Es war zu Ende, aber noch nicht Schluss. Die Spieler des deutschen Verbands hatten schon ausgiebig gejubelt, als sie noch einmal aus ihrem Glück gerissen wurden von den Schiedsrichtern. Es musste wohl sein, weil doch noch ein Zweifel aufgekommen war: Ein deutscher Fuß könnte womöglich im Schusskreis den Ball berührt haben, und zwar im eigentlich soeben abgepfiffenen letzten Viertel des Spiels.
Also, noch einmal in die Vergangenheit und zurück in die Zukunft. Ein letzter Check, der diesmal etwas kürzer ausfiel als die zwei davor, und dann war es tatsächlich fix: Es wurde kein Fuß und auch kein Schuh draus, die deutschen Hockeyspieler hatten gewonnen; gegen eine kämpfende argentinische Mannschaft, die technisch und auch strategisch eher unterlegen war, aber dem Gegner alles abverlangt hatte – bis zum Ende nach dem Ende.
Zuvor hatte sich eine unterhaltsame und spannende Partie entwickelt, in der Deutschland durch Teo Hinrichs (9. Minute) und Gonzalo Peillat (24.), 2016 noch Olympiasieger mit Argentinien, zweimal in Führung ging. Die Südamerikaner glichen durch Maico Casella Schuth (11.) und Agustin Mazzilli (48.) zweimal aus – ehe Justus Weigand (54.) zum späten Matchwinner für Deutschland avancierte. Nachdem der deutsche Halbfinaleinzug feststand, drückte Torhüter Jean-Paul Danneberg das nächste Ziel so aus: „Jetzt müssen wir eins von zwei Spielen gewinnen, um eine Medaille zu holen, aber wir wollen zwei gewinnen.“
Den Halbfinalgegner Indien werde man sicher nicht unterschätzen, sagt Bundestrainer Henning
Mancher deutsche Spieler mag sich noch einmal umgedreht haben, ob die beiden Referees vielleicht noch einmal pfiffen und wieder alles zurücknehmen würden, aber nein, jetzt war es vorüber, und das Team von Trainer André Henning konnte sich entspannen, was sich in großem Jubel äußerte. Die Mannschaft gilt als einer der Olympiasieg-Kandidaten, und sie hat nun den vielleicht entscheidenden Schritt dazu gemacht. Den Halbfinalgegner werde man sicher nicht unterschätzen, sagte Henning. Obwohl der vielleicht stärkere Gegner England ausgeschieden war und im Halbfinale den Weg nun Team Indien kreuzen wird, von dem Henning mit entsprechendem Respekt sagte: „Damit bin ich auch sehr zufrieden.“
Aus diesem 3:2 kann Hennings Team positive Erkenntnisse für die weitere Turnierentwicklung ziehen, nicht nur wegen des Sieges, sondern auch wegen der unterlaufenen Fehler. Wer nach zwei Führungstoren jeweils wieder den Ausgleich kassiert, der kommt natürlich schwieriger zum Ziel. Die Schiedsrichter hatten nicht ihren besten Tag, vor allem aber hatten die Gegentreffer mit der vernachlässigten Defensive zu tun. Beim 1:1-Ausgleich der Argentinier hatten die Deutschen im Kreis unvorsichtig verteidigt und eine Strafecke kassiert. Kurz vor der Halbzeit verpassten es die DHB-Spieler, den Ball zu kontrollieren, doch Torhüter Danneberg schoss aus dem Tor und beförderte den Ball per Fußabwehr gefühlt Richtung Osten bis nach Paris-Mitte.
Im dritten Spielviertel hatten dann Hennings Spieler mehr Zugriff, es wirkte nun, als hätten sie jetzt ein Rezept entdeckt, um dieses unbequeme argentinische Team zu kontrollieren. Ausgerechnet der gebürtige Argentinier und seit 2022 für Deutschland spielende Peillat war es dann, der das 2:1 per Strafecke erzielte. Wieder einmal hatten die Deutschen einen knappen Vorsprung, wieder mussten sie etwas verteidigen, wieder brauchten sie dringend ein zweites Tor, um Kontrolle zu erlangen, wieder kassierten sie aber den Ausgleich. Es war ein eher seltenes Kunststück, das dem Argentinier Mazzilli da gelang, es ging sehr schnell, wie bei einem Hinterhalt: Weit aus dem Mittelfeld kommend, setzte er zum Schuss an und der Ball flog, mit leicht steigender Flughöhe – neben Danneberg ins Netz.
Am Schluss müssen Danneberg und seine Vorderleute eine Serie an Strafecken überstehen
Dann aber folgte der nächste deutsche Auftritt, jener von Niklas Wellen. Hin und her ging es zu diesem Zeitpunkt, sieben Minuten vor dem Ende durften sich die Zuschauer im Pariser Hockeystadion keineswegs sicher sein, in welche Richtung diese Partie driften würde. Hennings Spieler suchten nun vermehrt einen Kollegen, der fein dribbeln kann – und der nun die Initiative ergriff: Niklas Wellen.
Es war eine elegante Art eine Antwort auf das Weitschuss-Gegentor, das kaum zehn Minuten alt war. Wellen schnappte sich den Ball an der Seite und sprintete durch das Mittelfeld, ließ einen nach dem anderen Gegner und Mitspieler hinter sich, verlor den Ball einmal, holte ihn sich aber zurück, preschte weiter, bis ihm die optimale Lücke mit Blick auf eine freie Ecke erschien. Wellen zog ab, in der Mitte stand Weigand und drückte den Ball ins Tor, 3:2 für Deutschland. „Unfassbar geil“, sagte Tom Grambusch nach einer Ehrenrunde nach dem Spiel, „es war unfassbar spannend.“
6:34 Minuten waren noch zu spielen, die Deutschen sammelten sich und hatten das Spiel jetzt besser im Griff, vermeintlich. Denn ganz am Schluss, da mussten Danneberg und seine Vorderleute noch eine Serie an Strafecken überstehen, einschließlich eines Happy Ends nach dem Ende.