Olympia in Sotschi:Unsichere Zeiten für die Herren der Ringe

Nasa Weltall Olympia Sotschi

Aufnahme aus dem Weltall von Sotschi.

(Foto: REUTERS)

Gigantismus, Umweltfrevel, Korruption, Ausbeutung, politische Inszenierung und Instrumentalisierung: In Sotschi hat sich das Internationale Olympische Komitee verrannt. Was ist aus der olympischen Idee geworden? Der Gegenwind wird bedrohlich scharf, es ist höchste Zeit zur Umkehr.

Ein Kommentar von René Hofmann

Mal angenommen, die 103 Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees hätten am 4. Juli 2007 in Guatemala-Stadt anders entschieden. Sie hätten die Olympischen Winterspiele 2014 nicht an Sotschi vergeben, sondern an Salzburg. Dann würde die Welt heute nach Österreich schauen.

Vermutlich würde ausgiebig diskutiert, ob das, was dort für die Spiele entstand, gelungen sei. Ob etwa drei Milliarden Euro ein angemessener Preis sind für eines der größten Sportfeste der Welt. Ob Wintersport in dieser Darreichungsform noch zeitgemäß ist angesichts von schmelzenden Polkappen und Gletschern. Und sehr wahrscheinlich gäbe es auch Aufregung über neue Dopingmittel, die vor der Eröffnungsfeier aufflogen.

Vor den meisten Sportereignissen gibt es solche Reflexe: Bevor die Wettbewerbe beginnen, werden die Rahmenbedingungen thematisiert, wozu düstere Farben angerührt werden. Wenn die Spiele dann begonnen haben, vertreibt die farbenfrohe Freude die Zweifel. So zumindest war das bislang. Weil das IOC damals aber nicht Salzburg kürte - die Österreicher schieden im ersten Durchgang mit nur 25 Stimmen aus -, sondern Sotschi, könnte künftig alles anders werden.

Gigantismus, Umweltfrevel, Korruption, Ausbeutung, politische Inszenierung und Instrumentalisierung - Sotschi steht nicht nur für alles, was den Spielen lange schon vorgeworfen wird. In jedem einzelnen Anklagepunkt wurde ein Superlativ aufgestellt. Schätzungsweise 40 Milliarden Dollar haben die Olympiabauten gekostet.

Für sie wurde ein riesiges Gebiet im Wortsinn umgegraben. Dass es dabei ruppige Enteignungen gab, ist ausführlich dokumentiert, dass mit den Bauarbeitern auch nicht immer umgesprungen wurde, wie es sich mitteleuropäische Gewerkschaften vorstellen, ebenso. Und all das wird gekrönt davon, dass Staatspräsident Wladimir Putin das Fest, zu dessen Prinzipien die generelle Gleichheit aller Menschen gehört, zur innenpolitischen Profilierung nutzt - indem er das Werben für homosexuelle Lebensformen demonstrativ zum strafbewährten Akt erklärt.

Man muss die Spiele keineswegs in dieser Form veranstalten. Aber man kann. Putin beweist gerade eindrucksvoll, was für ein komischer Haufen dieses IOC ist: Es verkauft seine Produkte höchstbietend, und anschließend kümmert es sich kaum mehr darum, was aus ihnen wird. Lange kam das IOC damit durch. Nun aber wird der Gegenwind bedrohlich scharf.

Der Confed Cup, das Testturnier für die Fußball-WM 2014, zeigte im Sommer 2013 bereits, was die internationalen Sport-Verbände inzwischen erwartet, wenn das Publikum das Gefühl hat, nur als Geldgeber und Kulisse gefragt zu sein: Die Brasilianer protestierten zu Hunderttausenden. Und die Proteste ebbten nicht ab, als der Fußball begann. Der Unmut in Brasilien nährte sich aus sozialen Problemen. Was es an Sotschi zu kritisieren gibt, ist noch größer: Diskriminierung, Ausbeutung, Umweltzerstörung, Prasssucht politischer und wirtschaftlicher Führungskräfte - das sind globale Themen.

Verschweigen, Verharmlosen, Verklären

Der neue IOC-Chef Thomas Bach wird daran gemessen werden, wie er auf diese Herausforderungen reagiert. Der erste Eindruck: Er hat die Lage zumindest erkannt. Sein Auftritt bei der Eröffnungsfeier wirkte engagiert. Bach sagte nicht nur viel, sondern platzierte auch Botschaften, die als Reaktionen auf die vielfältige Kritik verstanden werden können. Verschweigen oder Verklären - so begegnete das IOC bisher Anwürfen. Würde Bach das weiter so halten, wäre dies fatal: Es würde die Ablehnung noch befeuern.

Wie der Fußball-Weltverband muss auch das IOC schnell begreifen, dass es inzwischen überall als eine global agierende, auf Gewinnmaximierung ausgerichtete Firma durchschaut wird. Damit deren Angebot weiter angenommen wird, muss sich die Firma an die Spielregeln halten, die für Konzerne inzwischen in den meisten Märkten gelten: Compliance, Nachhaltigkeit. Eine Frauenquote für Führungsgremien wäre auch nicht schlecht.

Das Geschäft mit den Ringen ist keineswegs tot. Die Idee, alle vier Jahre die besten Athleten der Welt zu versammeln, entfaltet immer noch ihren Reiz. 2010 in Vancouver und 2012 in London waren die Spiele große Erfolge. Sie zeigten nicht nur, dass sich die Party auch weiter in freiheitlichen, demokratischen Gesellschaften veranstalten lässt. Sondern, dass sie dort tatsächlich zu einem Fest werden kann, das nicht nur das Selbstbewusstsein im Veranstalterland stärkt.

Auch bei den Spielen in Sotschi ist Beeindruckendes zu erleben. Selten zuvor fanden Winterspiele zugleich unter Palmen und im Schnee statt. Nie waren sie größer. In Sotschi werden sich so viele Sportler wie nie zuvor in mehr Disziplinen als je zuvor messen. Die TV-Rechte bringen weiterhin gewaltige Summen ein, und trotz aller Vorbehalte haben sich viele solvente Sponsoren gefunden.

All das aber kann nicht darüber hinwegtäuschen, wie düster die Perspektiven sind. Selbst in Österreich, wo Ski-Helden bisher wie Halbgötter verehrt wurden, interessiert sich die Hälfte der Bevölkerung nicht für die Spiele in Sotschi, das hat eine Erhebung ergeben. In Deutschland antworteten etwa 50 Prozent sogar, sie fänden es angesichts der Menschenrechtslage in Russland gut, wenn überhaupt keine deutsche Mannschaft ans Schwarze Meer fahren würde. Die vielen Millionen Steuergeld, mit denen der Wintersport alimentiert wird, seien für diesen Trip verschwendet, heißt es.

Die Herren der Ringe erleben unsichere Zeiten. Die nächsten Sommerspiele finden 2016 in Rio de Janeiro statt, wo die Proteststimmung gegen teure Wettkämpfe unberechenbar sein wird. 2018 geht es nach Pyeongchang in Südkorea, wo - wie in Sotschi - extra ein neues Ski-Areal erschlossen werden muss. 2020 ist Tokio dran, begleitet von den Bedenken wegen der Nähe zum zerstörten Atommeiler in Fukushima. Und was danach kommt - das wird zur wegweisenden Frage.

Für den Winter 2022 fehlt noch der Ausrichter, drei traditionsreiche Wintersportnationen haben abgewunken. In Deutschland und der Schweiz verhinderten Bürgerbefragungen eine Olympia-Bewerbung, die Schweden zogen ihre zurück, trotz der natürlichen Verbindung zu Schnee und Eis.

Der Weltsport steckt fest in einem Tiefdruckgebiet. Um das IOC aus den Turbulenzen zu navigieren, muss Präsident Thomas Bach die Richtung ändern. Er muss den Prozess der Städtekür reformieren, er muss wieder Lust auf seine Spiele wecken. Ein erster Schritt sollte ein transparentes Wahlprozedere sein, das sich daran orientiert, was die Funktionäre von allen Sportlern verlangen: dass sich diese an die Spielregeln halten.

Sotschi 2014
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