Marathon und Hochsprung:Olympia bezwingt auch die Großmeister

Lesezeit: 3 Min.

Eliud Kipchoge, mit einem Kühlstirnband ausgerüstet, zu Beginn der 42,195 Kilometer. Am Ende musste er zum ersten Mal überhaupt ein Rennen aufgeben. (Foto: Kirill Kudryavtsev/AFP)

Auch die Besten können in den Staub fallen: Marathonläufer Eliud Kipchoge und Hochspringer Gianmarco Tamberi bekommen das schmerzvoll zu spüren.

Von Saskia Aleythe, Saint-Denis

Die Bilder, die man von Eliud Kipchoge kennt, sind Bilder der Dominanz. Wie er leichtfüßig über die Straßen der Welt rennt, stundenlang. So, als würde ihm das alles gar nichts anhaben, als würde er zehn Kilometer laufen statt eines Marathons. Und wo sollte man solche Fähigkeiten besser präsentieren als in der Kulisse von Paris? Also lief Kipchoge, offiziell 39 Jahre alt, am Samstagmorgen mit frohen Hoffnungen los Richtung Schloss Versailles, die Strecke war anstrengend, etwa 480 Höhenmeter mussten bewältigt werden. Und als er das Schloss passiert hatte und längst wieder unterwegs Richtung Paris war, sah man Kipchoge plötzlich gehen. Ihn, den König des Marathons.

Er hatte mit diesem Lauf eine weitere Sparte der Geschichtsbücher befüllen wollen: In Rio und in Tokio war Kipchoge zu Gold gerannt, zwei Olympiasiege nacheinander im zehrenden Marathon haben sonst nur Abebe Bikila und Waldemar Cierpinski geschafft, Nummer drei wäre eine historische Zugabe gewesen. Doch nun quälte sich Kipchoge über die Strecke, die Zuschauer applaudierten ihm zu, einige liefen sogar neben ihm her. „Ich habe ihre Liebe und ihren Respekt gespürt“, sagte Kipchoge.

SZ PlusLeichtathletik
:Gekämpft mit Körper und Kopf

Malaika Mihambos Silbermedaille strahlt nach einer Coronainfektion „sehr golden“, Julian Weber ist dagegen nur auf dem Aufwärmplatz in Goldform: Die deutschen Topleichtathleten erfahren in Paris, wie schmal der Grat zum Erfolg ist.

Von Saskia Aleythe

Bei Kilometer 31 stieg der Kenianer in Paris schließlich aus. „Das war mein schlimmster Marathon“, sagte er später und griff zu einer recht anschaulichen Analogie: „Es ist wie beim Boxen. Du kannst fünf Monate in ein Trainingscamp gehen und dann innerhalb von zwei Sekunden ausgeknockt werden.“

Bei ihm dauerte der Knockout eine Stunde und 40 Minuten. Noch nie in seiner langen Karriere hatte er einen Lauf abbrechen müssen, diesmal plagten ihn Rückenschmerzen ab Kilometer 20. Die vielen Hügel und Steigungen seien nicht problematisch gewesen, so Kipchoge, „es waren allein die Schmerzen“. Dann sah man später, wie er in ein Auto stieg, und die Leute jubelten ihm trotzdem zu. Das Leben gehe weiter, sagte Kipchoge, er wolle selbstverständlich wieder Marathons rennen. Nur noch ein Auftritt bei Olympia in vier Jahren konnte er sich zunächst nicht vorstellen. Beim Berlin-Marathon 2022 hatte er seinen Weltrekord von 2018 auf 2:01:09 Stunden verbessert, im Oktober vergangenen Jahres hatte Landsmann Kelvin Kiptum die Marke in Chicago dann auf 2:00:35 gedrückt. Alles war für das große Duell in Paris bereitet. Dann starb Kiptum, 24 Jahre alt, im vergangenen Februar bei einem Autounfall.

„Ich habe gespürt, dass das mein letzter richtiger Wettkampf war“, sagt Tamberi

Der Sieg ging später an den Äthiopier Tamirat Tola, der die anspruchsvollen 42,195 km in 2:06:26 Stunden bewältigte, er triumphierte mit 21 Sekunden Vorsprung vor Bashir Abdi aus Belgien (2:06:47) und dem Kenianer Benson Kipruto (2:07:00). Als bester Deutscher landete Richard Ringer nach einem starken Rennen auf Rang zwölf (2:09:18). Bei den Frauen war das Finale ähnlich spektakulär: Sifan Hassan, über 5000 und 10 000 Meter in Paris bereits mit Bronze behangen (!), spurtete allen Favoritinnen davon, die Niederländerin gewann in 2:22:55 Stunden vor Weltrekordhalterin Tigist Assefa aus Äthiopien und der Kenianerin Hellen Obiri.

Wo er ist, ist das Drama nicht fern: Gianmarco Tamberi ist nach seinem frühen Aus im olympischen Hochsprungfinale untröstlich. (Foto: Hannah McKay/Reuters)

Nicht nur im Marathon ist es die Ausnahme, dass ein Plan immer wieder aufgeht – Olympia streckt auch viele andere Großmeister nieder, den Italiener Gianmarco Tamberi etwa. Der Zeitplan der Olympischen Spiele hatte es vorgesehen, dass der Hochsprung der Männer den finalen Abend gestalten durfte, und wer wüsste diese Gelegenheit besser zu nutzen als Tamberi? Der 32-Jährige ist nicht nur amtierender Welt- und Europameister, sondern auch einer, der die Zuschauer an seiner Gefühlswelt teilhaben lässt. Wenn Tamberi ausrastet, rastet das Publikum aus; wenn er leidet, leidet auch das Stadion.

So war es dann auch am Samstagabend: Da meisterte Tamberi die Einstiegshöhe von 2,22 Metern, aber bei 2,27 Metern war schon Schluss. Tamberi weinte bitterlich. Ob er überhaupt an den Start gehen würde, war lange offen: In seiner Zeit in Paris hatte Tamberi mit Nierensteinen zu kämpfen, musste gar in die Notaufnahme. „Sie brachten mich gegen 14.30 Uhr ins Krankenhaus und sagten mir, die Situation sei ernst“, berichtete er später. Die Ärzte hätten ihm gesagt, es sei nicht die ideale Situation, um anzutreten, aber er solle es versuchen, „weil sie wissen, was das für einen Sportler bedeutet“. 

Vor drei Jahren in Tokio hatte er sich noch mit Katars Mutaz Essa Barshim den Sieg geteilt, statt nach übersprungenen 2,37 Metern ein Stechen um die Goldmedaille auszutragen. Nun, am letzten Abend in Saint-Denis, verzichteten die höhengleichen Hamish Kerr (Neuseeland) und Shelby McEwen (USA) auf einen derartigen Pakt, sie traten nach überquerten 2,36 Metern zu einer Ausscheidung an, die der Neuseeländer Kerr für sich entschied. Barshim landete auf dem Bronzerang, Tamberi wurde Elfter. „Ich habe gespürt, dass das mein letzter richtiger Wettkampf war, dem ich mein ganzes Leben gewidmet habe“, sagte Tamberi noch. Das klang dann schon nach Abschied. Aber da sprachen, natürlich, noch die Emotionen aus ihm.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusKugelstoßerin Yemisi Ogunleye
:Beten, zu Gold stoßen, vor Freude weinen, singen

Auf der Zielgeraden gelingt der deutschen Leichtathletik noch ein sporthistorischer Abend: Die 4x100-Meter-Staffel gewinnt Bronze – und Kugelstoß-Olympiasiegerin Ogunleye berichtet von einem „Glauben, den ich in meinem Leben so noch nie verspürt habe“.

Von Saskia Aleythe

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: