Olympia:Deutschlands erste Medaillenchance

Barbara Engleder, Olympia

"Ich bin ich, und ich bin selber hier": Barbara Engleder will Deutschlands erste Medaille holen.

(Foto: Robert Haas)

Der Premierentag endete für die deutschen Schützen zuletzt oft mit Enttäuschungen. Barbara Engleder will das ändern.

Von Volker Kreisl, Rio de Janeiro

Hin und wieder huscht ein Schatten über den Boden, er stammt von diesen großen schwarzen, am Himmel kreisenden Vögeln. Die Luft ist trocken und das Licht grell im Hinterland von Rio. An der Haltestelle wartet ein Mann in der Mittagssonne auf den Bus, nur wenige Menschen stehen da draußen, drinnen herrscht Konzentration. Barbara Engleder liegt auf der Matte, versunken in ihrer Welt zwischen Diopter, Korn und Ziel, und schießt eine Kugel nach der anderen aus der Halle hinaus auf die schwarze Scheibe.

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Das letzte Training umgibt in allen Sportarten eine besondere Stimmung, in der sich Vorfreude und heimliche Anspannung mischen, aber auf der einsamen Olympia-Schießanlage, 40 Kilometer entfernt vom Hauptpressezentrum, ist diese besonders ausgeprägt. Keine Ablenkung, kein Trubel, keine Cafés gibt es dort, nur Schützen, die zielen und letzte Vorbereitungen treffen, während draußen der trockene Wind durchs Gras streicht. Eine ganz leichte Prise von High Noon ist da schon zu spüren, am Donnerstag vor der Eröffnung der Spiele. Am Samstag wird die erste Medaille vergeben, das ist für alle Schützen ein wichtiger Termin und ein besonderes Thema für die Deutschen.

Sie begegnen diesem Thema betont sachlich. Claus-Dieter Roth, der Bundestrainer Gewehr, sagt: "Das Thema Sonja Pfeilschifter ist abgehakt, dies hier ist eine andere Mannschaft, und die muss sich beweisen." Und Barbara Engleder erklärt, Pfeilschifter, die überragende deutsche Sportschützin der vergangenen Jahre, sei für sie ein Vorbild, "aber das hat nix mit der Person Barbara Engleder zu tun". Sie sagt das noch einmal: "Ich bin ich, und ich bin selber hier."

Bei der WM 2010 gewann Barbara Engleder den Titel

Engleder wird am Samstag die Erste sein, die eine Medaille für die deutsche Olympiagesandtschaft holen kann. Pfeilschifter war das trotz ihrer Fähigkeiten nie gelungen. Die siebenmalige Weltmeisterin war bei fünf Olympia-Teilnahmen am Eröffnungssamstag stets an ihren Nerven gescheitert, womit immer die absurde Warterei begann auf die erste deutsche Medaille, die alle Kollegen anspornen sollte. Aber Engleder ist ja Engleder und nicht Pfeilschifter.

Und sie ist nicht allein, die beiden sind zu zweit, und Selina Gschwandter ist auch Selina Gschwandtner. Engleder, 33, aus Eggenfelden, war schon Weltmeisterin und Europameisterin, Gschwandtner, 22, aus Reischach, war Junioren-Team-Weltmeisterin und Zweite im Einzel. Beide sind offener und suchen mehr den Kontakt zur Außenwelt, als dies Pfeilschifter getan hatte. Sie haben zwar eine Medaillenchance, aber sie sind keine Goldkandidaten.

"Der Druck ist von außen natürlich groß"

Trainer Roth sagt über die Entscheidung im Luftgewehr am Samstag: "Ziel ist es, ins Finale zu kommen." Da treffen sich die acht Führenden der Qualifikation, aber wer es da hineinschafft, sagt Engleder, der ist nicht automatisch besser als die anderen. Ein Patzer, eine falsche Bewegung, ein Fehler beim Nachladen und alles ist vorbei. Engleder stand zweimal in einem Olympia-Finale, in Athen wurde sie Siebte, in London Sechste, und da hätte sie weit mehr erreichen können.

Schießen ist zwar ein Einzelsport, aber Engleder und Gschwandtner wirken nicht wie Einzelgängerinnen. Sie sind verwurzelt in ihrem Dorf, ihrer Schützengemeinschaft und ihrer Familie, und sie plaudern in breitem Bayerisch befreit drauflos. Trotzdem wird dies der eine große Moment, und für Engleder ihr letzter Auftritt bei Olympia, die Anspannung ist also da. Sie weiß, dass eine Medaille nach der jahrzehntelangen Psycho-Geschichte des ersten Olympiasamstags und nach dem medaillenlosen Abschneiden 2012 einschlagen würde. Sie kann es nicht leugnen: "Der Druck", sagt sie, "ist von außen natürlich groß", aber sie will ihm mit klugen Mitteln begegnen, sie hat vor, "das nicht abzublocken, sondern anzunehmen, sonst wird der Druck immer größer und irgendwann zerreißt's mich".

Engleder hat gute Gründe, die sie beruhigen können. Zum Beispiel ihre Wettkampf-Erfahrung und auch ihren WM-Titel, den sie 2010 gegen ein viel größeres Feld von Konkurrentinnen gewann. Ihre Trainingsleistungen in den letzten Einheiten auf der einsamen Schießanlage von Deodoro waren vielversprechend.

Und auch wenn das besondere deutsche Thema immer noch ein bisschen in den Gemütern steckt - die Pfeilschifter-Zeit ist vorbei. Und die schwarzen Vögel, die dort am Himmel wirklich bedrohlich groß aussehen, sind, wenn sie landen, ganz harmlos.

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