Olympia 2010: Journalisten:Schatten in der Scheinwelt

Journalisten sind nicht schuld am Tod des Rodlers Nodar Kumaritaschwili. Sie müssen sich aber bewusst sein, dass sie Sportler an körperliche Grenzen treiben.

Thomas Hahn

Noch schien die Sonne über dem Callaghan Valley, die Qualifikation der Skispringer war gerade zu Ende gegangen, und der Kollege telefonierte. Uhrmann war weit gesprungen. Der alte, gebeutelte Uhrmann aus Rastbüchl nach all den Jahren der Niederlagen. Das klang nach einer guten Geschichte, nach einem Lehrstück vom Fallen und Aufstehen aus dem Theater Olympias. Aber der Kollege telefonierte nicht wegen Uhrmann. Er sprach über eine Katastrophe. Er legte auf.

"Was ist los?" "Ein Rodler aus Georgien ist tot." "Was?"

Bei Olympia gibt es den Tod nicht. Die Spiele feiern ein Fest der Jugend und der kleinen Fragen, und wenn der Tod doch einmal in ihre bunte Landschaft einbricht, fühlt man sich als Berichterstatter wie ein Clown im falschen Film. Die Gedanken, die einem gerade noch wichtig waren, wirken plötzlich wie Verrat am Ernst des Lebens.

Olympia-Reporter berichten aus dem Paradies, aus einer reichen Scheinwelt, und meistens an den Härten des Lebens vorbei. Das ist kein Fehler, man muss nur wissen, was das bedeutet. Wir sind bei diesen Spielen Betrachter einer Show auf Eis und Schnee. Durch unser Interesse bestärken wir Sportler darin, sich Kräften auszusetzen, die im Grunde zu groß sind für einen menschlichen Körper. Wir können Unglücke im Wintersport weder verhindern, noch kann sie uns jemand zur Last legen. Aber wir können uns auch nicht vormachen, wir hätten gar nichts damit zu tun.

Die Stunden nach dem Tod Nodar Kumaritaschwilis waren seltsam. In Whistler spielten Straßensänger ihre Lieder. Die Leute lachten im Regen. Die Stimmung war geprägt von Vorfreude und Neugier auf das, was in den nächsten Tagen folgen wird, das Leben ging unnachgiebig weiter. So viele Bilder schossen vorbei, die nicht zueinander passten. Die bunten Tänze der Eröffnungsfeier, die fröhlichen Sportler beim Einmarsch der Nationen. Dazwischen: die traurigen, gebeugten Männer der georgischen Mannschaft.

Und später am Abend im Café liefen die Nachrichten. Noch einmal flimmerte die Pracht der Auftaktzeremonie über die Fernsehschirme, im nächsten Moment Kumaritaschwilis schrecklicher Sturz. Tod und Freude lagen nur eine Schalte, einen Gedanken, einen Blick auseinander an diesem Tag, nach dem wir uns schließlich in einen neuen Tag retteten und in die Sicherheit unserer kleinen Fragen an Skispringer und Biathleten.

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