Olympia:Die lässige Anfängerin rauscht zu Gold

Bobsleigh - Winter Olympics Day 12

Da waren die Freudentränen schon wieder getrocknet: Mariama Jamanka (rechts) und Lisa Buckwitz posieren für die Fotografen.

(Foto: Clive Mason/Getty Images)

Von Volker Kreisl, Pyeongchang

Als Bob Berlin in die letzte Kurve sauste, als er nur noch drei Hundertstel Rückstand hatte, war allen klar: die Hauptstadt ist auch dabei bei den Spielen. Mariama Jamanka musste ihren FES-Flitzer nur noch frei lassen, durch die Schlusskurve laufen lassen, bis dahin hatte sie den Vorsprung ihrer Kontrahentin getilgt.

Dann war sie mit ihrer Anschieberin Lisa Buckwitz als Olympiasiegerin im Ziel und hatte die Bestzeit nach vier Finalläufen, in denen es wie immer auf dieser Olympiabahn von Pyeongchang hin und her gegangen war zwischen den Favoritinnen: Bis zum letzten Lauf hatten noch fünf Kontrahentinnen Chancen auf eine Medaille. Am Ende gab es natürlich auch Enttäuschte, darunter die Oberbärenburger Pilotin Stephanie Schneider mit ihrer Top-Anschieberin Annika Drazek. Und es gab auf der Sonnenseite des Finales wieder diese Kommentare über die Fassungslosigkeit im Augenblick des Erfolgs: "Ich kann es nicht glauben, dass ich hier gewonnen habe", sagte die Gewinnerin. Oft klingt das nach Phrase, doch bei keinem Goldgewinner dieser Spiele war das so glaubhaft wie bei der Berlinerin Mariama Jamanka und ihrer Berliner Anschieberin.

2013 fing sie mit dem Bobfahren an

René Spies, der Chefcoach der Bobfahrer, hatte zuvor ähnlich geklungen, er sagte, "dass wir hier zur Halbzeit mit zwei Bobs auf Platz eins und Platz drei lagen, war für sich schon ein Märchen". Dass Jamanka nun auch noch dem Druck standhielt, den vierten Lauf perfekt herunterzubringen, "das ist unvorstellbar". Sie hatte damit zwei Weltklassepilotinnen hinter sich gelassen, die Amerikanerin Elana Meyers mit ihrer Anschieberin Lauren Gibbs sowie ihre kanadische Freundin und Bahnrivalin Kaillie Humpries mit Phylicia George. Meyers gewann Silber, Humphries Bronze, beide Pilotinnen haben eine bewegte Bob-Karriere mit mehreren Olympiamedaillen hinter sich. Jamanka war bis vor gut vier Jahren noch nicht einmal in einem Bob gesessen, sie hat bis heute kein Weltcuprennen gewonnen.

Nun saß sie da oben und staunte und durfte sich von Meyers anhören, dass Silber schon okay sei, denn gegen diese "Mariama" sei diesmal nichts zu machen gewesen: "Sie hat sich die Goldmedaille verdient." Ihr Vorsprung war zwar nur minimal, 0,07 Sekunden, und ihr Schlitten vom Sportmaterial-Institut FES lief wie schon bei Francesco Friedrichs Goldfahrt vor zwei Tagen im unteren Streckenabschnitt überragend. Andererseits muss man so einen Vorteil auch erst einmal nutzen als 27 Jahre alte Sportumsteigerin.

Jamanka ist keine ganz blutige Anfängerin, aber sie ist eine Anfängerin. Sie hatte in ihrem Leben schon vieles probiert, was mit Bewegung zu tun hatte, und die Spannweite der Disziplinen lässt auf eine gewisse Offenheit und Neugier schließen. Geboren und aufgewachsen ist sie in Berlin-Reinickendorf. Sie probierte mal Ballett, mal Reiten, mal Cheerleading und wechselte dann zum etablierten Sport. Bei der LG Nord Berlin wollte sie Leichtathletin werden, weil sie aber mit Diskus und Hammer nicht über indiskutable Weiten hinaus kam, schlug ihr Trainer 2013 den Wechsel in ein ganz anderes Milieu vor: in den Bob.

"Man sieht keine Nervosität bei ihr"

Jamanka ist sichtlich offen für alles. Sie probierte das Fahren ein wenig beim SC Potsdam, es machte ihr Spaß, und so zog sie nach Oberhof und ließ sich auf das Abenteuer ein. Mittlerweile ist sie Soldatin der Sportfördergruppe, wohnt in der Kaserne, trainiert fast den ganzen Tag - und vermisst nebenbei die Kneipen, die Nächte und die Besuche bei ihrer Mutter in Berlin.

Trainer René Spies sagt, von allen Fähigkeiten, die eine gute Bob-Pilotin haben muss, habe ihn vor allem die Lässigkeit der Neuen überrascht. "Man sieht keine Nervosität bei ihr", sagt er, auch nicht kurz vor dem Start des vierten, entscheidenden Rennens, eines Rennens, das ihr Leben durchaus verändern kann. Jamanka sagt, als sie da oben saß mit gleichgültigem Gesicht, als alle Gegnerinnen bereits nach unten gefahren waren, da habe sie "eigentlich versucht, an nichts zu denken". Sie habe den Live-Monitor mit den Läufen ihrer Gegnerinnen nicht beachtet, "ich habe nur an mich und meine Anschieberin gedacht".

Über Nacht weltklasse

Sie war ja ohne Druck in diese Situation gerutscht. Beim Weltcup in Königssee hatte sie ihre Anschieberin Annika Drazek verloren, der Verband platzierte die Spitzenkraft in den Bob von Schneider, die ja auch schnell sprinten kann. Die beiden Frauen galten als Favoritinnen, verletzten sich aber im Training von Pyeongchang - Drazek am Sprunggelenk, Schneider am Rücken - und hatten letztlich keine Chance.

Jamanka wurde dagegen mit jedem Lauf sicherer. Sie steuerte vor allem am zweiten Tag sauber durch die kritischen Kurven zwei und neun, gehörte plötzlich über Nacht zur Weltklasse. Sie ist einen weiten Weg gegangen in den vergangenen Jahren, nun ist sie schon am Ziel. Und bald auch wieder auf Heimatbesuch in Berlin.

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