Süddeutsche Zeitung

Olympia in Südkorea:Rätselhaft streng gegen russische Athleten

  • Das IOC verweigert 111 russischen Athelten die Einladung zu den Olympischen Winterspielen nach Pyeongchang. Betroffen sind davon auch einige Medaillenanwärter.
  • Eine genaue Begründung von Seiten des IOC bleibt dabei aus. Russische Sportler fühlen sich zu Unrecht beschuldigt und sind der Meinung, das IOC würde dabei "Gesetze zertrampeln."
  • Das intransparente und unterschiedliche Vorgehen betrifft auch die Fachverbände der olympischen Sportarten.

Von Johannes Aumüller

Am Mittwoch meldete sich auch der Sprecher des Kreml zu Wort, und es war ein durchaus bemerkenswerter Tonfall, den er dabei anschlug. Russlands Öffentlichkeit ist empört, seitdem in den vergangenen Tagen durchsickerte, dass das Internationale Olympische Komitee (IOC) diversen nationalen Medaillenhoffnungen - etwa dem Biathleten Anton Schipulin - die Einladung für die Winterspiele in Pyeongchang verwehrt, ohne dafür konkrete Begründungen zu nennen. Aber Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow teilte dazu lediglich mit: "Wir müssen mit dem IOC sprechen und auf unserem Recht bestehen, soweit das möglich ist." Es sei wichtig, besonnen zu bleiben und "solche Worte wie Boykott zu vermeiden".

Das klang nun gar nicht nach dem Aufruf zur großen (sport-)juristischen Gegenwehr. Sondern fast schon nach einem Einverständnis mit der Entscheidung.

In etwas mehr als zwei Wochen beginnen die Spiele in Südkorea, und es ist eine der spannenden Fragen, wie viele und welche russischen Athleten trotz der Affäre um staatlich organisierten Dopingbetrug noch mitmachen dürfen. Am Wochenende soll das Aufgebot bekanntgegeben werden, erwartet wird, dass etwa 200 Sportler dazu zählen. Aber die Art und Weise, wie es zustande kommt, lässt sich aufgrund der mangelnden Transparenz des IOC immer schwerer nachvollziehen.

Die Sanktionen des IOC betreffen in erster Linie die russischen Athleten

Längst drängt sich der Verdacht auf, dass hinter dem IOC-Entscheid über die Folgen des russischen Staatsdopingsystems ein Deal steht. Dessen einer Teil scheint zu lauten: Das System als solches wird weitgehend geschont. Es ist inzwischen gut dokumentiert, wie es in Russland über Jahre ein vom Sportministerium orchestriertes und unter anderem vom Geheimdienst unterstütztes Manipulationssystem gab. Mehrere staatliche Stellen waren tief involviert, und trotzdem umschiffen das IOC und seine eingesetzten Kommissionen das Adjektiv "staatlich" weiträumig, wenn es um die Beschreibung des Systems geht. Zudem dürfen Moskaus Athleten als "Olympische Athleten aus Russland" an den Start gehen, obwohl Russlands Olympia-Komitee (ROK) für Pyeongchang suspendiert ist; gemeinhin treten Athleten suspendierter Komitees ohne Erwähnung des Landes auf. Ein bemerkenswertes Entgegenkommen also. Und wenn das ROK bis zur Schlussfeier brav ist, dann sind auch die russische Flagge und die russische Hymne wieder erlaubt. Aber neben der weichen Sanktion gegen das System gehört zum Gesamtpaket der Beschlüsse auch, dass das IOC gegen einzelne russische Athleten sehr streng vorgeht.

Dutzende von ihnen bekommen das gerade zu spüren. Zu unterscheiden sind dabei zwei Gruppen. Einerseits geht es um 43 Sportler, die das IOC lebenslang von den Olympischen Spielen ausschloss. 39 von ihnen kämpfen derzeit vor dem Internationalen Sportgerichtshof (Cas) gegen diese Sanktion, dazu zählen unter anderem die Olympiasieger Alexander Legkow (Langlauf) und Alexander Tretjakow (Skeleton).

Laut IOC waren sie Teil jenes bei den Spielen in Sotschi 2014 praktizierten Systems, bei dem positive Dopingproben gegen negative ausgetauscht wurden. Das ergebe sich unter anderem durch Kratzspuren auf den Fläschchen ihrer Urintests, oder durch Aussagen von Grigorij Rodtschenkow, der früher als Laborchef Teil des Dopingsystems war und heute als Kronzeuge in die USA geflüchtet ist. Wie schwer es aber ist, die vorliegenden Indizien als Beweis für eine konkrete Mittäterschaft der Athleten anzusehen, zeigt dies: Manche Fachverbände folgten dem IOC und sperrten ihre Sportler ebenfalls. Eisschnellläufer oder Rodler hingegen dürfen im Weltcup starten.

Seit Dienstag geht es aber noch um eine weitere Gruppe, die der Bann trifft: Von ursprünglich 500 für Pyeongchang vorgeschlagenen Athleten dürfen sich jetzt nur noch 389 Hoffnung machen. Eine offizielle Liste der Aussortierten gibt es noch nicht, aber durch Aussagen verschiedener russischer Offizieller lässt sie sich inzwischen zusammenpuzzeln. Viele bekannte Namen sind darunter, vom Langläufer Sergej Ustjugow bis zum Biathleten Anton Schipulin, vom Shorttracker Wiktor Ahn bis zur Eiskunstläuferin Xenia Stolbowa. Aber auch Sportler aus der zweiten Reihe: So sollen nur drei von elf vorgeschlagenen Biathleten bestätigt worden sein, im Eisschnelllauf besteht das Team demnach aus einem Mann und drei Frauen, und auch fünf Eishockeyspieler traf es.

Warum? Das sagt das IOC derzeit nicht genau. "Nicht auf der Einladungsliste zu stehen, heißt nicht zwangsläufig, dass ein Athlet gedopt hat", zitierte das IOC in einer Mitteilung die frühere französische Sportministerin Valerie Fourneyron. Eine Kommission unter ihrer Leitung prüfte die 500 Nominierten. Verschiedene nationale Anti-Doping-Agenturen kritisierten das Verfahren, deshalb veröffentlichte das IOC am Donnerstag zumindest die generellen Kriterien der Kommission, ohne dabei aber konkrete Begründungen zu den einzelnen Sportlern zu liefern. Klar ist, dass dem IOC zuletzt viele Informationen zugegangen sind, unter anderem eine Datenbank des Moskauer Doping-Kontrolllabors mit Aufzeichnungen aus den Jahren 2012 bis 2015. Womöglich kommt es also gegen manche der nicht eingeladenen Sportler später zu einem Doping-Verfahren, weil sie vom Moskauer Betrugssystem profitiert haben sollen.

IOC-Präsident Thomas Bach verteidigte den Ausschluss. "Wir wollen nur saubere russische Athleten am Start haben", sagte er. Bei den nicht eingeladenen Athleten hätte die Kommission "ernsthafte Zweifel" an der Sauberkeit gehabt. Sie hätte "seriös" und "verantwortungsvoll" entschieden.

Von den betroffenen Sportlern kommt zwar manch heftiger Satz; der Eisschnellläufer Pawel Kulischnikow etwa bezeichnete das IOC "als Despot und Tyrann, der alle Gesetze zertrampelt". Aber eine Ankündigung, etwa vor den Cas zu ziehen, gab es bis Mittwochabend noch von niemandem. Stattdessen teilten mehrere Betroffene wie Biathlet Schipulin schon mit, dass sie sich damit abfinden würden.

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SZ vom 25.01.2018/mwal
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