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Olympia:Heide Ecker-Rosendahl: "Würde nicht nach Tokio fahren"

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Frankfurt/Main (dpa) - Heide Ecker-Rosendahl war 1972 in München so etwas wie das strahlende Gesicht der Sommerspiele. Beim Blick auf Tokio 2021 graust es der heute 74-Jährigen.

Die damalige Goldmedaillengewinnerin im Weitsprung und mit der Staffel sowie Fünfkampf-Zweite ist strikt gegen die Austragung des Mega-Events in Japan in der Corona-Pandemie. "Das sind für mich keine Olympischen Spiele", sagte Ecker-Rosendahl der Deutschen Presse-Agentur. "Da werden Athleten für ein Schaulaufen für Sponsoren verkauft, um diese bei der Stange zu halten."

Durch die extremen Einschränkungen werde es wohl kaum eine Herzlichkeit unter Athleten im olympischen Dorf geben können, so die Leverkusenerin. "Wenn ich heute eine Sportlerin wäre, würde ich nicht nach Tokio fahren." Erst Mitte März war ein zweimonatiger Notstand für den Großraum Tokio aufgehoben worden. Seither steigt die Zahl der Neuinfektionen erneut spürbar an. Deshalb verweigern die Organisatoren ausländischen Fans und Athletenfamilien sowie Gästen von Sponsoren und Verbänden die Einreise. Die Athletinnen und Athleten dürfen nur für eine verkürzte Zeit nach Japan kommen und müssen spätestens zwei Tage nach ihrem Wettkampf wieder abreisen.

72 Prozent der Japaner sprechen sich aus Angst vor einer weiteren Corona-Welle für die Absage oder erneute Verschiebung der Olympischen Spiele und Paralympics aus. Nur etwa 24 Prozent befürworten dagegen die Austragung des Ringe-Spektakels, das am 23. Juli mit der Entzündung des olympischen Feuers beginnen soll, wie aus einer Umfrage der Nachrichtenagentur Kyodo News hervorgeht.

Die zweimalige Weitsprung-Olympiasiegerin Heike Drechsler bringt den Gastgebern in der Pandemie großes Vertrauen entgegen. "Natürlich sollen die Spiele stattfinden. Ich kenne Japan: So gut, wie die dort organisiert sind, werden die nichts anbrennen lassen. Ich bin überzeugt, die schaffen das. Das ist eine Riesenherausforderung, aber wenn alle an einem Strang ziehen, dann kann das gut klappen", sagte die Goldmedaillengewinnerin von 1992 und 2000.

"Es ist eine Herausforderung, da muss jeder sich darauf einstellen", so die 56 Jahre alte Drechsler weiter. "Am Ende muss Japan selbst entscheiden, aber für die Sportler hängt da so viel dran. Entscheidend ist, dass alle geschützt sind, dass das Risiko kalkuliert und eingegrenzt wird."

Zwiegespalten ist Waldemar Cierpinski. Der Marathon-Olympiasieger von 1976 und 1980 findet es schwierig, sich in dieser dynamischen Situation klar zu positionieren. "Es sind ja noch 100 Tage hin, aber ich bin mir nicht ganz sicher, dass sie in der derzeitigen Konstellation stattfinden", sagte der 70 Jahre alte Hallenser der dpa. "Ich habe da Bauchschmerzen, vor allem wenn man sieht, was zum Beispiel in Ländern wie Indien oder Brasilien los ist." Als Sportler würde er hinfahren, wenn die Rahmenbedingungen klar geregelt wären: "Aber am Ende ist die Gesundheit wichtiger als alles andere."

Auch Maik Bullmann, Ringer-Olympiasieger von 1992, bezeichnete die Sommerspiele als "immense Herausforderung für alle Beteiligten" - administrativ, energetisch und finanziell. "Aber man sollte alles Erdenkliche dafür tun, dass sie planmäßig stattfinden können", sagte der heutige Nachwuchs-Bundestrainer. "Mit einem entsprechenden Hygienekonzept und einer geschlossenen Blase sollten sie auch sicher durchführbar sein."

Matthias Steiner triumphierte 2008 in Peking im Gewichtheben und wurde berühmt, als er bei der Siegerehrung das Foto seiner verstorbenen Frau Susann zeigte. "Einzig aus Athletensicht ist es richtig und zwingend notwendig, die Spiele auszutragen", sagte der 38-Jährige. "Denn mancher Athlet hört auf oder andere sind in der Form ihres Lebens, das darf man nicht wegwerfen." Steiner findet den Zeitpunkt zwar "denkbar ungünstig", betont aber auch: "Der sportliche Wert ist genauso groß wie bei allen anderen Spielen zuvor."

Während Olympiasieger früherer Tage distanzierter auf Tokio schauen können, ohne dass ihre eigene Karriere davon betroffen ist, hoffen viele aktuelle Medaillenkandidaten darauf, dass das Spektakel stattfindet - wenn auch ohne internationales Flair und mit strengsten Hygienemaßnahmen. Schließlich haben sie jahrelang dafür trainiert und viel hinten angestellt.

Sebastian Brendel, dreimaliger Goldmedaillengewinner im Kanu und Familienvater, erklärte beim Internetportal "t-online": "Die Vorbereitung auf die Spiele hat jetzt noch einmal ein Jahr länger gedauert. Das zehrt an allen (...). Deswegen hoffen wir, dass wir in diesem Jahr für alles belohnt werden und die Spiele auch wirklich stattfinden."

Beachvolleyballerin Laura Ludwig, die mit Kira Walkenhorst 2016 in Rio Gold geholt hat, will in Japan mit ihrer aktuellen Partnerin Margareta Kozuch erfolgreich sein. "Stand jetzt ist, dass die Olympischen Spiele stattfinden. Und nur das können wir kontrollieren, dass wir im Training alles geben", sagte die 35-Jährige und beschreibt damit auch die Hilflosigkeit der Sportler in der Krise.

Der ehemalige Hockey-Nationalspieler Moritz Fürste, der mit seinem Unternehmen Corona-Schnelltestzentren in Hamburg eröffnet hat, ist sich sicher, dass die Japaner und das Internationale Olympische Komitee das Weltereignis durchziehen werden: "Die Olympischen Spiele sind viel zu relevant, da lässt man sich auch nicht von einer Pandemie ausbremsen."

© dpa-infocom, dpa:210412-99-177699/6

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