Olympia in Sotschi:Hin- und hergerissen zwischen Gewissen und Medaille

Bundespräsident Joachim Gauck

Bundespräsident Joachim Gauck bei einem Turn-Wettkampf in London

(Foto: dpa)

Bundespräsident Gauck fährt nicht nach Sotschi - aber ist ein Olympia-Boykott auch eine Option für die Sportler? Meist steht zu viel für die Athleten auf dem Spiel. Manche jedoch riskieren durchaus Protestaktionen.

Von Lisa Sonnabend

Diese Bilder wird es nicht geben: Bundespräsident Joachim Gauck, wie er Felix Neureuther an der Skipiste anfeuert. Gauck und nun auch die luxemburgische EU-Kommissarin Viviane Reding haben klargestellt, sie werden nicht zu den Olympischen Winterspielen nach Sotschi reisen. Reding begründete ihre Absenz mit dem umstrittenen Umgang Russlands mit Minderheiten, Gauck ließ das Motiv für seine Absage vielsagend offen.

Imke Duplitzer ist eine erfolgreiche deutsche Fechterin, sie ist lesbisch und dafür bekannt, sich nicht nur für ihren Sport zu interessieren, sondern auch für das Drumherum. Schon mehrmals hat die 38-Jährige sich kritisch über die Spiele in Sotschi geäußert. Über den Boykott der beiden Politiker sagt sie nun: "Das ist ein starkes Signal."

Besonders die Aktion von Gauck imponiert der Degenfechterin. Wegen seiner Vita wisse er, wie es sich anfühlt in einem System zu leben, in dem man für seine Überzeugungen Repressalien erwarten muss. Keinen Grund für seine Absenz zu nennen, hält Duplitzer dabei für besonders geschickt. "Das lässt Raum für Spekulationen und Gauck ist Russland nicht direkt auf die Füße getreten."

Trotz allem plädiert Imke Duplitzer dafür, von den Sportlern nicht zu viel zu erwarten. Viele seien noch sehr jung, sie würden sich mit der Olympiateilnahme einen Traum erfüllen und der Sport sei schlichtweg ihr Job, mit dem sie Geld verdienen.

Die österreichische Skispringerin Daniela Iraschko etwa ist auch lesbisch und gilt als Anwärterin auf eine Medaille. Doch zu dem umstrittenen Gesetz gegen die "Propaganda nichttraditioneller sexueller Beziehungen vor Kindern" äußert sie sich nur ungern. Protestaktionen sind von ihr nicht zu erwarten. "Für mich zählt nur das Sportliche", sagte Iraschko vor einigen Wochen. "Es ist mutig, ein Zeichen zu setzen, aber in meiner Situation geht es einfach nicht."

Die deutsche Skifahrerin Maria Höfl-Riesch sagte auf einer Podiumsdiskussion: "Das ist für uns als Sportler ein schwieriges Thema. Wir können da nicht viel machen."

Duplitzer nimmt Athleten wie Iraschko und Höfl-Riesch in Schutz. "Sie haben ja eigentlich auch eine Organisation, die für die Rahmenbedingungen sorgen sollte." Gemeint ist das Internationale Olympische Komitee. "Das IOC versagt allerdings komplett", findet Duplitzer. Mittlerweile hält sie es für nicht mehr ausgeschlossen, dass eines Tages sogar Nordkorea den Zuschlag für Olympia bekommen könnte. Als plumper Witz ist dieser Satz nicht gemeint. "Das IOC ist nicht mehr der Hüter einer Idee, sondern eine Wirtschaftsfirma", sagt Duplitzer. Es müsse dringend überdenken: "Nach welchen Governance Standards will man firmieren?"

Regenbogenfarben-Pin am Rennanzug

London 2012 - Fechten

Imke Duplitzer nach dem frühen Aus bei Olympia in London

(Foto: dpa)

Bis dies geklärt ist, müssen Politiker und Sportler es mit ihrem Gewissen ausmachen, ob sie an einer umstrittenen Veranstaltung wie in Sotschi teilnehmen wollen oder ob und wie sie ein Zeichen setzen.

Einige Athleten haben bereits angekündigt, in Sotschi nicht nur mit Erfolgen auf sich aufmerksam machen zu wollen, sondern auch mit Protestaktionen. Der neuseeländische Shorttracker Blake Skjellerup ließ sich vor ein paar Wochen für ein britisches Schwulenmagazin ablichten: nackt, nur ein Schlittschuh baumelte vor seinem Schritt. In Sotschi will er sich während des Wettkampfes einen Pin Regenbogenfarben an den Rennanzug stecken. Doch Skjellerup, dem keine Medaillenchancen eingeräumt werden, hat noch mehr vor - was genau, könne er noch nicht verraten. Er hat Angst, dass sonst jemand im Vorfeld seine Pläne durchkreuzen könnte.

Duplitzer ist gespannt, wie die Athleten die Bühne vom 9. Februar an nutzen werden. "Ich bin Fechterin - und bin deswegen geübt darin, das System zu überlisten", sagt sie. "Doch den Wintersportlern traue ich das auch zu."

Auch für Duplitzer stellte sich vor fünf Jahren die Frage: Wie soll sie damit umgehen, dass die Spiele an einem umstrittenen Ort stattfinden? Ein Boykott der Sommerspiele in Peking kam für Duplitzer damals nicht in Frage, ein Zeichen wollte sie aber setzen. Die Fechterin ließ sich deswegen für eine Bildserie mit einem Porträt von Gao Zhiseng fotografieren. Der chinesische Anwalt sitzt noch heute in Haft, weil er protestierende Zwangsarbeiter verteidigt hatte. Die Eröffnungsfeier boykottierte die Fechterin, nach ihrem Wettkampf, bei dem sie im Viertelfinale ausschied, reiste sie schnell wieder zurück nach Deutschland und führt an, sie habe dort besseres zu tun: "Ich muss meinen Flur streichen." Nach den Spielen war Duplitzer noch einmal in China, ein Mann begleitete sie diesmal auf jedem Schritt, bis ins Hotel. Seitdem fährt Duplitzer nicht mehr hin.

Bei der Leichtathletik-WM im August in Moskau erklärten sich Sportler nach der Einführung des umstrittenen Anti-Homosexuellen-Gesetzes mit Schwulen und Lesben solidarisch.

Die schwedische Hochspringerin Emma Green-Tregaro lackierte ihre Finger in Regenbogenfarben - und sorgte damit international für viel Aufmerksamkeit. Der Leichtathletik-Weltverband IAAF legte ihr daraufhin nahe, zum Finalwettkampf doch bitte eine andere Farbe zu wählen.

Die WM in Moskau zeigte, in welcher Zwickmühle die Athleten stecken. Bei Olympia dürfte sich die Situation noch zuspitzen - denn die Bühne ist dann noch eine größere.

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