Olympia:Harting muss der Hymne nicht andächtig lauschen

Rio 2016 - Leichtathletik

Harting bei Siegerehrung: Niemanden respektlos behandelt

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Die Empörung über das Verhalten des Diskus-Olympiasiegers ist übertrieben. Bedauerlich ist sein Auftritt dennoch - aber nur für ihn selbst.

Kommentar von Saskia Aleythe, Rio de Janeiro

Am Ende seines Theaterstücks sagte Christoph Harting einen erstaunlichen Satz. "Ich bin kein Medienmensch, ich bin keine Kunstfigur, ich bin Sportler und lasse meine Leistung sprechen", verkündete er auf der Sieger-Pressekonferenz. Seine Leistung hat er tatsächlich sprechen lassen, mit 68,37 Metern war er Olympiasieger im Diskuswerfen geworden. Doch schon kurze Zeit sprach niemand mehr über seine Leistung. Sondern nur noch über sein Auftreten.

Es gibt Statuten, wie sich Sportler zu verhalten haben bei der Siegerehrung, sie stehen im "Protocol Guide" des Internationalen Olympischen Komitees. Dieser sieht vor, dass die Sportler die offiziellen Trikots oder die Teamausrüstung tragen und bei der Nationalhymne zur aufgehissten Flagge schauen. Politische oder religiöse Botschaften sind wie immer verboten. Was jemand sonst mit seinen Fingern, Augenbrauen, Nasenflügeln und sonstigen Gesichtsmuskeln veranstaltet, ist jedem freigestellt. Christoph Harting hat sich an alles gehalten.

Wie er vor dem Publikum einen Knicks machte wie ein Theaterschauspieler, der sich Applaus abholt, wie er kurz vor dem Schritt aufs Podium eine Laola anstimmte und beim Umhängen der Medaille ein Zusammensacken antäuschte, war für die meisten Zuschauer vor den Bildschirmen noch okay.

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Doch bei der Hymne wird Deutschland empfindlich, da guckt man ganz genau hin. Dass Harting nun mitpfiff, die Arme trotzig verschränkte und unbeholfen rumhampelte, nahmen ihm viele übel. Sogar sein eigener Trainer Torsten Lönnfors sagte der Bild-Zeitung: "Keine Ahnung, was das sollte, ich verstehe es nicht. Christoph muss aufpassen, dass er jetzt nicht frei dreht."

Michael Vesper, Chef des deutschen Olympiateams, fand "nicht gut", was Harting da bei der Siegerehrung gezeigt habe: "Er ist Teil unserer Mannschaft und Botschafter unseres Landes. Wenn er die Bilder anschaut, wird er das sicher einsehen."

Verweigerter Handschlag

Die größte Empörung gab es wohl beim ZDF - der übertragende Sender, der etliche Millionen für die Medienrechte bezahlt hatte, muss ja wohl ein Interview bekommen. Doch Harting kam nicht zum Interview vor die Kamera, der Olympiasieger hatte darauf keine Lust, Kommentator Norbert König soll er den Handschlag verweigert haben.

"Das ist ein einmaliger Vorgang und besonders bedauerlich für die vielen Fans vor dem Fernseher", sagte ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz. Mit der Erwartungshaltung der Fans hatte er aber auch schon das beste Argument genannt. Wobei aber auch fraglich ist, was ein Olympiasieger Leuten schuldig ist, die nur alle vier Jahre mal Diskuswerfen verfolgen.

Harting hat das große Statement verpasst

Niemand ist verpflichtet, andächtig der Hymne zu lauschen und die Tränen kullern zu lassen und seiner Nation zu danken. Was ja ohnehin widersinnig ist angesichts des deutschen Sportsystems, das die Athleten nicht gerade mit hohen Prämien dekoriert oder einen vernünftigen Lebensunterhalt sichert, um sich ganz der Arbeit an Höchstleistungen widmen zu können.

Medaillen haben sich in Deutschland zuallererst die Sportler und ihr Trainerumfeld verdient und nicht die Bundesrepublik, auch wenn das bei Events wie Olympischen Spielen gerne in den Hintergrund gerät. Steuergelder hin oder her, Athleten sind nicht die Leibeigenen wegen einer Minimalförderung. Und die Millionen, die ARD und ZDF für die Rechte ausgegeben haben, kommen ohnehin fast nur beim IOC an.

So haben sich auch weder Daniel Jasinski noch Piotr Malachowski, die ebenfalls auf dem Siegerpodest standen, über Harting beschwert - er hatte den beiden anerkennend applaudiert. Nein, sie fühlten sich nicht respektlos behandelt. Das Publikum feierte sie ohnehin alle für einen tollen Wettkampf, die Zuschauer im Stadion standen und applaudierten heftig. Und Idriss Gonschinska, der Cheftrainer der Leichtathleten, sagte über Harting: "Das muss man einfach akzeptieren. Die Leistung ist auch eine Werbung für die Leichtathletik."

Dann schob er noch einen interessanten Satz hinterher: "Wir haben immer darauf Wert gelegt, die Unterschiedlichkeit und die Stärken der Athleten zu fördern." Das ist ja eigentlich auch so ein olympischer Gedanke: Die Vielfalt der Nationen und Athleten zu vereinen.

Hartings Schweigen ist nicht schlau

Dass das alles trotzdem nicht zusammenpasste, wie Harting da rumturnte und später verkündete, er sei ein introvertierter Typ und Stillstehen sei eben nicht so meins gewesen. Dass es unhöflich ist, Gratulationen abzuschlagen, weil er schlechte Erfahrungen mit Medien gemacht hatte, das steht für sich. Und ganz sicher ist so ein Verhalten auch nicht schlau: Sponsoren und Vermarktung gehören längst zum Profisport dazu und wer sich dem verwehrt, kann auch nicht erwarten, allein mit dem Werfen von Scheiben irgendwann finanziell ausgesorgt zu haben.

Hartings Auftreten hätte ein wichtiges Statement sein können, eine Verweigerung gegen die olympische Bereicherung an Bildern, die es allzu gern verkauft, während es bei staatlich geförderten Dopingpraktiken gerne wegschaut. Und das ist das einzig Bedauerliche: Es war kein Statement, Harting sagte ja nichts dazu. Es war nur Überforderung in einem Moment, den nur die wenigsten erlebt haben oder nachvollziehen können.

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