Olympia:Hambüchen ging einen Sonderweg

Der Olympiasieger am Reck turnte stets, weil es ihm Freude bereitete. Und weil er ein ideales Umfeld hatte. Von ihm kann der deutsche Sport einiges lernen.

Kommentar von Volker Kreisl

Vor einem Dreivierteljahr war Fabian Hambüchen im WM-Reckfinale beim Abgang gestürzt. War vornübergefallen und kopfüber in die Weichmatte getaucht. Das sah nicht gefährlich aus, aber er blieb kurz liegen, und man gewann kurz den Eindruck, er habe keine Lust mehr.

Ein Jahr vor dem Ende seiner Karriere war alles zusammengekommen. Ein verletztes Team, das die Olympiaqualifikation zunächst verpasst hatte. Ein Mehrkampf, den er eigentlich nicht mehr turnen wollte, aber für sein Team turnen musste, und der am Pauschenpferd schließlich misslang. Und dann noch eine Erkältung, die ihm die Kraft am Reck nahm.

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Dass er dann doch fast ein Jahr weiterturnte, lag einerseits am letzten großen Ziel, das er noch hatte, der dritten Olympiamedaille, aber wohl auch an seiner persönlichen Motivation. Hambüchen hat immer geturnt, weil es ihm Freude bereitete, und nicht, weil er in die Disziplin und die Zielvorgaben eines Verbandsplans eingebunden war.

Es war ein im Sport sehr seltener Sonderweg, der ihn stark gemacht hatte: Leistungssport im Familien-Klan. Mit Vater, Mutter, Onkel, Familienfreund, einem Sportmanager und auch einem Bruder als Mitarbeiter für alles, was so anfällt. Noch in Rio pries Hambüchen diese Geborgenheit, die Selbstzweifel und frühen Konkurrenzdruck ausschloss.

Hambüchen konnte sich diese Extrawurst leisten, weil der Verband auf ihn nie verzichten konnte, aber er war auch deshalb so gut, weil er "im Kopf frei" blieb, wie sein Vater und Trainer einmal sagte. Das Ganze bedingte sich gegenseitig, und es blieb letztlich auch ein Zusammentreffen vieler glücklicher Umstände; nicht zuletzt die offenbar höchst effektive, aber immer privat und unter Verschluss gebliebene Mentalarbeit mit Onkel Bruno machte ihn stark.

Das Hambüchen-Modell ist nicht übertragbar, er wird ein Einzelfall bleiben, der das brachliegende Turnen in dem Land, in dem der Geräte-Begründer Jahn als "Turnvater" bezeichnet wird, mit zum Leben wiedererweckt hat. Von 2007 an haben dazu allerdings auch Bundestrainer Andreas Hirsch, Erfolgsturner wie Marcel Nguyen, Punktesammler wie Eugen Spiridonow oder nun Andreas Toba beigetragen. Und auch der zweimalige WM-Zweite Philipp Boy, der nach einem stressigen Jahresprogramm 2012 in London an seinem Traum gescheitert war und die Karriere beendete.

Der deutsche Leistungssport, der nun auf Zack gebracht werden soll, indem verschlankt wird, konzentrierter und effizienter gearbeitet wird, wird immer auf die Prinzipien Trainingsgruppe, Sportinternat und Konkurrenzkampf vertrauen müssen. Einige Elemente des Hambüchen-Erfolges sind trotzdem übertragbar. Wirklich stark wird einer, wenn er viel übt, aber auch, wenn er früh intelligent trainiert wird, wenn er ein Umfeld hat, dem er wirklich vertrauen kann, und wenn er zum Wettkampf als Individuum mit eigenen Ansichten und aus eigener Motivation antritt. Dann hält er sogar bis zum Schluss durch.

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