Süddeutsche Zeitung

Olympia-Förderung:Medaillen gewinnen - oder aufhören

Der DOSB fordert von seinen Athleten nachdrücklich Siege - auf sauberem Weg in einem dopingverseuchten System. Die Politik muss erklären, wie das gehen soll.

Kommentar von Thomas Kistner

Gewiss, der deutsche Leistungssport mit seiner sperrigen Struktur von A- bis D-Kadern gehört längst reformiert. Das geschieht nun; das neue Förderkonzept fokussiert nicht mehr auf Platz, sondern auf Sieg. Es propagiert die Hinwendung zum Medaillen-Spektakel. Podiumsplätze, Hymnen und Fahnen sollen die zuletzt ja deutlich erlahmte patriotische Energie im Publikum wiederbeleben.

Dumm nur, dass Politik und Sport ihr klares Signal in eine globale Sportlandschaft senden, die selbst gerade einen dramatischen Wandel durchläuft. Unpassender könnte der Zeitpunkt nicht sein: Nach dem rauen Erweckungserlebnis, das die korruptionsverseuchte Funktionärsclique um den Fußball-Weltverband Fifa breiten Teilen der Gesellschaft bescherte, ist das Internationale Olympische Komitee ähnlich tief in die Glaubwürdigkeitskrise geschlittert.

Das IOC, die oberste Sportinstanz, betreibt eine den Betrug und potenzielle Betrüger de facto abschützende Politik, von der sich andere Spitzenorgane (von der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada über den Behinderten- bis zum Leichtathletik-Weltverband) entsetzt abwenden. Skrupelloser denn je vertritt das IOC selbst den Systemzwang, dass all die pharmazeutischen Helfer dazugehören, die nicht oder fast nicht aufzuspüren sind; die oft auch gar nicht aufgespürt werden sollen. Olympias Gloria gründet auf Doping.

Die Vorbildnationen arbeiten mit fragwürdigen Methoden

Während dieser verlotterte globale Spitzensport, gelenkt vom deutschen Wirtschaftsanwalt Thomas Bach, immer tiefer ins Zwielicht gerät und viele seiner Topleute in den Fokus staatlicher Ermittlungen in Brasilien, Frankreich und der Schweiz rücken, beschließt der deutsche Sport: Hier mischen wir jetzt richtig mit! In diesem Sport sollen unsere Athleten künftig ihre Titel- und Medaillenausbeute markant erhöhen. Oder aufhören. Über die stillen Tuning-Praktiken in autokratischen Ländern von Russland bis China oder sportiven Spezialfällen von Kenia bis Jamaika braucht man gar nicht zu räsonieren. Schon der Blick in den Westen verrät ja, in welches Milieu auch Europas Erfolgsländer eingebettet sind, vorneweg der Klassenprimus England und Spaniens "Gold-Generation".

Zu chronischen, gut fundierten Dopingverdächtigungen, zu Affären um die dortigen Anti-Doping-Agenturen und sinistre Sportärzte in Madrid oder London gesellt sich eine neue Erkenntnis: Die von russischen Hackern aus der Wada-Datenbank geklauten Listen zu medizinischen Ausnahmegenehmigungen für Substanzen, die auf der Dopingliste stehen, weisen allein Spanien und England 21 Prozent all dieser Sonderatteste zu. Zählt man Amerikaner und Deutsche dazu, bieten nur diese vier Länder ein Drittel aller Athleten weltweit auf, die so krank sind, dass sie Freifahrscheine für verbotene Stoffe brauchen. Huch!

Kraft und Tempo lassen sich nicht am Reißbrett und in Budgetzirkeln steigern

Wenn Politik und Funktionäre heute eine neue nationale Medaillenschmiede planen, dürfen sie nicht so tun, als ließen sich Kraft und Tempo einfach am Reißbrett und in Budgetzirkeln steigern. Wer mit öffentlichem Geld die Maschine Mensch in einem nachweislich verseuchten Kommerzsport weiter hochfahren will, muss erklären, wie er das physiologisch-medizinisch sauber bewerkstelligen will. Wer das nicht tut, steuert zurück in die Ära dunkler Sportkumpanei, die sich international gerade überlebt hat. Und deren Aufdeckung bevorsteht.

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SZ vom 29.09.2016/cdo
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