Olympia-Favoritin Mikaela Shiffrin:Rasantes Raubtier ohne Feinde

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Nein, sie ist nicht die nächste Lindsey Vonn: Sie ist Mikaela Shiffrin. Die 18-jährige Amerikanerin ist im Slalom so gut, dass die Konkurrenz resigniert. Selbst ärgste Konkurrentinnen wähnen sich in einer anderen Liga.

Von Michael Neudecker, Flachau

Die nächste Lindsey Vonn? Mikaela Shiffrin findet, es sei unfair, so einen Vergleich zu ziehen: zu behaupten, sie, Shiffrin, sei die nächste Lindsey Vonn.

Gewiss, sie beide sind erfolgreiche amerikanische Skirennfahrerinnen aus dem selben US-Bundesstaat (Colorado), die eine (Shiffrin) als 18-Jährige am Anfang, die andere (Vonn) als 29-Jährige eher am Ende ihrer Karriere, aber es sei doch so: Wenn jemand der nächste ist, hieße das doch, dass der andere schon weg ist, oder? "Das ist so, als ob ihr zu Lindsey sagen würdet: Geh' aus dem Weg, es ist kein Platz für zwei Lindsey Vonns", sagt Shiffrin. Sie respektiert Lindsey Vonn, sie bewundert sie sogar ein bisschen, "also lasst sie ihren Erfolg haben und mich meinen", sagt sie. "Nennt mich einfach Mikaela Shiffrin."

Mikaela Shiffrin hat natürlich Recht, Vergleiche wie dieser sind fast immer merkwürdig, weil sie fast nie der Wahrheit gerecht werden. Die Wahrheit ist: Lindsey Vonn war mit 18 nicht annähernd so gut wie jetzt Mikaela Shiffrin.

Skifahrerin Tina Maze
:Nur noch Passagier

Tina Maze, die Seriensiegerin des Vorjahres, fährt in dieser Saison ohne Selbstbewusstsein - und wartet noch immer auf ihren ersten Weltcupsieg. Deswegen schreckt sie kurz vor Olympia auch vor abrupten Entscheidungen nicht zurück.

Von Johannes Knuth

Im Dezember 2012 gewann Shiffrin im Slalom von Are, Schweden, ihr erstes Weltcuprennen, seitdem hat sie von den nachfolgenden elf Slaloms sechs weitere gewonnen, sie ist in Schladming Weltmeisterin geworden, hat die kleine Kristallkugel als Disziplinbeste bekommen, und jetzt führt sie in dieser Wertung schon wieder souverän. Niemand zweifelt, dass sie am Ende dieser Saison die kleine Kugel erneut erhält, auch die zuletzt wiedererstarkte Österreicherin Marlies Schild wird daran wohl nichts ändern können. In Flachau, beim Nachtslalom am Dienstagabend, hat man gut sehen können, warum.

Flachau ist ein Rennen mit einer stimmungsvollen Atmosphäre, es ist ein Heimrennen der Österreicher, alles ist rot-weiß-rot, 14 000 Zuschauer, die sich jedes Mal die Seele aus dem Leib plärren, wenn eine der ihren fährt, und noch lauter werden sie, wenn Marlies Schild am Start steht. Marlies Schild ist eine der größten Slalomfahrerinnen der Skigeschichte, das kann man jetzt schon sagen, kurz vor dem Jahreswechsel gewann sie ihr 35. Slalom-Rennen, und als sie nun im ersten Durchgang im Ziel war, lag sie natürlich in Führung.

Flachau war glücklich, es sah gut aus für Rot-Weiß-Rot, aber dann kam Shiffrin.

"Versetzt euch doch mal in meine Lage"

Der Skirennsport wird in Nuancen entschieden, die als Laie nur schwer zu erkennen sind, aber jetzt, als Shiffrin von Tor zu Tor schoss, konnte jeder sehen, dass sie schneller war als alle anderen. "Ein Traumlauf", sagte Maria Höfl-Riesch später, "wie die mit den Unterschenkeln an jedem Tor beschleunigt, das ist der Wahnsinn", und so war das wirklich: Mikaela Shiffrin wurde mit jedem Tor schneller. Im Ziel hatte sie mehr als eine Sekunde Vorsprung auf Marlies Schild.

"Wir versuchen alles", sagte gleich danach die Österreicherin Michaela Kirchgasser, die Fünfte wurde, "aber wir fahren nur in der zweiten Liga." Alles versuchen und doch keine Chance haben, das kann einen frustrieren, aber Kirchgasser sah nicht frustriert aus. Sondern beeindruckt.

"Der erste Lauf", sagt Shiffrin, "hat wirklich riesig Spaß gemacht." Der zweite dagegen war mehr ein Kampf gegen die tiefer werdenden Furchen im Regen von Flachau, "das war zäh", sagt Maria Höfl-Riesch, sie fiel vom zweiten auf den vierten Platz zurück (und stach damit aus einem ansonsten erneut schwachen deutschen Team hervor), und Marlies Schild kam gar derart von der Strecke ab, dass sie beinahe ausgeschieden wäre und am Ende 26. wurde. Mikaela Shiffrin aber: Blieb im Kampf souverän. Im Ziel hatte sie 83 Hundertstelsekunden Vorsprung auf die Schwedin Frida Hansdotter. Die Furche im Schnee ist der natürliche Feind des Slalomfahrers, aber gibt es nicht auch Raubtiere, die keine natürlichen Feinde haben?

In dreieinhalb Wochen werden die Olympischen Spiele von Sotschi eröffnet, Sotschi ist die ganze Saison schon der Bezugsrahmen aller Wintersportler, das kann Vorfreude auslösen, aber auch Druck erzeugen. In Schladming, bei der WM im vergangenen Februar, war Shiffrin noch der Geheimtipp, in Sotschi aber ist sie Favorit, ja: Jeder erwartet, dass sie dort Gold im Slalom gewinnt. Ob sie sich deshalb Sorgen mache, wegen dieser gewaltigen Erwartungshaltung? "Nein", sagt Shiffrin, sie zögert keine Sekunde mit der Antwort. "Versetzt euch doch mal in meine Lage", fährt sie fort, "ich bin 18, fahre zu Olympia, erfülle mir einen Kindheitstraum, und dass ich da zu Medaillenfavoriten zähle, das heißt, dass ich da auch noch um eine Medaille fahre", und das, schließt sie, sei doch wirklich wundervoll, nicht wahr?

Man darf Mikaela Shiffrin ruhig glauben, dass sie entspannt nach Sotschi fährt. Sie weiß ja, dass der Slalom nicht ihre einzige Chance auf eine Medaille ist. Im Riesenslalom war sie in dieser Saison auch schon zwei Mal auf dem Podest.

© SZ vom 16.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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