Olympia in Peking 2008:Schlimme Nudeln

Olympische Momente brauchen keinen Michael Phelps: Fünf SZ-Reporter erzählen aus Peking kleine Geschichten vom Rande des großen Sports.

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Sondermüll-Kekse

Es waren natürlich grüne Spiele. Das konnte man zwar in den ersten Tagen wegen des Smogs nicht so gut sehen. Aber immerhin standen die künstlich angelegten Parks mit ihren kerzengeraden Baumschulenbäumen in voller Pracht, was durchaus auf Kosten der Wasserversorgung in anderen Provinzen ging, was wiederum die olympische Familie wenig kümmerte.

Außerdem gab es Mülltrennung: Tonnen aus Karton, die den Verbraucher aufforderten, seinen Müll in recyclebaren und nicht recyclebaren Müll zu unterteilen. Was genau wo hinein gehörte, blieb allerdings bis zum Schluss ein Rätsel. Zumal es für den Fehlkauf manch chinesischen Keksprodukts einen eigenen Karton mit der Aufschrift "chemischer Sondermüll" gebraucht hätte. Oft stand man mit seinem Müll ratlos vor den Tonnen, schaute hinein und überlegte, in welche nun der Pappbecher zu werfen sei und in welche die Plastikflasche. Denn in der einen Tonne lagen Pappbecher und Plastikflaschen, und in der anderen auch.

Einmal gesellte sich ein freundlicher chinesischer Volunteer dazu und fragte, ob er helfen könne. Könne er, was denn nun wo hinein gehöre. Da zeigte der Volunteer ein Lächeln des Bedauerns und sagte, man solle sich darüber den Kopf nicht zerbrechen. Es sei ohnehin schon egal.

Text: Thomas Hahn

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Guten Tag, Herr Nachbar

Seit sechs Jahren wohne ich in China, eigentlich in Shanghai. Für die Dauer der Spiele hatte ich mir eine kleine Wohnung in einer blitzblanken Hochhaussiedlung im Pekinger Botschaftsviertel gemietet. Die Anlage ist gerade erst fertiggestellt worden, die meisten Wohnungen stehen leer. Die einzigen Nachbarn waren hunderte Techniker und Kameraleute von ARD und ZDF.

Ich war in den letzten drei Wochen nur selten zu Hause. Doch jedes Mal hatte ich das Gefühl, nach Deutschland zurückzukommen. Schon der Eingangsbereich war wie die Überquerung einer Grenze, immer wollten die Wachleute die Pässe sehen. Drinnen hingen Schilder und Wegweiser in deutscher Sprache. Es gab einen kleinen Supermarkt. "Guten Tag", sagte die chinesische Verkäuferin, jedes Mal. Es gab Schwarzbrot. Das übrigens werde ich nach den Olympischen Spielen am meisten vermissen.

Text: Janis Vougioukas

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Der traurige Volleyball Wang Yaping ist die gesamten Spiele freiwillige Helferin gewesen in der Volleyballhalle, und jetzt möchte sie ein Souvenir. Sie hat einen fabrikneuen Volleyball dabei und einen Filzstift, sie will, dass die Spielerinnen ein Autogramm auf den Ball schreiben, deshalb wartet sie nach dem Finale hinter der Halle am Spielerausgang, wo die Athletenbusse stehen.

Die Mathematikstudentin hat sich ausgerechnet, dass die Volleyballerinnen mit ihrer Medaille um den Hals bestimmt gute Laune haben. Die Chinesinnen kommen, vom Hallenausgang zum Bus sind es ungefähr dreißig Meter, aber die Chinesinnen haben nur Bronze geholt, sie haben keine gute Laune, und weil Wang Yaping den Verschluss ihres Filzschreibers nicht schnell genug aufbekommt, sitzen alle Chinesinnen im Bus, ehe eine einzige unterschrieben hat.

Zweiter Versuch, die Amerikanerinnen. In der einen Hand hat jede den Blumenstrauß von der Siegerehrung, und mit der anderen Hand drückt jede das Handy ans Ohr. Keine Chance für Wang Yaping.

Dritter Versuch, die Brasilianerinnen. Es ist nach Mitternacht, als die Olympiasiegerinnen aus der Halle kommen, allerdings laufen sie dicht hintereinander und singen dabei, eine greift der anderen von hinten an die Schultern, es ist ein Festzug wie im Fasching, und während die letzte in der Reihe grad aus der Tür tritt, ist die erste schon im Bus verschwunden und saugt den Rest der Schlange förmlich hinterher. Wang Yaping steht dabei mit ihrem Ball, erstaunlicherweise kann sogar ein Volleyball sehr traurig aussehen.

Aber, die letzte Geschichte von Olympia muss eine schöne Pointe haben. Weil der Busfahrer gute Laune hatte und der brasilianische Trainer auch, wurde Wang Yaping der Zutritt zum Bus zwar verwehrt, aber nicht ihrem Ball. Man konnte von draußen durch die Scheiben zusehen, wie er von Spielerin zu Spielerin gereicht wurde, und als er am Hinterausgang des Busses wieder rauskam, wo Wang Yaping schon auf ihn wartete, war er nicht mehr nackt, sondern komplett signiert, ein Olympiasiegerinnen-Ball, der bei Ebay einiges bringen würde. Aber Wang Yaping wird ihn natürlich behalten.

Text: Holger Gertz

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Schlimme Nudeln

Essen. Großes Thema in China.

Für Journalisten bei Olympia weniger. Keine Zeit. Der Reporter isst meist in der Mensa des Hauptpressezentrums: eine arg gewürzneutrale Angelegenheit. Es müsste ja nicht gleich Skorpion am Spieß sein oder gegrillte Heuschrecke, wie am Nachtmarkt in der City. Aber ein bisschen Geschmack...

In den Medienräumen der Wettkampfstätten besteht die Verpflegung aus Kaffee, Wasser, Äpfeln, Bananen - und Keksen. Den immergleichen Keksen. Mal mit Schoko, mal mit Kokos, mal mit Rosinen. Irgendwann kann man keine Banane, keinen Apfel mehr essen, so gesund das alles ist. Dann isst man Kekse. Zwei Wochen lang. Mal mit Schoko, mal mit Kokos, mal mit Rosinen. Es ist furchtbar.

Einmal sah der Dienstplan 13 Stunden in einer Sporthalle vor. Es gab Kaffee, Wasser, Äpfel, Bananen - und Kekse.

Da es um Basketball ging, gab es im öffentlichen Zuschauerbereich auch Hot Dogs. Kalte Hot Dogs, eingeschweißt. In diesen Extremsituationen gehen Reporter an ihre Grenzen. Es gebe schon warmes Essen, sagte eine der netten Damen im Presseraum, man müsse es sich halt selbst warm machen. Sprach's, drückte dem Hungrigen gegen etwa 3,50 Euro eine Tüte in die Hand und dirigierte ihn zur Kaffeemaschine. In der Tüte: ein Pappbecher Instant-Nudelsuppe: "Giant-Bowl Spice Beef Noodle". 1957 Kilojoule, 22,6 Gramm Fett, 2240 Milligramm Natrium. Egal, Hauptsache warm.

Heißwasser aus der Kaffeemaschine drauf, fünf Minuten ziehen lassen, los! Eine warme Mahlzeit, ohne Zweifel. Nudeln sind auch drin. Doch irgendwie schaut der Reporter wohl eine Spur zu unglücklich. Die nette Dame aus dem Presseraum huscht herbei. Sie meint es gut mit ihm, sie sieht sein Leid. So dezent wie möglich stellt sie etwas neben ihm ab. Es ist ein Mülleimer.

Text: Thomas Becker Foto: AP

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Bitte gut festhalten

Manchmal geht es nur darum, sich gut festzuhalten. Bei den Segelbewerben in Qingdao zum Beispiel, in einem der über das Wasser peitschenden Boote für die Journalisten. Orange-blaue Schlauchboote sind das, von den Chinesen mit 90-PS-Außenbordmotoren zu halben Rennbooten aufgemotzt. Mit Vollgas brettern die übers Meer, bei jeder kleinen Welle heben sie ab, um eine Sekunde später mit hartem Knall wieder aufzusetzen. Stundenlang sind sie bei den Regatten von einer Luv- zur nächsten Lee-Tonne unterwegs.

Wer sich nicht wenigstens mit einer Hand an einem Tau oder am T-Shirt des Fahrers festhält, der droht auf Nimmerwiedersehen in der Bucht von Fushan zu versinken. Und wie kritzelt man mit einer Hand Notizen in einen Block?

Diesmal steht ein besonders schneller Kapitän am Steuer. Die Fahrgäste brauchen beide Hände zum Überleben. Notizen müssen warten. "Ich wette, du fährst normalerweise ein Schnellboot für Drogenschmuggler", schreit Kevin, ein amerikanischer Journalist, dem Chinesen zu. Doch der versteht kein Englisch, reagiert nicht. "Was ist dein Beruf?", brülle ich, auf Chinesisch. "Ich fahre ein Schnellboot der Küstenwache. Wir jagen Drogenschmuggler", kommt zurück. Da hätte ich vor Lachen fast losgelassen.

Was war Ihr olympischer Moment? Sagen Sie es uns!

Text: Henrik Bork Foto: dpa

(SZ vom 25.8.2008)

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