Olympia-Entscheidung:Frost in den Gesichtszügen

Sotschis Wahl zum Olympiaort 2014 zeigt, dass die alten Seilschaften und Mechanismen im IOC funktionieren. Mit Geld lässt sich dort offenbar alles regeln.

Thomas Kistner

Es ging auf Mitternacht zu, aus der von Sotschis Bewerbern mit einem Mordsaufwand betriebenen Freiluft-Eislaufarena nahe dem IOC-Hotel dröhnten noch die Jubelgesänge, dazu die russische Hymne, endlos wie von der Pianolawalze. Da ließ auch Jeon Yong Kwan kurz was raus. "Es ist, als würde man von hinten erstochen", klagte Pyeongchangs Bewerbungsdirektor, "unbegreiflich. Wir haben es Ernst gemeint und alles getan, was das IOC von uns verlangt hat."

Putin sotschi

Einmal Guatemala und zurück. Russlands Sieger Wladimir Putin.

(Foto: Foto: dpa)

Trotzdem reichte es in Wahlgang zwei von Guatemala-City nur zu 47 Voten, Sotschi kam auf 51. Zuvor war Salzburg mit 25 Stimmen ausgeschieden. Acht mehr als beim Erst-Runden-K.-o. 2003 in Prag, doch fand sich nicht mal darin Trost. Team Austria hatte ja mit dem olympischen Haussender NBC einen potenten Bündnispartner gefunden, der mit Gedankenspielen über Mittelkürzungen in Höhe von einer halben Milliarde Dollar Druck auf das IOC ausgeübt und Salzburg so die eine oder andere Stimme gesichert hatte.

Besorgnis in jovialen Worten

Präsident Jacques Rogge und Richard Carrion, Chef der Finanzkommission, machten also professionelle Miene zu dem für ihr IOC mäßig lukrativen Spiel. Nach der Unterzeichnung des Ausrichtervertrags flankierten sie die Russen bei der Siegerkonferenz; Rogge kleidete seine Besorgnis in joviale Worte, als er Sotschi eine "exzellente Bewerbung" - soweit an den Computerbildern erkennbar - attestierte und mit dem Großkredit die Erwartung verknüpfte, dass aus Sotschis Winterspielen 2014 "ein phantastisches Erbe für den Weltsport" erwachse.

Eine als Wunsch getarnte Dienstanweisung, die er zuvor auch Präsident Wladimir Putin übermittelt hatte, als dieser ihn von Bord seiner Regierungsmaschine anrief. Der von seinen Mitsiegern hell als "Teamkapitän" besungene Staatschef war unmittelbar nach seinem Auftritt schon wieder aufgebrochen zu neuen Horizonten, nachdem er bei der Präsentation am Vormittag "sichere, unterhaltsame und denkwürdige Spiele" garantiert hatte.

Denkwürdig ist sie schon jetzt, die Olympia-Sause am Schwarzen Meer, wo sich zwar Putins Sommersitz plus weitere präsidiale Privatländereien befinden, aber nichts, das auf emotionsgeladene Winterspiele in nur noch sechseinhalb Jahren hinweisen könnte. Neun Milliarden Euro leitet die Regierung ins kaukasische Bergland um, wo im Eilverfahren ein Winterressort erster Güte aus dem Boden gestampft werden muss.

Die Frage, ob die halbe Hundertschaft IOC-Mitglieder, die diese Lösung für die optimale hielt, dabei an das Wohl ihrer Spiele dachte oder mehr an das eigene, war nicht stichhaltig zu klären, jedoch Gegenstand hitziger Debatten, als die Tränen der Verlierer zu trocknen begannen. Österreichs Bundeskanzler Alfred Gusenbauer erklärte Salzburg für chancenlos, "wenn Geopolitik und Geld eine Rolle spielen". Und Bewerbungs-Geschäftsführer Gernot Leitner wähnte sich von Marktfragen überrollt und "zwischen zwei Großmächten zerquetscht".

Tatsächlich dürfte Putin all den IOC-Mitgliedern, die er in den zwei Tagen vor dem Votum eingeladen hatte, mehr gezeigt haben als seine blauen Augen. Mitunter können die ja auch knallhart werden. So warb der Schweizer René Fasel, immerhin selbst IOC-Mitglied, leidenschaftlich unter den Wahlkollegen für Sotschi. Er ist Chef des Eishockey-Weltverbandes und soll erstaunlich offen die Besorgnis geäußert haben, dass ihm die Russen künftig ihre NHL-Spieler vorenthielten, falls Sotschi die Spiele nicht bekäme.

Frost in den Gesichtszügen

Die unterkühlte Stimmung rund um den Sieger zeigte sich auch bei der Abschlusspressekonferenz. Skepsis intonierte jede Frage an Sotschis siegestrunkene Frontmänner, denen einmal sogar der schiere kaukasische Frost in die Gesichtszüge fuhr: Da hatte eine Journalistin der Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen mit Verweis auf 21 tote Journalisten im Land von Vize-Ministerpräsident Alexander Schukow wissen wollen, ob diese Fälle nun mal untersucht würden, nach rechtsstaatlichen Regeln. Schukows klare Antwort: Eisiges Schweigen.

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(Foto: Foto: dpa)

Sotschi wird auch zur politischen Baustelle für das IOC. Als wäre da nicht schon Peking 2008 - entsprechend mürrisch fiel Rogges Replik auf eine weitere Frage nach dem Zustand der Menschenrechte im Spiele-Land aus: Olympia sei eine "Kraft des Guten". Gut für Teamkapitän Putin ist es auf jeden Fall. Sein Regierungsvize Schukow deutete das Votum auch gleich in "weltweite Zustimmung" für die junge russische Demokratie um und leitete so die globale Befindlichkeit aus dem Wahlverhalten von einigen Dutzend IOC-Mitgliedern ab.

Die Rolle von Samaranch

Indes verdankten sich die entscheidenden vier Stimmen Vorsprung auf Südkorea wohl eher einem Greis, der auf die 90 zugeht, im IOC aber munter die Strippen zieht: Juan Antonio Samaranch war in quasi letzter Minute aus Barcelona eingeflogen worden, auf das russische Ticket.

In Guatemala-City ließ sich der Mann, der das IOC eisern geführt hatte, ganz ungeniert bei seinen Überzeugungsgesprächen blicken. Samaranch, einst Spaniens Botschafter in der damaligen Sowjetunion, war dort 1980 zum IOC-Boss gewählt worden und stieg 2001 in Moskau wieder vom Thron; das verbindet. Nun gab der Ehrenpräsident den Lobbyisten für Kandidat Sotschi und lag am Ende in Witali Smirnows Armen, dem russischen IOC- und Geschäftsmann, dem er in der Korruptionsaffäre um Salt Lake City nur eine Verwarnung hat angedeihen lassen.

Es leben die alten Seilschaften, mit ihnen die Tradition des Schacherns und Dealens im IOC. Nur wenige Mitglieder beklagten, dass neben Putin, Gazprom & Genossen auch die koreanischen Sportsfreunde eine Spur der Verwüstung in das olympische Reglement geschlagen hatten.

IOC-Marketingchef Gerhard Heiberg hatte seinem norwegischen Heimatsender bereits vor der Kür anvertraut, dass die Sache "außer Kontrolle" geraten sei. Was manchmal sogar dem passiert, der meint, mit Geld alles in den Griff zu kriegen. Kurz vor der Kür, so war in Guatemala zu hören, habe Samsung noch ein paar Werbeallianzen mit den Führern diverser Wintersportnationen schmieden wollen. Die hatten allerdings schon mit Kapitän Putin gespeist. Sie waren satt.

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