Teilnehmer von Sotschi, wie er den fürchterlichen Sturz des Kanadiers Christopher Delbosco in Pyeongchang erlebt hat, warum die Kurse bei Olympia immer brutaler werden und wie man die Athleten besser schützen könnte.

SZ: Herr Fischer, der Kanadier Christopher Delbosco brach sich in Pyeongchang das Becken, ein Franzose das Schienbein, und ein Österreicher erlitt eine Gehirnerschütterung. Ist der Kurs der Skicrosser zu gefährlich?

Thomas Fischer: Bei so einer Beurteilung muss man immer differenzieren. Aber man kann schon festhalten, dass die Kurse bei Olympia nach dem Motto "höher, schneller, weiter" gebaut werden. Das ist in den vergangenen Jahren immer extremer geworden, der Parcours in Pyeongchang hat 27 Sprünge, da können natürlich schlimme Sachen passieren.

Delbosco flog 30, 40 Meter durch die Luft.

Das hat einen faden Beigeschmack. Man hat schon bei den Snowboardern gesehen, dass der Parcours grenzwertig ist. Und mit den Skiern fährt man noch schneller über die Wellen und Sprünge.

Stürze bei Olympia
:Gerissene Bänder, gebrochene Knochen

In den Freestyle-Disziplinen verletzten sich bei Olympia überproportional viele Fahrer - eine Debatte um den Kursbau ist entbrannt. Wollen die Veranstalter zu viel Spektakel?

Von Johannes Knuth, Pyeongchang

Zumindest der Zielsprung wurde nach den Trainingsläufen entschärft.

Das ist mehr eine Alibiaktion, denn wenn man einen Sprung abträgt oder abschneidet, springt man ja nicht weniger weit, sondern hat nur einen geringeren Luftstand. Um den Kurs sicherer zu machen, müsste man die Geschwindigkeit verringern, indem man zum Beispiel mehr Kurven einbaut oder eisige Pisten auffräst und dadurch rauer macht.

In Pyeongchang geht es aber von oben bis unten ziemlich atemlos zu.

Die Fahrer bekommen keine Zeit, um sich mal kurz erholen zu können, ein schweres Element folgt dem nächsten. Das ist schon krass. Es gibt kaum Kurven und Überholmanöver.

Und Fahrfehler wie bei Delbosco können immer passieren.

Es war eine kleine Unachtsamkeit nach einer Welle, er kam vor dem Sprung in Rückenlage und konnte seinen Schwerpunkt nicht mehr nach vorne bringen. Er ist dann abgegangen wie eine Rakete.

Hätte er den Sturz irgendwie noch verhindern können?

Es geht dabei um Hundertstelsekunden. In einem Lauf vor ihm hatte der Schweizer Alex Fiva seine Skier noch quergestellt bekommen. Da ist die einzige Möglichkeit, um nicht 30, 40 Meter durch die Luft gewirbelt zu werden. Aber auch im Riesenslalom hebt es dich einfach mal aus, und du hast keine Chance mehr.

Haben die Rennläufer denn kein Mitspracherecht, wenn es um den Bau des Parcours geht?

Wir sind so etwas wie die Opfer unseres eigenen Erfolgs geworden. In Vancouver und Sotschi gehörten wir zu den beliebtesten Sportarten. Das Fernsehen hat uns für sich entdeckt, sodass viel mehr Geld in der Szene ist. Die wollen natürlich Spektakel sehen, die perfekte Show. Die Streif in Kitzbühel finden deshalb auch so viele Menschen richtig geil, weil es die Rennläufer jeder Zeit zerlegen kann. Wir wissen alle, auf was wir uns einlassen und dass Stürze nicht verhindert werden können.

Aber niemand verletzt sich gerne. Sind Skicrosser zu waghalsig?

Wir wollen alle heil ins Ziel kommen. Wenn sich ein Snowboarder wie Michael Schairer in Pyeongchang den Halswirbel bricht, gibt uns das natürlich zu denken. Aber Skicross ist ein unberechenbarer Sport, weil neben den Sprüngen und der Geschwindigkeit der körperliche Kontakt von vier Fahrern dazukommt. Helm und Rückenprotektoren sind bei uns Pflicht, aber wir können uns leider nicht wie Eishockey-Torhüter schützen, weil wir unsere Bewegungsfreiheit brauchen.

Sie waren im gleichen Lauf dabei, als Nick Zoricic vor sechs Jahren im schweizerischen Grindelwald tödlich verunglückte.

Vorher hat kein Mensch darüber nachgedacht, dass bei uns auch jemand sterben könnte und wir einem lebensgefährlichen Sport nachgehen. Sein Tod war sehr heftig für die kleine Skicross-Familie. Respekt hat jeder von uns, aber Angst darfst du nicht haben, wenn du am Start rausfährst. Das blockiert dich nur. Und es wird immer Fahrer geben, die sagen, dass der Kurs machbar ist und sie ja unverletzt unten angekommen sind.

Ist es auch deshalb so schwierig einen Rennen mal zu boykottieren?

Wir haben das im Weltcup schon ein, zweimal versucht. Aber es ist immer daran gescheitert, dass es Fahrer gab, die unbedingt starten wollten. Entweder machen es alle oder man lässt es sein, ein Teilboykott geht leider nicht.

In Sotschi waren im Zielsprung sogar Weiten von 75 Meter möglich.

Wenn es vorher ein Gerangel gibt, kann das natürlich sehr gefährlich werden. Ich will gar nicht daran denken, wenn Delbosco da gestürzt wäre.

Und die Skicrosserinnen fahren als nächstes auf der gleichen Strecke.

Ich bin gespannt, wie sie damit umgehen werden. Die Männer können mit ihrer Kraft noch einiges ausgleichen. Ich hoffe, dass alles glimpflich ausgeht.

Wären Sie gerne in Pyeongchang dabei gewesen?

Da kommt schon Wehmut auf, wenn ich die anderen um Medaillen fahren sehe. Aber ich habe im vergangenen Sommer komplett den Knorpel im Knie entfernt bekommen, Knochen reibt nun auf Knochen. Die Qualifikation wäre kaum machbar für mich gewesen. Und ich habe ja noch ein Leben nach dem Sport.

© sz.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Freestyle
:"Selbst meine Oma weiß noch immer nicht, was ich da eigentlich mache"

Die Freeskier sind die Brücke zwischen den Generationen, doch in Deutschland verkümmern sie in einer Nische - einige Fahrer müssen sich sogar selbst finanzieren.

Von Johannes Knuth

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: