DFB-Aufgebot bei Olympia:"Wir haben jeden Spieler auf dieser Liste abtelefoniert"

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Wer darf zu Olympia? Man verliert ein bisschen den Überblick, wer aus Stefan Kuntz' U21-Kader auch in Tokio dabei sein wird, aber das kann man zum Glück googeln. (Foto: Frank Hoermann/imago images/Sven Simon)

Stefan Kuntz wühlt durch sein ganzes Telefonbuch - und kann trotzdem nicht alle Kaderplätze für Olympia besetzen. Unterstützung von großen Vereinen erhofft sich der DFB-Trainer vergeblich.

Von Celine Chorus, München

U21-Trainer Stefan Kuntz versuchte, sich seine Verärgerung nicht anmerken zu lassen, doch innerlich dürfte es in ihm gebrodelt haben. Schon bei der Nominierung des deutschen Tokio-Aufgebots war es ihm nicht gelungen, den wegen der Corona-Pandemie auf 22 Spieler aufgestockten Kader zu füllen. Nur 19 Stellen besetzte er. Doch bis zur Abreise zu den Olympischen Sommerspielen (23. Juli bis 8. August) am Dienstag musste Kuntz sein Aufgebot erneut reduzieren: Nach der kurzfristigen Absage von Ismail Jakobs stehen ihm in Japan nur noch 18 Spieler zur Verfügung, davon drei Torhüter. Für den U21-Nationalspieler Jakobs, der wegen seines Wechsels vom 1. FC Köln zum französischen Erstligisten AS Monaco auf eine Teilnahme verzichtet, wird kein Ersatz nachnominiert.

"Wir mussten im Januar eine 100er-Liste erstellen - und nur von dieser dürfen wir nachnominieren", erklärte Kuntz beim Abschlusstraining des DFB-Aufgebots sein Dilemma: "Wir haben jeden Spieler auf dieser Liste abtelefoniert oder mit den Vereinen gesprochen - und diese 18 sind übriggeblieben." So hatten neben Jakobs bereits Niklas Dorsch, der sich in der Vorbereitung bei seinem neuen Verein FC Augsburg beweisen möchte, und der verletzte Josha Vagnoman (Hamburger SV, Muskelfaserriss) für das am kommenden Mittwoch startende Olympia-Turnier abgesagt. Die Ausfälle der beiden U21-Europameister konnte Kuntz immerhin durch Ragnar Ache (Eintracht Frankfurt) und Keven Schlotterbeck (SC Freiburg) auffangen.

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Dass lediglich 15 statt 19 möglicher Feldspieler im deutschen Aufgebot stehen, habe jedoch auch daran gelegen, dass die Vereine offenbar andere Prioritäten setzten: "Einige Spieler wollten nicht, und dann haben wir einige Vereine, die mit der Unterstützung hinter dem Berg gehalten haben", klagte Kuntz. Laut Fifa-Statuten besteht im Gegensatz zu Welt- und Europameisterschaften bei den Olympischen Spielen keine Abstellungspflicht für die Vereine. So war Kuntz auf ihre Bereitschaft angewiesen, die Spieler für eine Teilnahme freizustellen - und musste am Dienstag nach vielen enttäuschenden Gesprächen schließlich nachgeben: "Ich finde, das ist kein optimales Zeichen. Es gibt sonst wohl keine Sportart, in der nicht alle möglichen Kaderplätze besetzt werden."

DFB-Trainer Kuntz beklagt mangelnde Unterstützung der großen Vereine

Schon vor dem Turnier hatte der DFB mit den Vereinen die Abmachung getroffen, dass keiner der 26 deutschen EM-Spieler auch für Olympia infrage komme, und dass angesichts der bevorstehenden Bundesliga-Saison kein Verein mehr als zwei Spieler nach Tokio schicken solle. "Einige große Vereine wollten leider nicht so wie erhofft helfen", monierte Kuntz, ohne dabei Namen zu nennen. Es war jedoch eine Aussage, von der sich insbesondere der FC Bayern München angesprochen fühlen dürfte, der nicht einmal seinen dritten Torhüter Ron-Thorben Hoffmann freistellen wollte. "Umso mehr freue ich mich über die Unterstützung der restlichen Vereine, die es ermöglicht haben, dass wir mit dieser Mannschaft nach Japan reisen können", so Kuntz.

Dass das olympische Fußball-Turnier in Deutschland offenbar einen geringeren Stellenwert hat als in anderen Ländern, zeigt auch der Vergleich mit Spanien: Gleich sechs EM-Teilnehmer stehen im Kader von Trainer Luis de la Fuente; in Torhüter Unai Simón (Athletic Bilbao) oder dem als bester Nachwuchsspieler der EM ausgezeichneten Pedri (FC Barcelona) sogar zwei Leistungsträger. Ermöglicht wird dies durch das spanische Sportgesetz, wonach die Vereine ihre Spieler - unabhängig von den Fifa-Regelungen - auch für das Olympia-Turnier abstellen müssen. Deutschland reist dagegen nicht nur ohne seinen besten Kader nach Tokio, sondern muss auch hoffen, dass sich niemand verletzt - sonst könnte Kuntz nicht einmal seine fünf Wechseloptionen ausschöpfen, ohne dass ein Torhüter als Feldspieler gefragt wäre.

"Es ist natürlich traurig, wenn Vereine Spieler nicht freigeben, aber das ist die Baustelle von anderen", sagt Union Berlins Angreifer Max Kruse, der als einer der drei Spieler mitfahren darf, die vor dem Stichtag am 31. Dezember 1996 geboren wurden. Neben Kruse nominierte Kuntz auch Nadiem Amiri (Bayer Leverkusen) und Maxi Arnold (VfL Wolfsburg). Ihnen wird eine Schlüsselrolle zukommen, damit Deutschland ein ähnlicher Erfolg wie 2016 gelingen kann, als man erst im Finale von Brasilien (4:5 nach Elfmeterschießen) gestoppt wurde. Diesmal bekommt es das deutsche Aufgebot bereits in der Vorrunde mit der Seleção (22.07.) zu tun, Saudi-Arabien (25.07.) und die Elfenbeinküste (28.07.) sind die weiteren Gruppengegner. "Solange wir elf Leute auf den Platz kriegen, werden wir alles versuchen, um die Goldmedaille nach Deutschland zu holen", sagt Max Kruse.

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