Süddeutsche Zeitung

Moderner Fünfkampf:Runter vom Sattel

Nach den skandalösen Bildern des olympischen Fünfkampf-Springens wird das Reiten aus dem Wettkampf gestrichen. Der Weltverband hatte zunächst andere Pläne - doch der Druck aus dem IOC war offenkundig zu groß.

Von Gabriele Pochhammer

Die Modernen Fünfkämpfer müssen umsatteln, vom Pferderücken womöglich auf den Fahrradsitz. Das Exekutivkomitee des Pentathlon-Weltverbandes (UIPM), das am Donnerstag tagte, teilte am Abend in einer Art offenen Brief mit, was zuvor bereits durchgesickert war: Nach den Olympischen Spielen 2024 wird das Springreiten durch eine andere Disziplin ersetzt. Welche, das solle noch entschieden werden, hieß es; dass es sich um eine Disziplin aus dem Radsport handele, wurde nicht bestätigt. Der Verband schrieb lediglich von einem "historische Schritt", der manche in der Szene "schockieren" könnte. Wie wahr.

Hintergrund sind die skandalösen Bilder des olympischen Fünfkampf-Springens in Tokio, die in der Öffentlichkeit Empörung hervorriefen: Die bis dahin in Führung liegende Annika Schleu aus Deutschland hatte verzweifelt und vergebens versucht, mit Hilfe von Peitsche und Sporen ihr Pferd Saint Boy zum Springen zu animieren. Trainerin Kim Raisner half mit einem Fausthieb auf das Hinterteil des Pferdes nach - und dem Ruf: "Hau mal richtig drauf!" Ebenfalls ohne Erfolg. Ähnliche Bilder hatte es bereits mit der ersten Reiterin von Saint Boy, einer Russin, gegeben.

Während Tierschutzverbände, die Internationale Reiterliche Vereinigung (FEI) sowie die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) forderten, die Disziplin künftig durch eine andere Sportart zu ersetzen, hatte der 75-jährige Weltverbands-Präsident Klaus Schormann noch im Nachgang der Spiele betont, Reiten müsse Bestandteil des Fünfkampfes bleiben. Dabei berief er sich auf Baron Pierre de Coubertin, der nicht nur die Olympischen Spiele der Neuzeit wiederbelebt, sondern auch den Pentathlon als Test für junge Offiziere erfunden hatte.

Das olympische Aus droht im Fünfkampf schon seit längerem

Als hätte man alle Zeit der Welt, wurde im Weltverband UIPM nach Tokio aber erst einmal eine Arbeitsgruppe berufen, die einer Generalversammlung dann Vorschläge vorlegen sollte, und zwar Ende November. Doch jetzt eilte es plötzlich. Offenbar hatte sich die Einsicht durchgesetzt, dass die olympische Präsenz des Fünfkampfes gefährdet ist, sollte das Reiten nicht ersetzt werden. Der Weltverband schrieb in seinem jüngsten Statement lediglich, dass sich das "Leben in der olympischen Bewegung schnell ändere". Das olympische Aus droht im Fünfkampf ja schon seit längerem - der Albtraum für jede Sportart, die sich, wie der Fünfkampf, zu einem erheblichen Teil durch Gelder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) finanziert.

Kurz vor der offiziellen Verkündung hatte der Branchendienst "insidethegames" bereits aus einem internen Papier zitiert, in dem der UIPM die Mitglieder seines Exekutiv-Komitees warnte: Das IOC, dessen Programm-Kommission im Dezember tagt, werde dort nur einen Vorschlag ohne Reiten akzeptieren. Für kontroverse Diskussionen sei es also zu spät, das IOC erwarte eine Lösung bis zum 24. November. Damit käme eine Entscheidung der UIPM-Generalversammlung vom 26. bis 28. November in Monaco zu spät. "Bis dahin könnte unser Sport längst aus dem olympischen Programm geflogen sein", so das UIPM-Papier.

In der jüngsten Mitteilung hieß es nun, man müsse auch eine "neue frische Perspektive auch für das TV-Publikum" präsentieren, um im Wettstreit mit neuen Sportarten zu bestehen. Fotos und Videos von prügelnden Reitern und frustrierten Pferden passen da nicht ins Bild. Eine neue Disziplin müsse attraktiv, kostengünstig, leicht verständlich und mit minimalem Verletzungsrisiko verbunden sein. Außerdem dürfe sie nicht unter die Kontrolle einer anderen vom IOC anerkannten Sportart fallen. Für Olympia 2024 ist das Programm bereits bestätigt, Reiten gehört dann noch mal dazu. Die Änderungen "werden rechtzeitig für die Olympischen Sommerspiele in Los Angeles 2028 umgesetzt", hieß es.

Nicht alle Fünfkämpfer sind erfreut über den geplanten Wechsel - der Olympiasieger denkt sogar ans Aufhören

In der internen Nachricht des Verbandes hatte es auch geheißen, dass die skandalösen Vorgänge von Tokio entscheidend für den Vorschlag gewesen seien, Reiten aus dem Fünfkampf-Programm zu nehmen. Die Besorgnis um das Wohl der Pferdes habe seit Tokio immer mehr zugenommen. Auch könne das System, die Pferde zu verlosen, den Athleten keinen wirklich fairen Sport ermöglichen. Verständlich: Dieses Zufallsprinzip begünstigt den mittelmäßigen Reiter auf einem braven Pferd gegenüber dem guten Reiter auf einem schwierigen Pferd.

Der UIPM-Vizerpäsident Joel Bouzou befürwortet offenbar schon seit Längerem das Ausscheiden des Reitens. Er erklärte zuletzt gegenüber der französischen Sportzeitung L'Équipe, der Reitsport bremse die Entwicklung des Fünfkampfs, sei es mit Blick auf die praktische Umsetzung oder die Kosten, was der Weltverband in seinem Statement am Donnerstag auch bestätigte. Man habe auch "bereits 2018" damit begonnen, sich mit der Abschaffung des Reitens auseinanderzusetzen, sagte Bouzou: Die Entscheidung, Reiten aus dem Fünfkampf zu streichen, habe "überhaupt nichts mit den Vorfällen in Tokio zu tun". Das klingt vermutlich besser, als wenn man zugibt, erst auf den Druck von Tierschützern tätig zu werden.

Schon vor der Verkündung durch den Weltverband hatten sich viele Fünfkämpfer kritisch über den geplanten Wechsel geäußert: "Das war ein Schock für mich", sagte Joe Choong, der Olympiasieger von Tokio, gegenüber britischen Medien. "Wenn das Reiten durch Fahrradfahren ersetzt wird", fügte er an, "bin ich nicht mehr dabei." Der Deutsche Matthias Sandten, der EM-Zweite von 2018, geht im Gespräch sogar so weit, als dass der Moderne Fünfkampf "tot" sei, wenn man eine der fünf Disziplinen herausschneide: "Der Fünfkampf nimmt seine olympische Berechtigung allein aus der Historie", findet Sandten, "es gehört zu diesem Sport, dass man ein Pferd notfalls auch über den Parcours zwingt." Nur: "Das wird heute nicht mehr akzeptiert."

Der Deutsche Verband für Modernen Fünfkampf (DVMF) hatte sich dagegen schon frühzeitig dafür ausgesprochen, das Reiten durch eine andere Sportart zu ersetzen. Zwar hätten die Athleten sehr oft gezeigt, wie harmonisch das Zusammenspiel zwischen Mensch und Pferd auch im Fünfkampf sein könne, aber das derzeitige Regelwerk könne der "gestiegenen Sensibilisierung für den Tierschutz" nicht dauerhaft gerecht werden. Mehr ein Zugeständnis an die öffentliche Meinung als Besorgnis um das Wohl der Pferde also.

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