Olympia: Friesinger-Postma:"Ich fühle mich im Stich gelassen"

Lesezeit: 3 min

Eisschnellläuferin Anni Friesinger-Postma übt heftige Kritik an der Auswahl des Olympiaarztes - wegen dessen fragwürdiger Rolle im Dopingfall Pechstein.

René Hofmann

Die Mission Olympia beginnt für Anni Friesinger am 8. Februar. Die 33-Jährige fliegt erst zehn Tage vor ihrem geplanten ersten Start nach Kanada. Zum einen, weil sie sich nicht zu früh in den Trubel stürzen möchte. Zum anderen, und da wird die Geschichte für die Allgemeinheit spannend, weil sie ihren Körper so lange wie möglich von Betreuern ihres Vertrauens pflegen lassen möchte. "Ich bin sehr enttäuscht von der Verbandsspitze", sagt Friesinger, "sie hat mir in dem Punkt keinerlei Unterstützung zukommen lassen".

Anni Friesinger-Postma ist mit der Wahl des Olympiaarztes nicht einverstanden. (Foto: Foto: ddp)

Anni Friesinger hat zweimal Gold gewonnen bei Olympia: 2002 über 1500 Meter und 2006 mit dem Team. Die bisherige Saison aber ist nicht gut gelaufen. Die Schweinegrippe schwächte Friesinger und immer wieder schmerzte das rechte Knie, an dem sie im Sommer 2008 am Knorpel operiert worden war. "Es wurde einfach sehr schnell dick, wenn ich wieder losgelegt habe", sagt Friesinger.

Schon früh in der Saison ergab eine Magnetresonanztomographie: Friesinger hat sich erneut einen kleinen Riss im Knorpel zugezogen und Absplitterungen reizen das Gelenk. "Das ist wie Sand im Getriebe", sagt Friesinger. Eine Arthroskopie könnte das Problem beseitigen. Doch weil die Olympischen Spiele anstehen, entschied sich Anni Friesinger gegen den Eingriff. Nach einer Operation wäre ihr nicht genug Zeit für die Vorbereitung auf den wichtigen Wettkampf geblieben.

Viele Spülungen statt einem Schnitt - mit dieser Taktik versucht sie nun, es einigermaßen hinzubekommen. Beim Abschluss-Camp der deutschen Mannschaft in der vergangenen Woche in Erfurt saß sie zusätzlich zu den Eis-Einheiten fünf Stunden auf dem Rad. An Startübungen aber war nicht zu denken. "Ich konnte in diesem Winter noch nie zeigen, was ich drauf habe", sagt Friesinger. "Wie eine Gefangene im eigenen Körper" habe sie sich gefühlt. Für eine Hochleistungs sportlerin ist das eine ungewohnte Erfahrung und eine Situation, in der der Arzt als Bezugsperson gelegentlich wichtiger ist als der Trainer.

Mit bangen Blicken hat Friesinger deshalb jede Nominierungsrunde des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) verfolgt. Wen würde die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) ihren Athleten in Vancouver an die Seite stellen? Die Wahl fiel schließlich auf den Erfurter Orthopäden Gerald Lutz. Weshalb Friesinger nun sagt: "Ich fühle mich im Stich gelassen." Lutz wird sie nicht an ihr Knie lassen. Ihr fehle das Vertrauen, sagt sie. Und nicht nur ihr. Etliche Top-Athleten hätten Vorbehalte. Konkreter möchte sie nicht werden.

Das muss sie aber auch gar nicht. Was sie meint, ist leicht nachzuvollziehen. Lutz war bei der Mehrkampf-WM im Februar 2009 als DESG-Arzt dabei. Er war derjenige, der Claudia Pechstein nach dem ersten Wettkampftag die Diagnose stellte, mit der ihre Abreise begründet wurde: Die Berlinerin leide an einem fiebrigen Infekt. Als der Eislauf-Weltverband ISU Pechstein später sperrte, flog die Lüge auf. In Wahrheit war sie abgereist, weil ihr die Nachricht überbracht worden war, sie habe auffällige Retikulozyten-Werte.

Gedeckt worden war die Aktion auch von Teamchef Helge Jasch. In einer schriftlichen Erklärung, die sie im Juli veröffentlichte, bedankte sich Pechstein ausdrücklich bei den beiden. Jasch und Lutz, so Pechstein, deren Zwei-Jahres-Sperre wegen Dopings der internationale Sportgerichtshof Cas inzwischen bestätigt hat, "haben mich super unterstützt". Dass auch Jasch ohne Diskussion für Olympia nominiert wurde, sorgt offenbar bei einigen Athleten für Unmut. Doch Friesinger ist die Einzige, die sich aus der Deckung wagt. Sie wirft dem Verband vor allem vor, sie in der Arzt-Frage hingehalten zu haben. "Es wurden Hoffnungen geweckt, die nicht gehalten wurden", sagt sie.

"Es wurde eine Dopingmentalität gezeigt"

"Ich kenne diese Diskussion nicht", behauptet dagegen DESG-Präsident Gerd Heinze: "Herr Dr. Lutz ist immer dabei, die ganze Saison und das schon ewig." Der Mediziner, glaubt Heinze, genieße "das uneingeschränkte Vertrauen der gesamten Mannschaft". Dass dies offenbar nicht so ist und zumindest eine Medaillenkandidatin das dezidiert ganz anders sieht, hält der Berliner für "nicht der Rede wert": "So etwas wird es immer mal geben, bei der Gesamtstärke der Mannschaft, dass der eine oder andere individuelle Vorstellungen hat."

Friesinger hätte in Vancouver gerne den in München praktizierenden Dr. Volker Smasal an ihrer Seite gehabt. Smasal hat ihr Knie operiert und war früher auch DESG-Arzt. Als sich der Verband nach den Spielen vor vier Jahren entschied, hauptsächlich den Stützpunkt in Berlin-Hohenschönhausen zu fördern, zog er sich zurück. Smasal hätte für Vancouver zur Verfügung gestanden, doch die DESG hatte daran offenbar kein Interesse. Zuletzt wurde sogar diskutiert, ob er nur für Friesinger anreise, doch das lehnte Smasal ab. Es dürfe keine zwei Medizin-Systeme in einer Olympia-Mannschaft geben, so sieht er das.

Fachlich möchte sich Smasal über die Arbeit seines Kollegen Lutz aus Erfurt nicht äußern. Zu dessen Verhalten bei der Mehrkampf-WM in Hamar aber hat er eine klare Meinung. "Ich wäre da nie mitgegangen", sagt er über das falsche Attest. Bei der ganzen Behandlung des Falles, findet Smasal, "wurde eine Dopingmentalität gezeigt - vom Arzt und vom Verband". Und das sei nun wirklich nicht vertrauensbildend.

Am Donnerstagmorgen bestätigte Friesinger-Manager Klaus Kärcher der Deutschen Presse-Agentur dpa, dass Friesinger vom Mediziner der deutscher Shorttracker, Mario Bottesi, betreut wird. Der Dresdner Sport-Orthopäde Bottesi gilt als Spezialist für Schulter- und Kniegelenk-Chirurgie. "Dies ist ein Kompromiss, aber nicht die optimale Lösung zur Betreuung einer so verdienstvollen Athletin", sagte Kärcher und verwies darauf, dass der Kompromiss durch Verantwortliche des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) erzielt worden sei.

© SZ vom 04.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Die besten Wintersportler
:Außerirdische aus der Goldberg-Straße

Viele Medaillen, viele Kuriositäten und auch viele Dopingfälle: sueddeutsche.de zeigt die 20 erfolgreichsten Winterolympioniken aller Zeiten, von Dählie über Pechstein bis Tichonow.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: