Eishockey bei Olympia:Fast wie 2018

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Voller Einsatz, aber trotzdem kein Sieg: Marcel Brandt im Zweikampf mit Sean Farrell. (Foto: Laci Perenyi /Imago)

Trotz der 2:3-Niederlage im letzten Gruppenspiel gegen die USA zeigt das deutsche Eishockeyteam in Peking aufsteigende Tendenz - und kopiert bislang den unsteten Weg beim Silbergewinn vor vier Jahren.

Von Johannes Schnitzler

Die Erregung war groß nach dem mühsam ins Ziel geschleppten ersten Sieg der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft bei diesen Olympischen Spielen gegen Gastgeber China, vor allem in den sozialen Netzwerken. "Grauenvoll", war dort zu lesen, "Schämt Euch!" Zerknirscht waren auch die deutschen Nationalspieler am Samstag in Peking. Eine solide 3:0-Führung durch Marcel Brandt (14.), Korbinian Holzer (17.) und Dominik Kahun (25.) hätten sie gegen den krassen Außenseiter beinahe noch aus der Hand gegeben; nach den Gegentoren durch die eingebürgerten Kanadier Parker Foo (40.) und Tyler Wong (49.) - den ersten Treffern für China bei Olympischen Spielen überhaupt - stand der Sieg ernstlich auf der Kippe.

"Wir haben die Geradlinigkeit verloren und zu sehr versucht, auf Bairisch gesagt, rumzuzipfeln", meinte Torschütze Holzer. Kapitän Moritz Müller übersetzte: "Nach dem harten Spiel gegen Kanada waren wir erleichtert, die spielerische Oberhand zu haben. Aber dann haben wir vergessen, dass die Arbeit an erster Stelle steht." Selbstzufriedenheit sickerte ins deutsche Spiel, vielleicht sogar Selbstüberschätzung. Gegen den Weltranglisten-32., der bei seiner Olympia-Premiere 0:8 gegen die USA verloren hatte, "haben wir gedacht, es wird ganz leicht und wir marschieren wie die Amerikaner über die Chinesen drüber", sagte Müller. "Das war fahrlässig." Aber gleich für einen Sieg schämen?

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"Erschreckend" empfand Patrick Reimer viele Kommentare im Netz. "Sicherlich war es nicht die gewünscht dominante Vorstellung. Aber das wissen die Jungs bestimmt auch selbst", sagte der Kapitän der Nürnberg Ice Tigers. Reimer war 2018 Teil jener Mannschaft, die sensationell die Silbermedaille gewonnen hatte, und erinnerte daran, dass auch damals in der Gruppenphase wenig rund lief. Mit etwas mehr Gelassenheit könnte man sogar unterstellen, dass die deutsche Mannschaft versucht, möglichst genau die Spiele von Pyeongchang nachzustellen. Damals, als noch keiner ahnte, dass die Reise ins Finale führen sollte, starteten sie mit einem herben 2:5 gegen Finnland - diesmal: 1:5 gegen Kanada - und mühten sich zu einem 2:1 nach Penaltyschießen gegen Norwegen - diesmal: 3:2 gegen China. Um die Kopie perfekt zu gestalten, fehlte eine knappe Niederlage gegen den dritten Gruppengegner, damals Schweden (0:1).

Das deutsche Team will eigentlich um die Medaillen spielen

Am Sonntag gegen die USA, tags zuvor 4:2-Sieger gegen Kanada, beendeten die Deutschen ihr Kopistenwerk mit einem 2:3 (1:1, 0:1, 1:1) auf Platz drei der Gruppe A. "Wir haben unser bestes Spiel gemacht im Turnier, das war ein großer Schritt in die richtige Richtung", sagte Verteidiger Holzer im ZDF. "Wir brauchen uns vor keinem verstecken. Wenn wir so spielen, können wir auch unseren Erwartungen gerecht werden." Gegner in der Qualifikation zum Viertelfinale am Dienstag ist die Slowakei.

Schon vor der Partie gegen die USA war klar, dass das deutsche Team in die Qualifikationsrunde muss. Der Zeitplan bei Olympia ist eng getaktet, wer um die Medaillen spielen will, hat bis zu sieben Partien innerhalb von elf Tagen vor der Brust. Und um die Medaillen spielen wollen die Deutschen, das hatten die Nachfahren der "Silberhelden" von Pyeongchang nachdrücklich betont. Selbst Bundestrainer Toni Söderholm, ein bodenständiger Finne, für den es die ersten Olympischen Spiele sind, hatte vor dem Abflug gesagt, er wolle aus Peking etwas mitnehmen, und zwar "nicht nur meine Klamotten". Es gilt also, die Kräfte einzuteilen, ohne in den Schongang zu verfallen.

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Söderholm hatte seine Reihen dezent neu komponiert, die auffälligste Veränderung hatte er im Tor vorgenommen. Gegen die USA, in Abwesenheit der NHL-Profis eine Auswahl von College-Spielern - wie 1980, als die US-Boys gegen die UdSSR das "Miracle on Ice" wirkten und Olympiasieger wurden - rückte für den Berliner Mathias Niederberger der Münchner Danny aus den Birken zwischen die Pfosten, der Final-Goalie von 2018, inzwischen knapp 37 Jahre alt. Außerdem kam Stürmer Lean Bergmann, 23, der Jüngste im DEB-Kader, zu seinem Olympia-Debüt.

Bei Deutschland schleichen sich Unkonzentriertheiten ein

Nach zwei Minuten führten die Deutschen durch Patrick Hager, der erste Überzahl-Treffer für das DEB-Team bei diesem Turnier. Ein verheißungsvoller Beginn. Zweieinhalb Minuten später hatte dann Steven Kampfer Platz und Zeit, diesmal waren die Amerikaner in Überzahl, und jagte den Puck in den Winkel, aus den Birken war die Sicht verstellt. Alles zurück auf Los.

Musste zwischendurch behandelt werden: Marcel Brandt. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Die Anfangsphase war geprägt von Strafzeiten gegen beide Teams, was ein Zeichen von Übermotivation sein kann - oder von mangelnder Ernsthaftigkeit. Schmerzhaft war der Beginn für Marcel Brandt, der von einem Schlagschuss im Unterleib getroffen wurde und erst mal auf dem Eis liegenblieb. Die Abkühlung tat gut, Brandt sowieso, dem Spiel auch. Zum Durchschnaufen blieb sonst nicht viel Zeit. Das US-Team griff früh und zumeist mit zwei, manchmal drei Mann die deutschen Verteidiger an, die Deutschen begegneten dem amerikanischen Ungestüm mit hoher Laufbereitschaft und dem Bemühen um eine bessere Abstimmung, vor allem in der Defensivarbeit. Aber nicht alles im Eishockey lässt sich steuern wie die körperliche Belastung. Weil aus den Birken im Getümmel vor seinem Tor den Schläger verlor, war der Weg frei zur Führung für die USA durch Matt Knies (25.). Der Protest der deutschen Bank wegen angeblicher Torwartbehinderung blieb erfolglos.

Der Treffer zeigte Wirkung, dem deutschen Spiel fehlte nun die Zuspitzung. Nennenswerte Torchancen hatte das Team von Söderholm bis zum Ende des zweiten Drittels nicht mehr. Und allmählich schlichen sich die Unkonzentriertheiten zurück in die deutschen Reihen. Ein schlampiges Abspiel von Jonas Müller verwertete Nathan Smith schnörkellos zum 3:1 (43.) für die USA, die lustvoll weiter attackierten und den deutschen Spielaufbau zumeist im Ansatz abwürgten. Der Einsatz aber stimmte weiterhin beim DEB-Team, und er wurde belohnt: Tom Kühnhackl verkürzte 2:29 Minuten vor dem Ende auf 2:3. Söderholm nahm aus den Birken vom Eis, die Deutschen versuchten mit einem zusätzlichen Feldspieler noch den Ausgleich zu erzwingen, doch die USA retteten den Vorsprung über die Zeit.

Am Dienstag muss Söderholms Mannschaft also in ein K.-o.-Spiel, wie 2018. Damals war der Gegner die Schweiz. Damals siegte das Team von Marco Sturm nach Verlängerung 2:1 und zog ins Viertelfinale ein. Eine brauchbare Vorlage.

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