Leichtathletik bei Olympia:Dem Showman kommen die Tränen

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Gianmarco Tamberi wird von seinen Gefühlen überwältigt. (Foto: Al Bello/Getty Images)

Hochspringer Gianmarco Tamberi teilte sich vor drei Jahren die Goldmedaille mit seinem Freund Mutaz Essa Barshim. Diesmal kämpft der Italiener mit Nierensteinen – und muss den Wettkampf früh beenden. Spannend wird er trotzdem.

Von Saskia Aleythe, Paris

Der Mann für die großen Gefühle ist unbestritten Gianmarco Tamberi, und sollte er es mit dem Hochspringen irgendwann sein lassen, würde ihn sicher auch weiterhin jemand vor eine Kamera stellen. Der Italiener hat neulich nach seinem EM-Sieg in Rom ein paar Sprungfedern aus seinem Schuh gepult, die er zum Scherz dort versteckt hatte, für die ganz große Show. Doch diesmal, beim finalen Abend dieser Leichtathletik-Wettbewerbe der Olympischen Spiele, war dem Weltmeister von 2023 nicht nach einer Aufführung. Er war recht früh nur noch Zuschauer, und da litt dann mindestens das halbe Stadion mit ihm.

Den Morgen hatte Tamberi im Krankenhaus verbracht, ein Nierenstein bereitete ihm böse Schmerzen. Trotzdem ging er noch an den Start, doch bei 2,22 Metern war dann schon Schluss, und Tamberi begab sich weinend in die Arme seiner Vertrauten. Die Goldmedaille konnte später Hamish Kerr aus Neuseeland erringen, der sich ein eifriges Duell mit Shelby McEwen aus den USA lieferte. Bronze ging an Mutaz Essa Barshim, der sich in Tokio noch mit Tamberi den Sieg geteilt hatte. Ein Szenario, das auch an diesem Abend in Saint-Denis möglich gewesen wäre – aber diesmal sollte ein alleiniger Sieger bestimmt werden.

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Zwei Wochen hatte Tamberi auf seinen großen Auftritt warten müssen, aber natürlich meldete er sich vorher schon zu Wort. Bei der Eröffnungsfeier auf der Seine – als Fahnenträger der Italiener – hatte er seinen Ehering aus Versehen im Fluss versenkt, gab der 32-Jährige zu Protokoll. Dann aber ging es weniger unterhaltsam weiter, Nierensteine plagten Tamberi, weshalb er gleich mehrfach ins Krankenhaus musste, sein Start im Hochsprungfinale war fraglich gewesen.

Der Sport tritt bei Tamberis Auftritten bisweilen in den Hintergrund, aber es ist ja nicht so, als hätte er nicht schon durch andere Qualitäten überzeugt: Als er vor drei Jahren in Tokio mit Mutaz Essa Barshim, seinem Freund aus Katar, im Finale mit gleicher Anzahl an Sprüngen auf 2,37 Meter kam und danach wie Barshim drei Fehlversuche zeigte, verzichteten beide darauf, den alleinigen Sieger zu ermitteln. Gut, es gab auch für beide Gold.

Hamish Kerr und Shelby McEwen tragen einen „Stichkampf“ aus

Mit weit ausgebreiteten Armen und dem Blick Richtung Himmel hat er sich nun in Saint-Denis bei der Vorstellung dem Publikum präsentiert, als wolle er alle Liebe von den Rängen für sich einsammeln. Dass es ein schwieriger Abend werden würde, zeigte sich dann schon bei seiner Einstiegshöhe, beinahe wäre bei 2,22 Meter Schluss gewesen. Aber er meisterte den dritten Versuch und dann flossen schon zum ersten Mal Tränen. Über 2,27 Meter endete dann aber sein Traum von einer weiteren Medaille.

Ein spannender Abend wurde es freilich trotzdem noch, für seinen Freund Barshim war bei 2,34 Metern Endstation, der Sieg wurde dann zwischen Hamish Kerr und Shelby McEwen ausgesprungen. Beide hatten mit der gleichen Anzahl an Fehlversuchen 2,36 Meter überquert, beide scheiterten an 2,38 Metern, ihnen war anzusehen, dass die Energie immer mehr schwand. Schließlich ging man mit der Latte wieder Schritt für Schritt nach unten, bis einer der beiden sich mit einem gültigen Versuch durchsetzen konnte – laut offiziellem Regelwerk ein „Stichkampf“. Olympiasieger wurde dann Kerr, der nach seinem Flug über 2,34 Meter und einem kurzen Spurt der Freude glücklich auf den Rasen plumpste.

Der fliegende Kiwi: Hamish Kerr rennt vor Freude über den Rasen nach seinem Sieg. (Foto: Ryan Byrne/Inpho Photography/Imago)

Die restlichen Highlights des Tages hatten sich unter anderem am Morgen ereignet, als der Äthiopier Tamirat Tola im Marathon mit Olympia-Rekord von 2:06:26 Stunden zu Gold gelaufen war. Bester Deutscher war als Zwölfter Richard Ringer (2:09:18), Samuel Fitwi (2:09:50) belegte Platz 15. Amanal Petros war unter dem Eindruck einer kürzlichen Corona-Infektion geschwächt an den Start gegangen und musste wie der zweimalige Olympiasieger Eliud Kipchoge aus Kenia aufgeben. Abends sicherte sich sein Landsmann Emmanuel Wanyonyi über 800 Meter Gold (1:41,19 Minuten), ebenso wie Teamkollegin Faith Kipyegon über 1500 Meter (3:51.29), auch bei ihr war es Olympischer Rekord.

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Masai Russell aus den USA wurde Olympiasiegerin über 100 Meter Hürden (12,33 Sekunden), Jakob Ingebrigtsen krönte sich nach seiner verpassten Medaille über 1500 Meter nun über 5000 Meter zum Olympiasieger (13:13,66 Minuten). Im Speerwurf siegte Haruka Kitaguchi aus Japan (65,80 Meter), die Staffeln über 4x400 Meter entschieden bei den Männern wie bei den Frauen die USA für sich. Femke Bol erspurtete für die Niederlande noch Rang zwei, es war ihre dritte Medaille in Paris, nach Gold mit der 4x400-Mixed-Staffel und Bronze über die 400 Meter Hürden.

Deutsche Starter hatten es in keinen einzigen der Abendwettbewerbe geschafft – und das ließ sich dann ganz gut auf die Gesamtsituation übertragen: Vier Medaillen sammelten die Deutschen in Paris ein, das ist zwar eine mehr als in Tokio, aber: Im Kernsport-Kräftemessen ist Deutschland bei der Medaillenvergabe weiterhin oft nur Zuschauer. Nur Kugelstoßerin Yemisi Ogunleye sorgte dafür, dass am allerletzten Abend dann doch die deutsche Hymne lief, bei der Siegerehrung für ihren Triumph am Freitag. Sie wolle andere Menschen ermutigen, harte Arbeit in ihre Träume zu stecken, hatte die 25-Jährige am Morgen noch gesagt. Und gab sich damit als Botschafterin, die die deutsche Leichtathletik gerade sehr gut gebrauchen kann.

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