Olympia:Gold für die Goldkehlen

Rio 2016 - Kanu

Freuen sich über Gold: Max Rendschmidt (R) und Marcus Groß.

(Foto: dpa)
  • Was für ein phänomenaler Auftritt: Das Kajak-Doppel Rendschmidt/Groß paddelt zu Gold über 1000 Meter - weil es sich nie beirren lässt.
  • Die deutschen Frauen haben weniger Glück.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Kurz bevor sie Gold gewannen, haben Max Rendschmidt, 22, und Marcus Groß, 26, noch schnell ihre Taktik geändert. In der Regel gehen sie ihre Rennen über 1000 Meter im Kajak-Zweier so an: "Möglichst ökonomisch bis zum Endspurt rankommen und dann hintenraus alles abbrennen." Auf diese Weise dominieren sie in dieser Disziplin seit Jahren. Weshalb sie ausgerechnet vor dem wichtigsten Rennen ihrer Karriere alles umstellten? Das wissen sie selbst nicht so genau. Rendschmidt sagte, frisch mit seiner Medaille dekoriert: "Wir haben uns einfach gedacht, wir überraschen die anderen mal mit einem starken Mittelstück."

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Die Überraschung ist gelungen. Allerdings nicht ganz so, wie sie gedacht war. Überrascht waren nämlich vor allem Rendschmidt und Groß, als sie merkten, dass es sich Schlussspurt so anfühlte, als würden gleich die Arme abfallen, dass die späteren Silbermedaillengewinner aus Serbien immer näher rückten, dass es sehr knapp werden würde. Auf den letzten 250 Metern büßte das Duo aus Essen und Berlin mehr als zwei Sekunden auf die Konkurrenz ein. Am Ende war der Vorsprung mit bloßen Augen nicht mehr zu erkennen. "Die Strecke hätte keinen Meter länger sein dürfen", gab Rendschmidt zu. Groß sagte: "Das war eines der härtesten Rennen, das wir je gefahren sind. Aua!"

Jetzt kann man natürlich sagen: Schön, dass sich die beiden ein wenig um die Spannung verdient gemacht haben. Es galt ja praktisch als ausgemacht, dass sie diesen Olympiasieg für Deutschland erpaddeln würden. Wenn schon die Verwandten zu Hause vor der Abreise nach Rio sagen: "Du holst ja da eh' wieder Gold!" Wo die deutschen Rennkanuten sind, da herrscht grundsätzlich Medaillenverdacht.

Aber das heißt ja nicht, dass immer alles klappen muss. Ronald Rauhe und Tom Liebscher zum Beispiel verpassten am Donnerstag im Kajak-Zweier über 200 Meter den anvisierten Podestplatz. Sie kamen als Fünfte ins Ziel. Genau wie Franziska Weber im Kajak-Einer über 500 Meter.

Ihre Trauer hielt sich dennoch in Grenzen. Weber hatte am Dienstag bereits Silber im Zweier gewonnen, Liebscher hat am Samstag im Vierer (unter anderem mit Rendschmidt und Groß) noch einmal gute Medaillenaussichten, während sich Rauhe im Einer versuchen darf. Was die eingeplanten sechs Medaillen bei diesen Spielen angeht, liegen Deutschlands Rennkanuten weiterhin auf Kurs. Die Bilanz vom Kajak-Donnerstag aber lautete: Einmal Gold in drei Rennen für deutsche Verhältnisse war das ein eher durchwachsener Tag.

Zuverlässigste Medaillensammler

Schwer zu sagen, ob man diese Rennkanuten eigentlich bedauern oder beglückwünschen soll zu ihrem seltsamen Dasein. Seit Jahrzehnten gehören sie zu den zuverlässigsten Medaillensammlern für Deutschland. Alle vier Jahre, wenn sie gebraucht werden, um den Medaillenspiegel zu retten, steigen sie für ein paar Minuten zu paddelnden Nationalhelden auf. Dann verschwinden sie wieder in der Vergessenheit. Lauter Weltmeister und Olympiasieger, die zu Hause so gut wie niemand auf der Straße erkennen würde. Max Rendschmidt sagte wenige Augenblicke nach seinem Olympiasieg von Rio: "Es ist schon armselig, was in Deutschland passiert. Wir holen hier regelmäßig die Kohlen aus dem Feuer und nach zwei Wochen gehen wir wieder allen am Arsch vorbei."

Das war bestimmt nicht ganz so verbittert gemeint, wie es vielleicht klingen mag. Rendschmidt weiß ja auch die Vorteile eines ungestörten Privatlebens zu schätzen. Darauf müssen in Kanudeutschland nicht einmal die Besten der Besten verzichten. Im Ranking der erfolgreichsten Olympioniken aller Zeiten und Länder, das natürlich vom Schwimmer Michael Phelps angeführt wird, liegt die ehemalige deutsche Kanutin Birgit Fischer auf Platz sechs.

Knapp hinter sogenannten Sportlegenden wie Mark Spitz und Carl Lewis. Heute betreibt Fischer in aller Gemütsruhe eine Paddelschule am brandenburgischen Beetzsee, beobachtet seltene Vögel und backt vorzügliche Quarkstollen. Es gibt definitiv Schlimmeres als das einsame Leben einer deutschen Kanulegende. "So ein Mittelding wäre halt schön", findet Rendschmidt.

Auch deshalb haben sie im aktuellen Kanurennteam beschlossen, jetzt mal ein bisschen was für ihre Sichtbarkeit zu tun. Für ihre Hörbarkeit, um präzise zu sein. Sie haben mit ihrem Mentaltrainer Robby Lange einen Rock-Song aufgenommen. Er heißt "RIOlympia", es gibt auch ein Video dazu. Früher sang die Fußballnationalmannschaft, heute singt das "Olympia-Kanu-Team". Der sechsmalige Weltmeister Max Hoff spielt Luftgitarre. Von dem Rheinländer gibt es inzwischen sogar Fanartikel, Käppis und T-Shirts auf denen "The Hoff" steht, in Anlehnung an den bisweilen eher unfreiwilligen Entertainer David Hasselhoff.

Zu sagen, das Kanulied habe die Hitparaden gestürmt, wäre natürlich übertrieben. Es leistet den deutschen Athleten aber offenbar gute Dienste zur Einstimmung auf ihre Wettkämpfe. Mit einem Nutellabrot und mit "unserem Lied" habe er sich am Donnerstagmorgen auf den Goldlauf vorbereitet, erzählte Max Groß.

Musizieren alleine wird aber kaum reichen, um Kanurennen attraktiver zu machen. Der Olympiasieger Sebastian Brendel fordert auch grundlegende Reformen im Weltverband ICF. "Unsere Sportart spricht die Bevölkerung nicht so an. Die Formate müssen dringend geändert werden", sagte er nach dem Gewinn seiner Goldmedaille im Canadier-Einer am Dienstag. Er träumt etwa von Kanurennen mitten in den Städten, von einer Eventisierung, die andere Sportarten bereits hinter sich haben. Manch einer fürchtet schon, dass Kanurennen bald nicht mehr olympisch sein werden, wenn es so weiter geht. Das wäre nicht nur schade um diese traditionsreiche Disziplin. Das wäre auch fatal für die deutschen Medaillenbilanzen.

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