Olympia:Doping? Doch nicht die Superstars!

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Nachträglich positiv getestet: Sprinter Nesta Carter, der 2008 mit Jamaikas 4x100-Meter-Staffel zu Gold lief.

(Foto: AFP)

98 Betrugsfälle wurden nach den Olympischen Spielen in Peking und London aufgedeckt. Die Doping-Nachtests sind sinnvoll, haben aber auch einen großen Haken.

Kommentar von Thomas Kistner

Im Sport gilt ja seit Kurzem die politische Faustregel: Was immer Witali Mutko, lange Zeit Russlands oberster Sportadministrator und noch immer Organisationschef der Fußball-WM 2018, an Kontrollinstrumenten für verzichtbar hält, sollten Betrugsermittler ganz besonders forcieren.

Als 2016 die Doping-Nachtests zu den Spielen 2008 in Peking und 2012 in London erste verheerende Resultate zeigten, fand es Mutko total unfair, dass man Betrüger (wie seine Sportler) auf die Art nachträglich überführt: Wer durchging bei Olympia, der sollte für immer unbehelligt bleiben. Ein origineller Fair-Play-Gedanke. Demnach gehört zum Beispiel in der Polizeiarbeit der Abgleich alter Täterspuren mit modernen Datenbanken verboten. Schließlich ist es ja so, dass die armen Verbrecher, als sie ihre Delikte begingen, gar nicht wissen konnten, dass man sie später via DNA-Nachweis überführen könnte. Total unfair, oder?

Im Prinzip sind Nachtests von großem Wert. Es gibt sie seit 2004 in Athen, damals sorgte aber die Zögerlichkeit des Internationalen Olympischen Komitees noch für mehr Wirbel als das Sünder-Register. Nach Peking 2008 wurden Nachtests in hoher Zahl unumgänglich. Auch, weil das IOC die Superhelden Usain Bolt (sein Stern ging dort auf) und Seriensieger Michael Phelps als "Ikonen der Spiele" rühmte - während beim Publikum der Zweifel rekordreif anstieg. Allein in Deutschland glaubte in zwei unabhängige Meinungsumfragen nur eine Minderheit, die Pekinger Wunderleistungen seien sauber erzielt worden. Der Druck wuchs. Das IOC versprach, die Proben einzufrieren und 2016 nachzutesten.

Neun der zehn Schnellsten der Sprinthistorie sind dopingbelastet

Das geschieht nun mit 1243 Proben. Das Sündenregister ist erschütternd: 98 Fälle sind bisher bekannt, 61 aus Peking und 37 aus London. Weil der ganz überwiegende Teil aus Russland und Satellitenländern stammt, verschafft die Causa Nesta Carter dem IOC jetzt eine Atempause: Na bitte, wir scheuen uns nicht, mit Carters Landsmann Bolt den Größten aller Zeiten in Mithaftung zu nehmen. Das dimmt das Moskauer Westverschwörungs-Gerede ein wenig runter.

Dank des Falles Carter sind jetzt neun der zehn Schnellsten der Sprinthistorie dopingbelastet. Nur noch der Allzeit-Beste gilt als sauber - lässt sich schöner beweisen, dass es ohne Doping doch besser geht? Wer keinen Zweifel hegt an Bolts Wundertaten in der durch und durch pharmaversauten Königsdisziplin Olympias, braucht auch nicht länger der Mär anhängen, die Erde sei eine Kugel.

Gerade angesichts der vielen positiven Nachtests fällt auf, dass es keine Superstars trifft. Das offenbart die Haken an der Sache. Zum einen sind viele hocheffektive Dopingstoffe auch nach Jahren nicht detektierbar. Zum anderen tragen die Proben im Labor nur anonyme Codes, die Namen dazu hat allein das IOC. Das ermöglicht, gezielt Sportler für Nachtests auszulesen - und auch, gezielt Proben stecken zu lassen. Sieht man die unglaubwürdige Anti-Doping-Politik des IOC, die statt der Betrugs- nur der Skandalvermeidung dient, ist diese Feststellung unabdingbar. Welches Interesse also sollte das IOC haben, die eigenen Ikonen nachträglich zu stürzen? Der wirtschaftliche Schaden wäre unermesslich.

Nachtests sind gut. Aber glaubwürdig sind auch sie nur, wenn sie von einer unabhängigen Institution geführt werden.

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