Olympia:Der große Talentflüsterer verabschiedet sich

Olympia: Horst Hrubesch (r.) schlägt mit Lukas Klostermann ein.

Horst Hrubesch (r.) schlägt mit Lukas Klostermann ein.

(Foto: AFP)

Seine bewegte Karriere soll für Horst Hrubesch mit dem Meisterstück enden: Olympia-Gold gegen Brasilien. Er ist der letzte seine Art.

Von Sebastian Fischer

Horst Hrubesch ist 65, sein Leben ist voller Geschichten. Manche handeln vom Angeln, sie beschreiben den ruhigen, unkomplizierten Menschen, der erst mit 24 Jahren Fußballprofi wurde; vorher arbeitete er als Dachdecker. Andere handeln von seiner breiten Stirn, die er in Manni Kaltzs Bananenflanken hielt, sie definieren den Mittelstürmer Hrubesch, der Europameister wurde und Europapokalsieger der Landesmeister. Und dann gibt es diese eine Geschichte unter vielen, die den Trainer Hrubesch, den es bald nicht mehr geben wird, wohl wie keine andere erklärt. Sie spielt im Februar 2002 und handelt vom Torhüter Michael Rensing, der nicht werfen konnte.

Rensing war Torwart der deutschen U 18-Nationalmannschaft. Doch mit einem Keeper, der die Bälle nur nach vorn drischt, konnte man schon vor 14 Jahren kein Spiel gewinnen. Also schrie der Trainer Hrubesch in der Halbzeit des Länderspiels gegen Italien beim Stand von 0:1, so steht es in Hrubeschs Biografie: Noch ein Abschlag, "dann kannst du gleich nach Hause fahren!" In seiner nächsten Aktion warf Rensing den Ball einem Italiener vor die Füße, 0:2. Die Mitspieler waren entsetzt. Hrubesch lobte. "Richtig!", rief er. Nur beim nächsten Mal bitte zum Mitspieler. Rensing wurde Bundesligatorhüter.

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Es gibt wenige Trainer, die ein solches Gespür für den Umgang mit jungen Fußballern haben, die Fehler verzeihen können, wenn sie der Entwicklung dienen. Es ist kein Zufall, dass Hrubeschs Trainerkarriere - jedenfalls die 17 Jahre lange beim Deutschen Fußball-Bund - an diesem Samstag mit einer letzten charakteristischen Geschichte endet; mit seinem olympischen Meisterstück.

Noch einmal in der Kurzform, weil es gerade so oft erzählt wird: Kaum ein Bundesliga-Manager will im Sommer 2016 während der Saisonvorbereitung Spieler für die Olympia-Auswahl hergeben. Hrubesch und DFB-Sportdirektor Hansi Flick stellen irgendwie einen Kader zusammen, dem niemand viel zutraut. In der Vorrunde droht das Aus, in der K.o.-Runde spielt das Team plötzlich großartig. Am Samstag (22.30 Uhr, MESZ im SZ-Liveticker) spielt Deutschland gegen Brasilien um Gold, erstmals überhaupt. Dann wird Hrubesch zurücktreten.

Wer wissen will, was das Besondere an Horst Hrubesch ist, der sollte nicht Horst Hrubesch fragen. Er ist dafür zu demütig, er will auch nicht von seinem Abschied sprechen in diesen Tagen, sondern lieber von den Spielern, die allein für den Erfolg verantwortlich seien. Spieler können das Phänomen Hrubesch viel besser erklären, Torwart Rensing zum Beispiel. Er sagte Hrubeschs Biografen, er habe sich "menschlich absolut von ihm respektiert gefühlt", was offenbar eine Seltenheit in der Beziehung zu seinen Trainern war. Oder Stefan Reinartz, der frühere Bundesligaverteidiger, der in diesem Sommer seine Laufbahn beendete. Reinartz sagt am Freitag ins Telefon: "Man kann sich auf alles verlassen, was Horst Hrubesch sagt."

Reinartz, das ist nicht ganz unwichtig, lernte Hrubesch übrigens kennen, als dessen Trainerkarriere zu scheitern drohte.

2000 dachte er ans Aufhören - dann ging er erst mal angeln

Hrubesch hatte 1999 beim DFB begonnen, als Trainer der Reserve-Nationalmannschaft. Bei der EM in Belgien und den Niederlanden assistierte er Erich Ribbeck, er erlebte den Tiefpunkt des deutschen Fußballs, nach dem 0:3 gegen Portugal saß er auf der Bank und weinte. Beim Angeln in Norwegen dachte er ans Aufhören, doch stattdessen wurde die EM für ihn zum Lehrstück, wie seine Mannschaften niemals sein sollten: talentiert, aber von Egoismen zerfressen.

Reinartz hat in seiner Karriere zahlreiche Trainer erlebt, viele mit großem Fußballverstand, aber keinen, der so authentisch ist wie Hrubesch, sagt er. Neulich beobachtete Reinartz ein paar Spiele bei der U 19-EM und lauschte den Gesprächen am Rand, mit großer Skepsis wurde über die jungen Spieler gesprochen. Reinartz dachte: Horst Hrubesch würde anders reden. Wenn ihm etwas gefallen hätte, dann hätte er es einfach ehrlich gesagt, wie er ihm damals nach guten Trainingseinheiten zurief: "So kommst du in die Bundesliga!"

Im Sommer 2008 gewann die deutsche U 19 unter Hrubesch die Europameisterschaft, es war sein erster Erfolg. Reinartz, damals Innenverteidiger, hat zwei Arten von Trainern erlebt, sagt er: Für die einen ist Fußball Physik, für die anderen ein Spiel mit Menschen. Hrubesch gehört zur zweiten Art, er teilt seine Teams in Führungsspieler, Mannschaftsspieler und Kreative ein, umsorgt alle, ist mal locker, mal ernst, gibt Spielern wie Reinartz Verantwortung und den Chaoten ihre Freiheiten, komponiert seine Mannschaften nach Gefühl. Sein Ansatz sterbe in der Epoche der Konzepttrainer aus, glaubt Reinartz. Wäre Hrubesch 2008 nicht Europameister geworden, er wäre wohl entlassen worden.

Seine Zeit beim DFB begann mit Tränen - und endet mit Tränen

Hrubesch, der nie ein erfolgreicher Vereinstrainer war, widerlegte damals seine Kritiker, genauso wie im Jahr darauf, als er die deutsche U 21 um die späteren Weltmeister Neuer, Hummels, Boateng, Höwedes, Khedira und Özil zum EM-Titel geleitete. Und nun, nach einer enttäuschenden U 21-EM im vergangenen Jahr, die mit einer 0:5-Niederlage im Halbfinale endete, steht er im olympischen Finale. Die Mannschaft hat sich in wenigen Tagen gefunden, sie hat Kreative wie den Flügelspieler Serge Gnabry in ihr Gefüge eingepasst und als Leitfiguren die Bender-Zwillinge, die schon 2008 dabei waren. Sie ist eine typische Hrubesch-Mannschaft.

"Nein", hat der Trainer in die Fernsehkamera gerufen und mit seinen wuchtigen Armen abgewunken, als er in São Paulo, nach dem 2:0 -Sieg im Halbfinale gegen Nigeria, gefragt wurde, ob der Finaleinzug der größte Erfolg seiner Trainerkarriere sei. Dafür, sagte er, habe er zu viel mitgemacht.

Und vielleicht ist das ja die Erklärung für das Phänomen Hrubesch: Er hat so viel mitgemacht wie wenige Fußballer und Fußballtrainer, aber er hat dabei nicht ein kleines bisschen Spaß eingebüßt. So ganz freiwillig, so wirkt es, hört er auch als Trainer beim DFB nicht auf, irgendwie wird er dem Fußball sicher erhalten bleiben. Es sei unfassbar, hat jetzt Nationalspieler Julian Brandt gesagt: "Ich habe selten einen Trainer erlebt, der den Fußball so lebt."

Hrubeschs Trainerkarriere beim DFB hat mit Tränen der Wut begonnen, ihr Ende leiteten Tränen der Freude ein: Er weinte in São Paulo vor Glück. Eine schöne Geschichte ist es schon. Doch für eine weitere ist noch Platz.

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