Olympia in China:Die Grimassen der Fu Yuanhui

Swimming - Women's 100m Backstroke Victory Ceremony

Stets die Lustigste: Fu Yuanhui ist bass erstaunt über ihren Bronze-Platz über 100-m-Rücken. Nebendran auf dem Podium: die zeitgleiche Kanadierin Kylie Masse, die Ungarin Katinka Hosszu (Gold) und Kathleen Baker (Silber) aus den USA.

(Foto: Gray/Reuters)

China erliegt dem Charme einer fröhlichen Rückenschwimmerin. Das Auftreten von Fu Yuanhui verändert den Blick des Landes auf Olympia.

Von Kai Strittmatter, Peking

Die Chinesen und Olympia: ein besonderes Verhältnis. Seit den Sommerspielen in Peking von 2008 sowieso. Eine aufsteigende Nation, die ihren Platz auf der Weltbühne beansprucht. Eine Regierung, die den Stolz auf die Nation zur Haupttugend eines jeden Bürgers erklärt. Ein System, welches den sportlichen Erfolg in internationalen Wettkämpfen seit jeher auch als Beleg für die eigene Stärke verstanden wissen will.

Die erste Woche in Rio, sie war eine bemerkenswerte Woche für China. Bemerkenswert, weil sich der olympische Geist chinesischer Prägung hier mit einem Mal mit zwei Gesichtern zeigte. Da waren zum einen wie früher schon überbordender Patriotismus und die Ausbrüche einer Propaganda zu beobachten, die ihren Treibstoff auch aus verletztem Nationalstolz sog.

Und gleichzeitig geschah Überraschendes: Die Chinesen machten zum Star ihrer Olympischen Spiele eine Schwimmerin, die weder zum politischen Symbol taugt noch eine Goldmedaille gewann. Eine junge, fröhliche Frau, die allein aufgrund ihrer Natürlichkeit den Sprung in die Herzen des Publikums schaffte, so dass selbst das Parteiblatt Volkszeitung nun schrieb, die Schwimmerin Fu Yuanhui und ihre Fans hätten dem Land eine Lektion erteilt: "Im Sport geht es um den Kampf und um die Freude daran, vor allem aber dreht sich definitiv nicht alles darum, ob man Gold gewinnt." Für China, gerade fürs offizielle, ist das eine wirklich neue Erkenntnis.

Der Chor der Miesepetrigkeit wurde zum Verstummen gebracht

Dabei schien anfangs alles so zu werden wie früher. Im Vorlauf zu Rio dominierte in den Staatsmedien, aber auch im Internet eine endlose Klage über echtes und vermeintliches Chaos in Brasilien. Tatsächlich war es ein Chor von solcher Miesepetrigkeit, dass am Ende selbst einigen bekannten Sportjournalisten der Kragen platzte.

Das Wichtigste zu Olympia 2016 in Rio

Wang Jinglin warf in einem Essay seinen Landsleuten vor, sie litten an einem Peking-2008-Komplex: "Wir beklagen uns über Unzulänglichkeiten anderer Gastgeber, in Wirklichkeit aber haben wir selbst es damals viel zu ernst genommen. Die Welt schaute damals perplex auf uns, weil wir eine Riesenhochzeit organisierten für etwas, das letztlich bloß ein One-Night-Stand war." In die gleiche Kerbe hieb der bekannte Autor Zhang Xiaozhou: "Für Brasilien ist Brasilien (der Staat) eben nicht wichtiger, als es die Brasilianer (die Bürger) sind", schrieb Zhang in einem Seitenhieb auf den Pomp von Peking 2008.

Chinas gerne schnell beleidigte Patrioten bekamen vom Start weg Futter. Zuerst war da die Sache mit der Nationalflagge: Die brasilianischen Schneider hatten die fünf Sterne auf rotem Grund schräg versetzt zueinander positioniert - was in den einschlägigen Kanälen in Peking zu einem Aufschrei führte. "Das Symbol unserer Nation!", erregte sich der Staatssender CCTV in seinem Weibo-Mikroblog: "Unentschuldbar!"

Der australische Schwimmer Horton sei ein "Mistkerl", sagt ein CCTV-Moderator

Das Pekinger Nationalisten-Blatt Global Times startete eine Umfrage unter seinen Lesern: Zwei Drittel glaubten nicht an ein Versehen, China sei hier vielmehr absichtlich beleidigt worden. Viele wiesen darauf hin, dass die Anordnung der Sterne doch die Einheit der Nation um die Herrschaft der Kommunistischen Partei symbolisierte und das Ausland ohnehin auf die Sabotage der KP aus sei.

Und dann der Eklat beim Schwimmen der Männer, als der Australier Mack Horton seinen Rivalen Sun Yang beschied, "Dopingschwindler" grüße er nicht. In der darauf folgenden Aufregung gab es zwar auch innerhalb Chinas die eine oder andere Stimme, die auf Chinas dunkle Geschichte systematischen Dopings verwies - es überwog aber allgemeine Empörung.

Das reichte von sachlicher Enttäuschung (viele verteidigten den einmal wegen Dopings gesperrten Sun Yang, der sagt, er habe damals ein Herzmedikament genommen) über den Vorwurf der Doppelmoral (auch Australiens Schwimmsport hat eine Doping-Vergangenheit) bis hin zu den schrilleren Tönen, die man auch in den Staatsmedien fand. CCTV-Moderator Bai Yansong zum Beispiel nannte den Australier Horton einen "Mistkerl", dessen Geisteszustand klar medizinischer Behandlung bedürfe.

Die chinesische Presse beklagt eine "Mentalität des Kalten Krieges"

Und die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua holte aus zu einem Rundumschlag gegen Australien, wo noch die "Mentalität des Kalten Krieges" gegen China herrsche. Überhaupt, so betonte Xinhua: Dass Melbourne von der Zeitschrift Economist vor kurzem zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt worden war, sei "absolut lächerlich".

Gerade als die Spiele für China eine unerquickliche Angelegenheit zu werden drohten, kletterte in Rio die 20-jährige Rückenschwimmerin Fu Yuanhui aus Hangzhou aus dem Becken und gab ein denkwürdiges Interview, mit dem sie das Herz der Nation eroberte. Das lag an ihren Grimassen ebenso wie an ihrer spontanen Verblüffung ("Echt? So schnell war ich?") und ihrer kindlichen Freude über einen Wettbewerb, von dem sie sich nie eine Medaille erwartete ("Ich hab' so kurze Arme").

Da stand, tatsächlich, ein Mensch, keine der Maschinen, die Chinas staatliches Drillprogramm in der Vergangenheit ausgespuckt hatte. Und dann noch einer, der sich ganz offensichtlich das olympische Motto zu eigen gemacht hatte: Teilnehmen ist wichtiger als Siegen. In einem Land, in dem der Tenor in den offiziellen Medien nach dem Gewinn einer Silbermedaille bis heute war: Schade, wir haben Gold verloren.

Fu Yuanhui hat nach ihrem Rennen 4,6 Millionen Follower, vorher waren es 50 000

"Warum können wir dem Charme von Fu nicht widerstehen?", fragte hernach der Sportkommentator Zhang Bin: "Klar: Nicht weil sie Ruhm und Ehre für unsere Nation geholt hätte - sondern weil sie offenherzig und natürlich ist." Sie sei eben nicht wie jener unter Chinas Sportlern vorherrschende Typus, der "die Hoffnungen des Vaterlandes als schwere Last trage wie jene Esel, die mit verbundenen Augen blind in der Mühle schuften".

Dass Fu am Ende noch Bronze über 100 Meter Rücken holte, war fast nebensächlich. Fus slapstickhafte Auftritte sind der Hit im Netz, ihre Grimassen werden nachgemacht und geteilt, sie selbst als Comicfigur verewigt. Vor Rio folgten Fu Yuanhuis Weibo-Konto 50 000 Fans - jetzt sind es 4,6 Millionen. Und Fu hat nicht nur die Herzen der Nation, sie hat auch den Segen der Volkszeitung.

Das Phänomen Fu Yuanhui zeige, schreibt das Parteiblatt, "dass sich die Einstellung der chinesischen Öffentlichkeit zum Sport und zu den Olympischen Spielen geläutert und auf eine neue Ebene" gehoben habe. Für ein paar Tage wenigstens stimmte das.

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