DEB-Team startet mit Niederlage:Ernüchterung auf Eis

DEB-Team startet mit Niederlage: Spielende nach fünf Minuten: Nachdem ihn der Kanadier Eric O'Dell grenzwertig zu Boden gerammt hatte, kehrte der Düsseldorfer Marco Nowak nicht mehr auf das Eis zurück.

Spielende nach fünf Minuten: Nachdem ihn der Kanadier Eric O'Dell grenzwertig zu Boden gerammt hatte, kehrte der Düsseldorfer Marco Nowak nicht mehr auf das Eis zurück.

(Foto: Petr David Josek/AP)

Die deutschen Eishockeyspieler erleben zum Auftakt eine unerwartet deutliche 1:5-Niederlage gegen Kanada. Der selbsternannte Medaillenkandidat muss sich erheblich steigern - aber die Vergangenheit macht Hoffnung.

Von Johannes Schnitzler

Er habe "intensive Tage" erlebt in der ersten Woche in Peking, sagte Eishockey-Bundestrainer Toni Söderholm vor dem ersten Auftritt seines Teams bei diesen Winterspielen, die ja auch für ihn eine olympische Premiere sind. Erst gingen ihm vorübergehend mehrere Spieler verloren, weil sie bei der Ankunft positiv auf das Coronavirus getestet worden waren oder vor dem Abflug nicht genug Negativtests vorweisen konnten; dann erfolgte die erste Kontaktaufnahme mit der Eisfläche in der Wukesong Arena und die Erkenntnis: klein, weich, gewöhnungsbedürftig. Und für Donnerstag stand dann gleich zum Auftakt das Duell mit Kanada auf dem Programm, mit dem Rekord-Olympiasieger.

Vor diesem geschichtsträchtigen Duell konnte der Finne immerhin einige Häkchen auf seiner Liste setzen. Der Kader war vollzählig, bis auf die Profis, die in der nordamerikanischen NHL angestellt sind und recht kurzfristig nicht für Olympia freigegeben wurden. Und an die Eisfläche, die noch in Erwartung der Profis aus der NHL nach den dortigen Maßstäben angelegt worden war, hatten sie sich im einzigen Test gegen die Slowakei (5:3) herangetastet. "Es wird wichtig sein, freies Eis zu finden", sagte Söderholm, es werde eng zugehen, auch in den Resultaten. Denn ohne NHL-Spieler "ist die Lücke zwischen den Mannschaften nicht so groß". Die ersten Spiele in Peking lieferten scheinbar den Beweis: Die Russen gewannen gegen die Schweiz 1:0, Schweden gegen Lettland 3:2.

Am Donnerstagnachmittag wurde es dann etwas deutlicher als erwartet. Die Mannschaft des Deutschen Eishockey-Bundes verlor 1:5 (0:3, 1:1, 0:1). Die in Schwarz gekleideten Kanadier hatten überraschend viel freies, weißes Eis vorgefunden. "Wir waren zu hektisch und haben den Kanadiern zu viel Platz gelassen", sagte Stürmer Tobias Rieder, der Schütze des einzigen deutschen Treffers.

Am meisten überrascht von der kanadischen Freiheit wirkten die Deutschen. Das Fehlen der NHL-Profis betrifft ja nicht nur sie, die unter anderem auf ihren Besten, Leon Draisaitl, verzichten müssen. Am härtesten traf das NHL-Veto die Kanadier. Der hurtig zusammengebastelte WM-Kader des Weltranglistenersten rekrutiert sich überwiegend aus Routiniers, die in Europa ihr Geld verdienen, in der Schweiz, in Schweden, in der russisch verwalteten KHL, aus Spielern vom College, aus den Farmteams der großen Klubs und aus ein, zwei Top-Talenten. Kurz vor dem Turnier musste der Verband Hockey Canada auch noch seinen Trainer auswechseln, weil sich Claude Julien, 61, bei einem Trainingssturz verletzte. In Morgan Ellis (Berlin), Landon Ferraro (Köln) und Ben Street (München) gehören auch drei Profis aus der Deutschen Eishockey Liga zum Aufgebot, von denen am Donnerstag aber nur Street mitwirkte (von dem noch zu reden sein wird). Und doch wirkten die Kandier eingespielter.

In der fünften Minute klingelte es gleich zwei Mal: Erst rammte Eric O'Dell den Düsseldorfer Marco Nowak grenzwertig zu Boden. Dann, während die Deutschen noch überlegten, ob das nicht ein Foul war (Tendenz: eher ja), schlenzte Alex Grant den Puck zum 1:0 für Kanada ins Tor.

Es werde darauf ankommen, in den Ecken hart zu arbeiten und den Puck über die Bande sauber aus dem eigenen Drittel zu spielen, hatte Söderholm gesagt. Und die Kanadier arbeiteten hart in den Ecken, sie spielten clever über die Bande. In der zehnten Minute traf der Münchner Ben Street nach einem kanadischen Puckgewinn in der deutschen Zone zum 2:0. Ausgerechnet Street, werden sich die Münchner Teamkollegen gedacht haben.

Der Turniermodus erlaubt selbst bei drei Niederlagen noch ein Weiterkommen

Vor vier Jahren in Pyeongchang hatte die deutsche Mannschaft gegen Kanada eine Sternstunde erlebt. 4:3 schlug das DEB-Team im Halbfinale den Favoriten, und wer das Spiel damals gesehen hat, zweifelt bis heute, ob Tore wie das 3:0 durch Frank Mauer, der einen perfekten Konter mit einem Schuss durch die Beine vollendete, wirklich so gefallen sein können. Die oft zitierten Geschichtsbücher lassen eigentlich keinen Zweifel zu, aber es war fast zu schön. Auch bei der WM 2021 bezwang Söderholms Mannschaft auf dem Weg ins Halbfinale die Kanadier, 3:1. Aus diesem WM-Kader sind nun 21 Spieler in Peking wieder dabei, zehn standen bereits 2018 auf dem Eis. Den Bonus des Überraschungsteams hat Deutschland verspielt. "Die anderen wissen schon, wer da kommt", sagte Sportdirektor Christian Künast. Und diese anderen erweckten den Eindruck, dass sie sich sehr genau an die jüngere Vergangenheit erinnern. 32 Sekunden nach dem 2:0 erhöhte Daniel Winnik auf 3:0, gerade einmal zehn Minuten waren da gespielt. "Es ist natürlich schwierig, wenn man drei schnelle Gegentore bekommt, gegen so eine Mannschaft zurückzuschlagen", sagte Rieder. "Am Ende war nicht mehr drin." Erst drei Strafzeiten gegen Ende des ersten Drittels nahmen Kanadas Offensive die Wucht.

2010 hatte das DEB-Team bei Olympia in Vancouver 2:8 gegen Kanada verloren, 0:10 gar bei der WM 2015, daran erinnerten sich die Pessimisten nun mit Schaudern. So weit wollte es der selbsternannte Medaillenkandidat diesmal nicht kommen lassen. Die besseren Chancen besaß weiterhin Kanada, Torhüter Mathias Niederberger verhinderte bei einem Solo von Adam Tambellini gar das 0:4. Doch dann verkürzte Rieder plötzlich und unerwartet im Nachschuss auf 1:3 (31.). Jetzt würden die Deutschen ihren berüchtigten Kampfgeist beschwören und die Aufholjagd starten, hofften die Optimisten. Dann wuchtete der Zürcher Maxim Noreau den Puck in Überzahl zum 4:1 (33.) ins Netz. Niederberger hatte freie Sicht auf den Schützen, aber keine Chance einzugreifen. Verkniffene Gesichter auf der deutschen Bank. Und die Mienen hellten sich nicht auf: Jordan Weal (52.) traf im letzten Drittel, von drei deutschen Spielern umringt, aber nicht bedrängt.

Die deutsche Mannschaft wird an diesem 1:5 zu knabbern haben, vor allem Marco Nowak, der nicht mehr aufs Eis zurückkam. Der Turniermodus erlaubt selbst bei drei Niederlagen in den Gruppenspielen noch ein Weiterkommen, am Samstag gegen China und am Sonntag gegen die USA hat die Mannschaft weitere Chancen, zueinander zu finden. "Wir haben die Gruppenphase, um uns zu entwickeln", sagt Söderholm. Und steigern werden sie sich müssen. Auch 2018 starteten die Deutschen übrigens mit einer ernüchternden 2:5-Niederlage gegen Finnland ins Turnier. Der Rest ist Geschichte.

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