Eishockey bei Olympia:Gold, Silber oder Bronze - noch Fragen?

Eishockey bei Olympia 2018: Deutschland schlägt Schweden im Halbfinale

Olympia 2018: Die DEB-Auswahl schafft die Sensation, schlägt Kanada im Halbfinale 4:3 und gewinnt die Silbermedaille.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)

In Peking wollen die deutschen Eishockeyspieler eine Medaille holen, mindestens - doch seit Silber in Pyeongchang ist auch die Fallhöhe gestiegen.

Von Johannes Schnitzler

Dass Toni Söderholm gerne kocht (und isst), sieht man dem kantigen Mann aus Kauniainen nicht an. Das Schnippeln und Parieren, das Montieren und Dressieren macht dem 43-Jährigen aber offenkundig Freude. Das Magazin Dump & Chase lud er einmal in seine private Küche ein und ließ sich bei der Zubereitung von Hackbällchen über die Schulter schauen, einem Gericht, das sich praktisch vorbereiten lässt. Denn was der Hobbykoch Söderholm nicht mag: Wenn er zu Tisch ruft und niemand kommt.

Dem Eishockey-Bundestrainer Toni Söderholm wird eine gewisse Akribie nachgesagt. Wenn ein Turnier beginne, müsse alles bereitliegen, am besten so, dass die Spieler auch ohne ihn wüssten, was zu tun sei, sagt Söderholm. Mis en Place gewissermaßen. Doch ob einer sein Handwerk beherrscht, zeigt sich hier wie dort oft erst dann, wenn es plötzlich brennt.

Eishockey-Bundestrainer Toni Söderholm

Eishockey-Bundestrainer Toni Söderholm.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Als die deutsche Nationalmannschaft am Mittwoch vergangener Woche Richtung Peking abhob, durfte Verteidiger Korbinian Holzer nicht mit in den Flieger steigen, weil ihm nach seiner Corona-Infektion noch die nötige Zahl an negativen Tests fehlte; als die Mannschaft in Peking ankam, galten drei Spieler als coronapositiv. Feueralarm im deutschen Tross?

Eines habe er in der Pandemie gelernt, sagt Söderholm: "Man muss die Konzepte mehr mit dem Bleistift schreiben als mit einem Kugelschreiber."

Söderholms bisherige Bilanz als Bundestrainer ist die Bilanz einer ständigen Improvisation. Als er nach der WM 2018 das Amt von Marco Sturm übernahm, hatte der Deutsche Eishockey-Bund gerade den größten Erfolg seiner Geschichte gefeiert: Silber bei den Spielen in Pyeongchang. Damals durfte man von einer Sensation sprechen. Söderholm, als Spieler mit Finnland einst WM-Zweiter, deutscher Meister mit dem EHC Red Bull München, war zu der Zeit als Trainer ein nahezu unbeschriebenes Blatt, verantwortlich für den soeben von der zweiten in die dritte Liga relegierten SC Riessersee.

Dass es mit ihm dennoch passen könnte, zeigte die WM 2019, trotz der Niederlage im Viertelfinale gegen Tschechien. Dieses 1:5 nagte lange an Söderholm, gerade weil dieses Spiel gezeigt hatte, dass mehr möglich gewesen wäre. Die WM 2020 wurde wegen Corona abgesagt, den Deutschland Cup im November verpasste Söderholm selbst wegen einer Infektion. Die vielen Einschränkungen wegen der Pandemie machten Besuche in den Stadien über Monate unmöglich. "Wie schaut es aus: das Licht, die Luft, die Farben? Das fehlt mir", erzählte Söderholm von dieser Zeit, "das beschränkt auch meine Kreativität." Wie ein Koch, der sich gern beim Gang über den Markt inspirieren lässt und nun seine Zutaten nur virtuell begutachten kann.

"Die Jungs sind bereit für den nächsten Schritt, etwas Großes zu erreichen"

Söderholm vertraute auf ein finnisches Grundrezept - Teamgeist, klare Rollenzuteilung, Disziplin auf dem Eis, Lockerheit in der Kabine - und bewies im vergangenen Jahr in Lettland, dass seine Mischung aufgeht: Deutschland erreichte zum ersten Mal seit 2010 ein WM-Halbfinale und musste sich dem damaligen Weltmeister Finnland nur hauchdünn 1:2 geschlagen geben. Die erste deutsche WM-Medaille seit 1953 war noch immer möglich, gegen die USA aber war die Mannschaft mental leer. "Wir waren der Medaille gestern näher als heute", sagte Söderholm nach dem 1:6 im Spiel um Platz 3. Bei den Spielern flossen Tränen, Kapitän Moritz Müller sagte, eine Mannschaft mit einem Charakter wie diese sei nicht oft zu finden. Das Gefühl, dass mehr möglich wäre, es wurde noch stärker. Jetzt, sagt Söderholm, "sind die Jungs bereit für den nächsten Schritt, etwas Großes zu erreichen. Egal gegen welchen Gegner, wir diktieren, was auf dem Eis passiert."

2018 nannten die Nationalspieler ihre interne Whatsapp-Gruppe heimlich "Mission Gold". 2022 reden sie ganz offen von einer Medaille. Müller sagte am Mittwoch dem ZDF: "Wenn ich schon mal hier bin, will ich gewinnen." Das Turnier? "Ja."

Zur Erinnerung: Deutschland hatte vor 2018 exakt zwei olympische Eishockey-Medaillen gewonnen: 1976 in Innsbruck (Bronze) - und 1932 in Lake Placid (Silber). Woher dieser Kulturwandel?

Um die Antwort auf diese Frage zu finden, muss man noch einmal ein paar Jahre zurückgehen. Die Olympischen Spiele 2014 hatte die deutsche Mannschaft verpasst, 2015 löste Marco Sturm Pat Cortina als Bundestrainer ab. "Marco hat uns den Glauben gegeben, dass wir etwas gewinnen können", hat Moritz Müller einmal erzählt, und das "muss man als Deutscher erst mal verstehen". Jahrzehntelang war die DEB-Auswahl von Erfolgen nicht gerade bedrängt worden. Dann kam Sturm und trieb der Mannschaft mit seiner in mehr als 1000 Spielen in der nordamerikanischen Profiliga NHL erlernten Zuversicht die Selbstzweifel aus. In Pyeongchang stand das Wort "Believe" in der Kabine, Glaube. Und mit jedem Sieg wuchs die Überzeugung. Sturms Team schlug die Schweiz in der Verlängerung 1:0, besiegte Weltmeister Schweden nach Verlängerung 4:3 und mit demselben Ergebnis Kanada, ach was, die Deutschen führten den Rekordweltmeister streckenweise vor. Im Finale gegen Russland fehlten nur 55,5 Sekunden zu Gold, aber es dauerte keine 55,5 Sekunden, bis sie begriffen hatten: Wir haben mehr gewonnen als Silber!

Olympia 2022: Training der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft

Vorbereitung auf das erste Spiel gegen Kanada: Die deutsche Mannschaft beim Training in der Wukesong Arena von Peking.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Wenn an diesem Donnerstag (14.10 Uhr/ZDF und Eurosport) zum Auftakt der Spiele in Peking wieder Kanada wartet, ist die Fallhöhe deutlich gestiegen. Deutschland ist in der Weltrangliste auf Platz fünf geklettert, vor Tschechien, Schweden und der Schweiz. Aber auch das Selbstvertrauen ist gewachsen.

Sturm hat der Mannschaft den Glauben geschenkt, Söderholm wie ein Evangelist die Botschaft vertieft. "Er hat uns noch einmal weiter entwickelt. Wir sind jetzt in der Lage, große Nationen zu bespielen und nicht nur dagegenzuhalten", sagte Moritz Müller der dpa. Zwar fehlen die besten Spieler, weil die NHL ihre Profis wegen des Corona-Risikos für Olympia nicht freigibt. Mit Leon Draisaitl und Torhüter Philipp Grubauer stehen Söderholm insgesamt acht Spieler nicht zur Verfügung. Aber dann wird eben mit den Zutaten gekocht, die man zur Hand hat. Auch 2018 und 2021 fehlten die NHL-Profis. Nun sind von den 25 Spielern aus dem WM-Kader von Lettland 21 in Peking wieder dabei, zehn standen bereits in Pyeongchang auf dem Eis. Spieler, die wüssten, was sie zu tun haben, wie Söderholm sagt. Die Rechnung laute: "Eins plus eins ist mehr als zwei."

In einer seiner letzten Ansprachen vor dem Abflug zeigte Söderholm seinem Team noch einmal, worum es geht. "Kurz und knackig: So sieht der Preis aus", sagte Söderholm - und warf nur ein einziges Bild an die Kabinenwand. Darauf zu sehen waren drei Medaillen: Gold, Silber, Bronze. "Fragen?" Es gab keine. "Gut!" Applaus.

Die Szene aus der ZDF-Reportage demonstrierte, was Team und Trainer eint: Vertrauen und Wertschätzung füreinander. "Toni ist immer ehrgeizig, er will immer das Maximale erreichen. Das überträgt sich natürlich auf die Mannschaft", sagt Verteidiger Holzer, der ebenso wie die drei zunächst positiv Getesteten mittlerweile beim Team ist. Kapitän Müller fordert: "Es muss alles dafür getan werden, dass er bleibt." Söderholm sei "mit Abstand die wichtigste Personalie beim DEB." Doch ob er seinen im Sommer auslaufenden Vertrag verlängert, hat Söderholm noch nicht erklärt. Er werde seine Entscheidung erst nach den Olympischen Spielen treffen, aber noch vor der Weltmeisterschaft im Mai in Finnland. "Ich weiß sehr genau, wo ich sportlich hin will." Aber er müsse "einfach wissen, wo der Verband steht".

DEB-Präsident Franz Reindl

Tritt er noch einmal an? Die Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren gegen DEB-Präsident Franz Reindl eingeleitet.

(Foto: Tobias Hase/dpa)

Eine der offenen Fragen lautet, ob Franz Reindl, 67, nach seiner gescheiterten Kandidatur für den Vorsitz des Weltverbands IIHF noch einmal als DEB-Präsident antritt. Wie eine Sprecherin der SZ betätigte, hat die Staatsanwaltschaft München I gegen Reindl "aufgrund einer Strafanzeige ein Ermittlungsverfahren eingeleitet", es geht um mögliche verdeckte Zahlungen aus Reindls Zeit als bezahlter Geschäftsführer der DEB GmbH, auch der Vorwurf der Insolvenzverschleppung steht im Raum. Ergebnisse einer auf Druck der DOSB-Ethikkommission eingeleiteten und vom DEB beauftragten Untersuchung liegen bislang nicht vor. Die Mitgliederversammlung des DEB tritt am 7. Mai zusammen, zwei Wochen vor Beginn der WM in Finnland. Solange muss Söderholm seine Zukunftspläne wohl mit Bleistift schreiben.

Zur SZ-Startseite

Lena Dürr
:Olympiasiegerin bis zur letzten Zwischenzeit

Ein paar Hundertstelsekunden zwischen Gold und Platz vier: Lena Dürr erlebt nach einer Karriere voller Wendungen, dass knappes Scheitern noch immer das bitterste ist.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: