Eishockey bei den Olympischen Spielen:Roter Drache mit kanadischem Akzent

Eishockey bei den Olympischen Spielen: Gekommen, um Pionierarbeit zu leisten: Tyler Wong und Brandon Yip alias Wang Taile und Ye Jinguang treten für China bei den Olympischen Winterspielen an. Gegen die USA war das Team des Gastgebers dennoch chancenlos.

Gekommen, um Pionierarbeit zu leisten: Tyler Wong und Brandon Yip alias Wang Taile und Ye Jinguang treten für China bei den Olympischen Winterspielen an. Gegen die USA war das Team des Gastgebers dennoch chancenlos.

(Foto: Grigory Sysoev/SNA/Imago)

Deutschlands Gruppengegner China ist im Eishockey international nicht konkurrenzfähig. Das soll sich ändern - dank Ahnenforschung und großzügiger Einbürgerungsverfahren.

Von Johannes Schnitzler

Urahn aller Menschen, Symbol von Stärke und Macht: In der chinesischen Mythologie spielt der Drache eine zentrale Rolle. Der für die Olympischen Winterspiele errichtete Eiskanal in Yanqing, der rund 2,5 Milliarden Dollar verschlungen haben soll, ist mit seiner 360-Grad-Kurve der Form eines auf einem Bergrücken schlafenden Lindwurms nachempfunden. Chinas Kaiser residierten einst auf dem Drachenthron. Bis heute hält sich im Land der Glaube an Drachengötter.

So wie Menschen beim Blick in den nächtlichen Sternenhimmel Tiere und Fabelwesen erkennen, lassen sich nach der Lehre des Fengshui (und mit ein bisschen Fantasie) bei der Draufsicht auf das tibetische Hochland gleich mehrere Drachen erkennen, die sich von Westen her in das Reich der Mitte schlängeln. Tatsächlich handelt es sich um die Höhenzüge des Kunlun, eines rund 3000 Kilometer langen, 7000 Meter hohen Gebirges, nach jahrtausendealter Überlieferung ein Ort der Unsterblichkeit. Der britische Autor James Hilton war Anfang der 1930er-Jahre davon so fasziniert, dass er in seinem Roman "Lost Horizon" dort das paradiesische Shangri-La ansiedelte (dass es sich dabei um Hiltons Fiktion handelt, ignorieren westliche Ostasien-Romantiker hartnäckig).

Als die russischen Organisatoren der osteuropäischen Eishockey-Liga KHL vor sechs Jahren beschlossen, nach China zu expandieren, wählten die Besitzer der neuen Franchise also einen angemessenen Namen für das kommende beste Team des Landes: Kunlun Red Star. Das Logo zeigt einen Drachen, der einen roten Stern in seinen Klauen hält.

Die offizielle Aufnahme von Kunlun Red Star in die KHL im Juni 2016 glich einem Staatsakt. Zur Vertragsunterzeichnung erschienen der russische Präsident Wladimir Putin - ein erklärter Eishockeyfreund - und der chinesische Präsident Xi Jinping. Wegen der Pandemie trug der eigentlich in Peking beheimatete Klub seine Heimspiele zuletzt ein paar Kilometer nördlich von Moskau aus.

Torhüter Paris O'Brien heißt jetzt Ouban Yongli

Im globalen Sport spielt Chinas Eishockey keine Rolle. Die Frauen stehen in der Weltrangliste auf Platz 19, die Männer, an diesem Samstag zweiter Gegner der deutschen Nationalmannschaft bei den Winterspielen in Peking, dümpeln auf Platz 32, zwischen Spanien und Australien, zwischen Ambition und Bedeutungslosigkeit. Der Weltverband IIHF und das IOC erwogen sogar, den Gastgeber vor einer Blamage zu schützen und ihn aus dem Turnier zu nehmen. "Einem Team zuzusehen, das 0:15 geschlagen wird, ist für niemanden gut, nicht für China und nicht für das Eishockey", sagte IIHF-Präsident Luc Tardif. Stattdessen recycelten die Sportfunktionäre des Landes eines Idee, die auch in der realen Wirtschaft prächtig funktioniert: Man importierte ausländisches Knowhow und gab es als Original aus.

Weltweit fahndete der Klub nach Spielern mit chinesischen Wurzeln, und seien diese noch so tief verschüttet. Vor allem in Nordamerika wurde man fündig. Zehntausende Chinesen waren im 19. Jahrhundert ausgewandert, um in den USA im Eisenbahn- und Bergbau zu schuften oder weiter nördlich in Kanada ihr Glück im Goldrausch zu suchen. Die späten Nachfahren dieser Migranten steckte man ins rot-gelbe Trikot von Kunlun Red Star - und erklärte sie vor wenigen Wochen auch gleich zur Nationalmannschaft. Das Team tritt nun für China bei den Olympischen Spielen an.

Die Regeln von IOC und IIHF wurden dafür liberal interpretiert und die Spieler großzügig eingebürgert: ein Kotau vor dem Gastgeberland. So heißen die in Edmonton/Kanada aufgewachsenen Brüder Spencer und Parker Foo - zwei Spieler aus der College-Liga NCAA - nun Fu Jiang und Fu Shuai, auf dem Trikot von Torhüter Paris O'Brien aus Coquitlam/British Columbia steht Ouban Yongli, sein Kollege Jeremy Smith hört auf den vergleichsweise vertraut klingenden Namen Jieruimi Shimisi. Ein Zaubertrick wie aus dem Chinesischen Staatszirkus.

Das erste Spiel gegen die USA endet 0:8

Von den 25 Mann im Kader stammen 15 aus Kanada und USA, einer aus Russland, Denis Ossipow (Dannisi Aoxibofu). Die Kabinensprache ist Englisch mit kanadischem Akzent. Die Bekanntesten sind Brandon Yip, 36, alias Ye Yinguang, geboren im kanadischen Vancouver, 2015 deutscher Meister mit Adler Mannheim, und Jake Chelios/Jieke Kaliaosi, 30, der Sohn von Chris Chelios, der nach 26 Jahren in der nordamerikanischen Profiliga NHL in den Shangri-La-artigen Status einer lebenden Legende übergetreten ist.

In der Liga schimmert der Rote Stern von Kunlun freilich eher matt. Mit nur neun Siegen bei 39 Niederlagen ist das Team abgeschlagen Letzter. Kleiner Trost: Die 9 steht in der chinesischen Zahlensymbolik für den Drachen.

Auch bei Olympia gilt das Team als chancenlos. Das erste Spiel am Donnerstag gegen die USA endete 0:8. "Das war ganz schön surreal", räumte Torhüter Smith/Shimisi hinterher ein. "Wir sind Außenseiter", sagt Ivano Zanatta, 61.

Der Italo-Kanadier fungiert seit dieser Saison in Personalunion als Klub- und Nationaltrainer. "Wir wissen, dass wir nicht zu den zwölf stärksten Teams der Welt gehören. Aber wir werden tun, was wir können." Seine Spieler sollen wie ihre Vorfahren Pionierarbeit leisten, aus den zarten Wurzeln etwas Großes gedeihen lassen. "Wir wollen, dass China als vollwertiges Mitglied der internationalen Eishockey-Gemeinschaft anerkannt wird." Was die Ergebnisse bei Olympia angehe, nun, sagt Zanatta: "Wir werden versuchen, unsere Gegner zu überraschen."

Die Mannschaft von Bundestrainer Toni Söderholm, mit dem Ziel angereist, wie 2018 eine Medaille zu holen, sollte sich an diesem Samstag (9.40 Uhr) im Duell mit China keine weitere Blöße geben nach dem humorlosen 1:5 gegen Kanada. "Das war nicht der Start, den wir uns erhofft hatten", sagte Kapitän Moritz Müller. "Aber es ist ein langes Turnier." Patrick Hager, wie Müller einer von zehn Silbermedaillengewinnern von 2018 im Team, sagt: "Es ist ein Prozess, wir haben es vor vier Jahren gesehen." Damals starteten die Deutschen mit einem 2:5 gegen Finnland. "Turniere werden nicht in einem Spiel gewonnen", erklärt Hager. "Wir wissen, dass wir hier jeden Gegner schlagen können." Die Partie gegen die USA am Sonntag (14.10 Uhr) wird darüber entscheiden, ob das DEB-Team direkt ins Viertelfinale einziehen kann oder ob es sich in einem K.-o.-Spiel dafür qualifizieren muss. Vorher müssen sie nur den kleinen roten Drachen zähmen.

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