Wahrscheinlich haben sie beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) ihr Glück am Freitagabend kaum fassen können. Bronze für die Sprintstaffel der Frauen in der Leichtathletik? Ein Olympiasieg durch Yemisi Ogunleye im Kugelstoßen? In der Medaillenwertung wird nicht unterschieden zwischen den mehr oder weniger eingepreisten und den überraschend gewonnenen Medaillen. Dann kam am Samstag auch noch ein zweiter Platz im Frauengolf um die Ecke ... Nimmt man alles gerne mit!
Olaf Tabor, der Leistungssportdirektor des DOSB und der deutsche Chef de Mission in Paris, zog dann am Samstagmorgen im „Deutschen Haus“ im Stade Jean-Bouin eine gemischte Bilanz des Abschneidens in Paris. Es seien viele „unvergessliche Momente“ dabei gewesen, mit Olympiasiegen im Schwimmen, 3x3-Basketball, Rudern oder Kanu, also: „große Emotionen“. Auch dass das deutsche Team die „Vielfalt der Gesellschaft“ widergespiegelt habe mit seinen ganz unterschiedlichen Hintergründen und Familiengeschichten, aber demselben Bekenntnis zur Hochleistung, wollte Tabor betonen.
DOSB-Präsident Thomas Weikert lobte neben der Stimmung auch das Abschneiden der insgesamt neun deutschen Vertreter in den Teamsportarten. „Die Breite ist bei uns viel größer geworden. Jede Mannschaft hier war mindestens im Viertelfinale“, sagte Weikert. „Das ist für mich eine famose Bilanz.“ Und so ließ sich die Zufriedenheit der sportlichen Leitung in einem Satz des Sportchefs Tabor zusammenfassen: „Team D hat hier eine wirklich gute Rolle gespielt.“ Das war „die emotionale Sicht“ auf den Auftritt der Deutschen.
„Die eine oder andere Medaille haben wir liegen lassen“
Gemessen wird der Sport aber auch an den Zahlen. Da habe man, wo immer man angetreten sei, „erstklassige Leistungen und zum Teil Weltklasseleistungen geboten“, sagte Tabor. Die deutsche Hymne erklang in Paris sogar häufiger als 2021 in Tokio, die Zahl der Goldmedaillen (12) lag höher als bei den vergangenen Spielen (10). Hinzu kamen laut Tabors Berechnungen noch fast 80 Platzierungen „zwischen Rang vier und acht“, was man auf diese oder jene Weise deuten kann. Man habe leider „die eine oder andere Medaille auch liegengelassen“ – zugleich aber Weltklasseniveau über die reine Medaillenstatistik hinaus nachgewiesen.
„Selbstkritisch“ blickte Tabor dennoch auf die Gesamtbilanz: „Wir werden wieder etwas weniger Medaillen gewinnen als in Tokio“, sagte er am Samstagmorgen, als das bereits feststand. In Tokio waren vor drei Jahren noch 37 Platzierungen auf dem Podest herausgesprungen, das war schon weniger gewesen als bei allen Spielen zuvor seit der Wiedervereinigung. In Paris waren es am Ende nun 33 Plaketten. „Insofern setzt sich unsere Negativbilanz bei der Medaillenausbeute leider fort.“
Als Zielverfehlung kann man das nicht werten; der DOSB war mit dem Anspruch angetreten, es wieder in die Top Ten der Nationen zu schaffen, das ist gelungen. Insofern werde man „mit einem positiven Gefühl nach Hause fahren“, sagte Tabor. Dort allerdings warten viel Arbeit und die eine oder andere harte Auseinandersetzung.
Es gebe „viele Gründe, warum wir insgesamt nicht mehr so leistungsfähig sind“, sagte Tabor. Das gehe schon in der Nachwuchsförderung los: „Im Nachwuchspool haben wir immer weniger Talente“, stellte er fest; „wenn wir Talente nicht hinreichend finden und fördern“, sei das bereits ein Startnachteil. Aber auch „bei der Förderung der Topathleten im internationalen Vergleich“ hätten andere Länder oft mehr Möglichkeiten. Deshalb führe der deutsche Sport gerade eine grundsätzliche Zieldebatte: „In welchen Bereichen will sich die Gesellschaft weiterhin durch Spitzensport begeistern lassen – und ist dann auch bereit, Sportlerinnen und Sportler entsprechend zu unterstützen?“
Mittelfristig, sagt Tabor, sei seine Zielstellung wieder „Platz fünf in der Welt“. Das Gerangel mit der Politik um Kompetenzen und Zuständigkeiten in der Spitzensportförderung, das sich nun seit mehr als zehn Jahren zieht, ist da sicher keine Hilfe. Tabor setzt seine Hoffnung hier auf das neue Sportfördergesetz, das derzeit in die parlamentarische Feinabstimmung geht. Es sieht unter anderem eine unabhängige Sportagentur vor, die die Steuerungsfunktion des DOSB und die Förderungsfunktion des Bundesinnenministeriums in einer Institution zusammenführen soll.
Auch Weikert wies auf vielfältige Mängel hin: „Wir brauchen mehr Trainer, im Spitzensport, aber auch an der Basis. Dafür brauchen wir mehr Geld, da sind wir noch lange nicht am Ziel.“ Weikert brachte auch andere Möglichkeiten ins Gespräch, auf die sich der Gesetzgeber festlegen könnte, wenn der Sport ihm wirklich wichtig ist: „Wenn ehrenamtliche Trainer in den Vereinen schon nicht bezahlt werden, könnte man ihnen Rentenpunkte gutschreiben“ für diesen Dienst an der Gesellschaft, sagte er. Oder man könnte die Übungsleiterpauschale erhöhen, also eine indirekte Vergütung über die Steuererklärung erwirken.
In Kindergärten und Kitas spiele Sport weiterhin kaum eine Rolle. Und auch der Kampf um die dritte wöchentliche Sportstunde an den Schulen geht weiter. „In Paris gab es mit Blick auf die Spiele jeden Tag Sport in der Schule“, sagte Weikert. „Das hat nicht für diese Spiele Früchte getragen, aber für die Zukunft vielleicht schon.“