Olympia:Deutsche Kanuten paddeln sich frei von all der Last

Rio 2016 - Kanu

Sebastian Brendel jubelte nach seinem Olympiasieg in Canadier-Einer ausgelassen auf dem Podium, bei der Hymne kämpfte er mit den Tränen.

(Foto: dpa)

Deutschlands Bootsportler reagieren erstaunlich auf den Tod Slalom-Trainers Henze. Ein überglücklicher Sebastian Brendel gewinnt Gold im Canadier-Einer - auch die Frauen jubeln.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Der Montag endete für den Deutschen Kanu-Verband mit tiefer Trauer. Der Dienstag begann mit Gold. Nach dem Tod des Kanu-Slalom-Trainers Stefan Henze hatten die Deutschen darum geben, ihre Fahnen an allen olympischen Stätten auf Halbmast zu setzen. Um halb zehn in der Frühe wehte sie aber schon wieder ganz oben. Es lief die Siegerehrung von Sebastian Brendel aus Schwedt in Brandenburg, dem alten und neuen Olympiasieger im Einer-Canadier.

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Brendel jubelte ausgelassen auf dem Podium, bei der Hymne kämpfte er mit den Tränen, danach machte er ein Selfie von sich und den beiden anderen Medaillengewinnern, dem Brasilianer Isaquias Queiroz dos Santos und dem Moldauer Serghei Tarnovschi. Es sah im Grunde alles aus wie immer. Und das sollte es offenbar auch.

Bundestrainer Rainer Kießler hatte seine Athleten noch am Dienstagmorgen dazu angehalten, den Sport und die Trauer zu trennen, "nicht diese Last" mit ins Kanu zu nehmen, sich auf die Wettkämpfe zu fokussieren. "Jeder muss mit dieser Situation fertig werden", hatte er ihnen gesagt.

Brendel wusste, dass er sich auf seinen Schlussspurt verlassen konnte

Wenn Brendel, 28, eine Last dabei hatte, dann war sie ihm jedenfalls nicht anzumerken. Er ließ den sechs Jahre jüngeren Queiroz dos Santos zunächst ein gutes Stückchen davonpaddeln, aus Erfahrung wusste er, dass er sich auf seinen unnachahmlichen Schlussspurt verlassen konnte. Auf halber Strecke, bei der 500-Meter-Marke, deutete sich bereits an, dass sich der Brasilianer, angestachelt vom Publikum, etwas zu früh verausgabt hatte. Am Ende brachte Brendel seinen Vorsprung ganz lässig ins Ziel. "Ich habe hart gearbeitet, ein gutes Rennen gemacht, die richtige Taktik gewählt, dem Brasilianer ein bisschen die Zähne gezogen. Ich bin überglücklich heute", sagte er.

"Wir sind alle sehr glücklich heute, das Wetter ist toll", rief der Stadionsprecher. Dann drehte er bis zum nächsten Rennen wieder seinen Discoparty-Powermix auf.

Kann das denn stimmen, dass alle glücklich waren an diesem Tag? Aus deutscher Sicht stimmte es natürlich nicht. Für den späten Nachmittag wurde zu Ehren Henzes eine Trauerfeier im Athletendorf anberaumt. Dieser Dienstagvormittag hat aber auch gezeigt, wie schnell bei solch einem Sportevent wieder die Medaillenjagd in den Mittelpunkt rückt. Gerade in Kreisen der deutschen Delegation herrschte demonstrative The-Games-must-go-on-Stimmung.

Schwierige Debatte um Trauerflor

Wer etwas Großes leistet, findet Bundestrainer Kießler, der soll sich auch angemessen freuen dürfen. Auch an solch einem Tag. Und wer will Brendel verdenken, dass er sich daran hielt? Er dominiert den Einer-Canadier seit Jahren. Mit seinen 1,92 und Armen groß wie Stechpaddel sieht er nicht nur beeindruckend aus, er hat auch eine beeindruckende Statistik mit nach Rio gebracht. Seit 2013 hat ihn auf dieser Distanz keiner geschlagen. Mit dem entsprechenden Erwartungsdruck muss man erst mal umgehen. Zumal wenn am Morgen des Wettkampfes kein Frühstück runtergeht, weil der Wecker schon um 5.30 Uhr klingelt und kurz vor dem Start auch noch der Rücken zwickt. "Im Ziel sind mir tausend Steine vom Herzen gefallen", gab Brendel später zu Protokoll.

Das deutsche Feiergebot betraf auch Franziska Weber und Tina Dietze, die im Kajak-Zweier über 500 Meter ebenfalls einen Olympiasieg aus London zu verteidigen hatten. Diesmal reichte es zu Silber, knapp hinter den Ungarinnen Gabriella Szabo und Danuta Kozak. Das Duo strahlte trotzdem. "Wir haben ein Super-Rennen abgeliefert", sagte Weber. Sie kündigte an, auf einer "gemäßigten Feier" am Abend mit Orangensaft oder Apfelsaft anzustoßen. Gemäßigt, weil in den kommenden Tagen weitere Rennen auf sie warten.

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Im Pech: Franziska Weber (vorne) und Tina Dietze verpassten im Kajak-Zweier über 500 Meter um fünf Hundertstel Sekunden die Goldmedaille.

(Foto: Tom Pennington/Getty Images)

Auch Brendel hat am Samstag noch eine weitere Medaillenchance, im Canadier-Zweier mit seinem Teampartner Jan Vandrey. Der mischte sich am Dienstagmorgen an der Lagoa Rodrigo de Freitas in den schwarz-rot-goldenen Kanu-Fanblock. Einige hatten dort noch gar nichts vom Tod Henzes mitbekommen. Vandrey natürlich schon. Er sagte: "Ich hätte es schön gefunden, wenn alle deutschen Athleten heute mit Trauerflor angetreten wären."

"Gestern waren wir alle geschockt", sagt Brendel über den Fall Henze

Bundestrainer Kießler sagte dagegen: "Das ist gegen die Regeln." Er hätte es aber ohnehin nicht befürwortet. Die Last nicht in den Wettkampf tragen, das war ja die Ansage. Kießler hatte seinen Sportlern nach eigenen Angaben außerdem empfohlen, sich nach ihren Wettkämpfen nicht zum Fall Henze zu äußern. Daran immerhin hielt sich der Olympiasieger Brendel nicht. "Das kann man nicht ganz ausblenden. Gestern waren wir wirklich alle geschockt", sagte er.

Was gestern war, zählt aber nicht bei Olympia. Das kann gar nicht zählen in diesem Geschäft. Thomas Konietzko, der Präsident des Deutschen Kanu-Verbandes, fasste seine Gefühlslage nach Brendels Goldlauf so zusammen: "Bei all den unangenehmen Begleitumständen der vergangenen Tage, ist das jetzt vielleicht die frohe Botschaft, die wir gebraucht haben." Zwar gebe es im Verband kaum persönliche Kontakte zwischen der Renn- und der Slalomabteilung, die Stefan Henze betreute. Andererseits, so Konietzko, seien alle Kanuten eine Familie. Nach einer Zeit, in der man viel zusammen geweint habe, gehe es jetzt darum, das "so professionell wie möglich zu managen".

Thomas Konietzko glaubt: "Wenn Stefan Henze noch etwas hätte sagen können, dann hätte er sich gewünscht, dass wir uns heute voll auf den Sport konzentrieren." Falls das der Wunsch war, dann ist es auf beeindruckende Weise gelungen.

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