Ausschluss von russischen Athleten:Wer hat in sportjuristischen Fragen das letzte Wort?

Thomas Bach

IOC-Präsident Thomas Bach in Pyeongchang.

(Foto: Patrick Semansky/AP)
  • Der internationale Sportgerichtshof Cas hebt die Sperren von 15 russischen Athleten auf. Das IOC lädt sie dennoch nicht für Olympia ein.
  • Dem Cas fehlen Beweise für die Schuld der Athleten, dem IOC Beweise für ihre Unschuld.
  • Hinter dem Streit verbirgt sich auch die Frage, wer in sportjuristischen Fragen eigentlich das letzte Wort hat.

Von Johannes Aumüller, Pyeongchang

Am Montagmittag koreanischer Zeit teilte das Internationale Olympische Komitee (IOC) Folgendes mit: 15 russische Athleten und Trainer, deren lebenslange Olympia-Sperren in der vorigen Woche vom Internationalen Sportgerichtshof Cas aufgehoben worden waren, erhalten trotzdem keine Einladung für die Winterspiele. Das war die neueste, wenngleich wohl nicht letzte Volte im Durcheinander um die Startberechtigungen für russische Sportler in Pyeongchang. Es war andererseits auch Teil einer heraufdämmernden Auseinandersetzung über die Frage, wer in sportjuristischen Fragen das letzte Wort hat: das IOC oder der Cas?

Es ist ein kompliziertes Feld geworden, seit sich das IOC davor gedrückt hat, Russland aufgrund des Staatsdoping- Systems kollektiv auszuschließen; stattdessen möchte das Komitee viele einzelne Athleten ausschließen. Fürs Verständnis sind im Prinzip vier Entscheidungen wichtig. Erstens: Im Dezember sperrte das IOC auf Grundlage der Arbeit der sogenannten Oswald-Kommission 43 Russen wegen ihrer angeblichen Verstrickung ins Doping-System der Sotschi-Spiele 2014 lebenslang für Olympia. Zweitens: Zu Jahresbeginn teilte das IOC mit, dass es Dutzenden weiteren russischen Athleten die Einladung nach Pyeongchang verweigere: Die wurden zwar nicht gesperrt, aber eine Prüfkommission unter Leitung der früheren französischen Sportministerin Valerie Fourneyron habe Zweifel an ihrer Integrität festgestellt; nur 169 Sportler hätten den Check überstanden.

Drittens: Vor einer Woche hob der Sportgerichtshof in etwa zwei Dritteln der Fälle die lebenslange Sperre auf, weil es keine klaren Beweise gebe. Darunter waren 13 noch aktive Athleten und zwei amtierende Trainer, die sich prompt Hoffnungen machten, in Pyeongchang zu starten. Viertens: Am Montagmittag teilte das IOC sinngemäß mit, dass es ihm egal sei, dass diese 15 vor dem Cas Recht bekamen - das Komitee lade sie trotzdem nicht zu den Spielen ein, weil es nach einer Prüfung durch die Fourneyron-Kommission auch bei ihnen Bedenken bezüglich der Integrität gebe. IOC-Präsident Thomas Bach schwärmte daraufhin: "Das Gremium hat erneut großartige Arbeit geleistet."

Weil das IOC das russische Olympia-Komitee wegen des Dopingskandals gesperrt hat, kann es selbst auswählen, wen es einlädt und wen nicht. Aber was sendet das für ein Signal aus: explizit vom Sportgericht von einer Sperre befreite Sportler nicht einzuladen? Zwar kann sich das IOC darauf berufen, dass die Kriterien von Sportgericht und hauseigener Prüfkommission verschieden seien. Beim Cas ging es um die Frage, ob es einen eindeutigen Beweis gebe. Die IOC-Prüfungskommission sollte feststellen, ob es etwas gibt, was die Sauberkeit infrage stellen könne; das ist die wesentlich weichere Definition. Die Prüfkommission konnte sich sogar auf den Cas beziehen, der die Athleten explizit nicht als "sauber" deklarierte, sondern nur mitteilte, dass der letzte Beweis für ihre Schuld nicht zu führen sei.

Gab es neue Erkenntnisse? Und wenn ja, welche?

Gleichwohl bleibt das Vorgehen des IOC erstaunlich. IOC-Chef Bach hatte schon am Wochenende erklärt, dass er vom Cas-Urteil schwer enttäuscht sei - und eine Reform des Sportgerichtshofs ins Gespräch gebracht. Fürs Erste ersann sich sein Ringe-Gremium offenkundig einen Weg, das Cas-Urteil auszuhebeln. Das IOC teilte zur Begründung der Nicht-Einladung mit, es gebe weitere Erkenntnisse, die der Oswald-Kommission bei ihrem Verdikt noch nicht vorgelegen haben. Welche genau das seien, sagte es nicht. Laut Aussage von Kommissionsmitglied Günter Younger zur dpa spielte eine Datenbank aus dem Moskauer Analyse-Labor, die der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada zugespielt worden war, eine "zentrale" Rolle.

Diese zeichnete alle Laborvorgänge zwischen 2012 und 2015 auf. Andererseits liegt diese Datenbank schon seit Oktober vor, die Cas-Verhandlung war erst vor anderthalb Wochen. In jedem Fall ist es schwer vorstellbar, dass die angeblich belastenden Aspekte zu allen 15 Athleten und Trainern, um die es aktuell geht, erst in den vergangenen Tagen in der Datenbank gefunden wurden. Und im Anschluss daran wäre es die Frage, warum sie dann nicht Teil des Cas-Verfahrens waren. Dann hätten die Anwälte der russischen Athleten wenigstens die Möglichkeit gehabt, dazu Stellung zu beziehen.

Während die deutsche Delegation um DOSB-Präsident Alfons Hörmann den IOC-Entscheid überschwänglich lobte, ist Russland erbost. Sportminister Pawel Kolobkow sagte, das IOC verletze seine eigene Charta. In den Kreisen des russischen Teams gibt es Überlegungen, das Ad-Hoc-Panel des Cas in Pyeongchang anzurufen. Doch weil noch keine konkreten Begründungen für die Nicht-Einladung vorliegen, würde das gar nicht so leicht. Am wahrscheinlichsten ist derzeit die Variante, dass es für Russland nicht mehr als die besagten 169 Einladungen gibt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: